Ohne Beweidung durch Schafe wachsen Wacholderheiden schnell zu Foto: dpa

Von einem Mindestlohn von 8,50 Euro können die Schäfer in Baden-Württemberg nur träumen. Ihrer liegt bei 4,90 Euro. Darunter leidet der Berufsstand. Damit sich die Schafhaltung wieder lohnt, hat der Naturschutzbund (Nabu) dazu aufgerufen, mehr Lammfleisch aus Baden-Württemberg zu essen.

Stuttgart - Die Bezeichnung Württemberger Lamm steht für zweierlei: Zum einen für Lammfleisch aus der Region Württemberg. Zum andern aber auch für die uralte Schafrasse Merinoland, die es bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts gibt. Bis 1926 wurde das Merinolandschaf als „Württemberger-Landschaf“ in der DLG Schauordnung geführt.

Baden-Württemberg ist traditionell Schafland: Mitte des 19. Jahrhunderts grasten im Südwesten rund 900 000 der Wolltiere. Doch bis in die 1970er Jahre ging ihre Zahl kontinuierlich auf rund 100 000 Tiere zurück. Inzwischen pflegen die Schäfer nach Angaben des Landesschafzuchtverbands zwar wieder um die 216 000 Tiere. Doch die 3000 bis 4000 Schafhalter tun sich schwer und finden kaum Nachwuchs. Gerade mal ein Dutzend junger Leute lässt sich jährlich zum Schäfer ausbilden.

Grund sind die schlechten Erträge. In Deutschland werden pro Kopf und Jahr gerade einmal 900 Gramm Lammfleisch gegessen, in der EU immerhin drei Kilo und in Griechenland 14 Kilo. Dabei werben die Erzeuger mit Qualität und Transparenz: Die Tiere stünden auf der Weide – jeder könne sehen, was sie fressen. Trotzdem greifen die meisten Verbraucher zu Lammfleisch aus Neuseeland, weil es in der Regel günstiger ist. Dafür ist es um die ganze Welt gereist.

Eine klare Abgrenzung des Württemberger Lamms zum Marketing-Begriff Alblamm gibt es nicht. Jede Rasse darf, sofern sie von der Alb stammt, so bezeichnet werden. Der Schafhalter Gerhard Stotz aus Münsingen hat den Begriff geprägt. Weil später jedoch auch Anbieter aus anderen Gegenden ihr Produkt Alblamm nannten, distanzierte er sich. Er vertreibt sein Fleisch nun als Stotz-Lamm.

Viele Spitzenköche aus der Region schwören auf das Württemberger Lammfleisch. Es werde trocken gereift und schmecke besonders würzig, hatten in Beuren (Kreis Esslingen) Volker Krehl, Chef von Krehls Linde in Stuttgart, und Jörg Ebermann von der Linde in Oberboihingen betont. Diese Würze kommt nicht von ungefähr: Viele der Herden werden gezielt dazu eingesetzt, die immer seltener werdenden Wacholderheiden auf der Schwäbischen Alb zu pflegen. Diese Kulturlandschaften verlieren ohne die Beweidung durch Schafe und Ziegen ihren typischen Charakter.

André Baumann, Landesvorsitzender des Nabu, hat seine Doktorarbeit über die Geschichte der Schäferei in Süddeutschland geschrieben. Er weiß deshalb: „Manche Flächen werden seit der Bronzezeit ununterbrochen bewirtschaftet, das ist eine mehrtausendjährige Geschichte.“ Mit Freischneider und Balkenmäher, davon ist Baumann überzeugt, würde dieser Zyklus gestört: „Das wäre eine kulturgeschichtliche und ökologische Katastrophe.“ Tatsächlich arbeiten die tierischen Rasenmäher weniger penibel als ein Aufsitzrasenmäher. In der Folge kommen mehr Pflanzen zum Blühen, was wiederum für Honigbienen und andere Insekten wichtig ist.

Aus diesem Grund fordert Baumann die Verbraucher auf, gezielt Lamm aus Württemberg zu essen. Bisher können die Schäfer von Fleisch und Wolle nicht leben. 60 Prozent der Schafhalter im Land sind in staatliche Förderprogramm eingebunden. Doch auch dies sichert ihr Auskommen nicht. Weniger als 150 gehen mit der Herde noch auf Wanderschaft. Sie legen pro Tag rund zehn Kilometer zurück.

Die Wege der Wanderschäfer richten sich traditionell nach dem Futterangebot: Die Schwäbische Alb wird seit jeher als Sommerweide genutzt. Der klimatisch begünstigte Bodenseeraum, das Rheintal oder der Kraichgau bieten in den Übergangs- und Winterzeiten Futter.

Der Nabu wünscht sich, dass die Schafhalter eine Weideprämie bekommen. Eine solche ist im neuen Agrarumweltprogramm für die kommenden sieben Jahre für die Halter von Rindern vorgesehen. „Das könnte auf Schafe und Ziegen ausgedehnt werden“, sagt Baumann. Der Nabu stellt sich vor, dass die Betriebe 220 Euro für jeden Hektar bekommen sollen, den sie mit ihren Tieren beweiden. Es gibt allerdings etliche Hürden. Die Schafhalter selbst wären gezwungen, akribisch Buch zu führen über ihre Einsätze. Andererseits, so wird kritisiert, wären die Einsätze kaum zu kontrollieren.

Der Nabu bleibt aber dabei: „Die Schäferei ist unverzichtbar.“ Ein Feldversuch, den das Land vor 39 Jahre gestartet habe, belege jetzt: Die Beweidung durch Schafe ist die kostengünstigste und ökologischste Pflege für Kaltmagerrasen und Wacholderheiden.