Im Gewann Käppeleshau rettet sich ein Reh gerade noch vor der Mähmaschine. Foto: Lichtgut - Oliver Willikonsky

Zu frühes Mähen von Wiesenflächen gefährdet Wildtiere und deren Nachwuchs. Im Gewann Käppeleshau sprang ein Reh gerade noch rechtzeitig aus dem Gras, rettet damit seine zwei Kitze – und war der Auslöser für einen Gemeinderatsantrag gegen verfrühtes Mähen städtischer Wiesenflächen.

Stuttgart - Die Frage, wann Wiesen gemäht werden sollen und wie oft, ist ein Thema, bei dem die Meinungen auseinandergehen. Den Geduldsfaden von Siegfried Berner etwa riss in diesem Frühjahr eine Mähmaschine entzwei. Die Großmaschine rückte im Juni dieses Jahres im Gewann Käppeleshau in Obertürkheim an. Wohlgemerkt: am 8. Juni – und somit weit vor dem 1. Juli, dem Zeitpunkt, ab dem das Mähen allgemein empfohlen wird. „Mit dem verfrühten Mähen gefährdet man Wildtiere, Wildblumen und Insekten“, sagt er. Berner muss es wissen, denn er ist Jagdpächter, zudem Vorstand für Biotopwesen und Wildlebensräume bei der Jägervereinigung Stuttgart; er stammt aus einer alten Weingärtnerfamilie und betreibt einen Weinanbaubetrieb in Uhlbach.

Berner hat, wie er sagt, schon oft beobachtet, dass städtische Flächen wie etwa das Gewann Käppeleshau oder die Egelseer Heide zu früh gemäht werden, auch im „brisanten Zeitraum, den Monaten Mai und Juni – und das mit Steuergeldern!“. Denn in diesen Monaten dienen diese Flächen Feldhase, Reh und Bodenbrütern als Kinderstube; auch für das Überleben der Wiesenblumen ist die Zeit von größter Bedeutung, da in dieser Zeit der Samen erst reift. Durch das verfrühte Mähen habe die Stadt bereits vor Jahren zum „Aussterben einer stabilen Rebhuhn- und Feldlerchenpopulation“ beigetragen – während es beispielsweise in Fellbach ein Rebhuhn-Schutzprojekt oder in Bayern ein „Artenhilfsprogramm Wiesenbrüter“ gebe. In Stuttgart werde „genau das Gegenteil praktiziert“.

Eine Rehgeiß verließ die Wiese, sie hatte dort zwei Kitze abgelegt

Mehrfach hatte sich Berner in den vergangenen Jahren schon an die Stadt gewandt, um ein umweltverträgliches und tierschutzgerechtes Mähen auf städtischen Flächen zu bewirken. Erfolglos, wie er sagt. An jenem 8. Juni, so erzählt er, sprach er den Mann auf der großen Mähmaschine an – der zu einem von der Stadt beauftragten Unternehmen gehörte – und bat ihn, die Aktion einzustellen. Als Antwort habe er erhalten, dass er nichts zu sagen habe und es in dem Gewann sowieso keine Wildtiere gebe. „Es gipfelte in der Behauptung, dass dieser Mähzeitpunkt ihm von der Stadt vorgeschrieben wäre“, sagt Siegfried Berner.

In diesem Moment, sagt Berner, habe eine Rehgeiß die Wiese verlassen, die, wie sich später herausstellte, dort zwei Kitze abgelegt hatte. Nachdem andere Bürger die Polizei hinzugezogen hätten, sei seitens des Unternehmens das Mähen eingestellt worden. Berner indes war nach diesem Vorfall mit seiner Geduld am Ende.

Er schrieb einen Brief an den grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn, um seiner Unmut und seinen Forderungen Ausdruck zu verleihen: „Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, hoffentlich wird es aufgrund Ihrer persönlichen Einflussnahme künftig zu einer vernünftigen ökologischen Lösung kommen“, endet sein Schreiben ans Rathaus vom 11. Juni.

Antrag der Freien Wähler, verfrühtes Mähen städtischer Wiesenflächen einzustellen

Die Gemeinderatsfraktion der Freien Wähler hat den Ball aufgenommen und den Antrag gestellt, verfrühtes Mähen städtischer Wiesenflächen einzustellen. Die Freien Wähler wollen, dass die Stadt die von ihr beauftragten Unternehmen verpflichtet, städtische Wiesen und Wiesenstreifen nicht vor dem Stichtag 1. Juli zu mähen. Dies soll kontrolliert und Verstöße sollen geahndet werden.

Die letzten Rückzugsräume unserer Wildtiere sollen nicht kaputt gemacht werden

Die Initiative für diesen Antrag ging von Konrad Zaiß aus. Der Stadtrat der Freien Wähler hat wie Siegfried Berner ein Weingut in Obertürkheim und erfuhr von dem Vorfall. „Als Weinbauer hat man natürlich einen Bezug zur Natur – und ich will nicht, dass die letzten Rückzugsräume unserer Wildtiere und -pflanzen kaputt gemacht werden“, sagt Zaiß. Er nennt als Beispiel noch den Wiesenstreifen entlang der alten B 295/Ditzinger Straße in Weilimdorf. „Die Stadt soll sich erst einmal darum kümmern, dass keine Äste in die Wege reinhängen – da ist sie allerdings eher nachlässig. Danach kann sie ab Juli die Wiesen mähen, dann ist das kein Problem mehr “, sagt Konrad Zaiß. Er betont, dass an den betreffenden Stellen auch kein Zwang bestünde, die Wiese zu mähen, um etwa die Verkehrssicherheit zu gewährleisten.

Die Stadt will auf Anfrage keine Stellung zu dem Thema Mähen nehmen: „Bislang gibt es noch keine freigegebene beziehungsweise vom Oberbürgermeister unterschriebene Stellungnahme zum Antrag der Freien Wähler. Deshalb ist eine Beantwortung Ihrer Fragen zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht möglich“, heißt es bei der Pressestelle. Nur gut, dass die kritische Zeit bereits vorüber ist. Doch Gras über die Sache wachsen lassen kann man nicht. Denn der nächste Frühling kommt bestimmt.