In Plieningen und Echterdingen wurden im vergangenen Jahr fünf Rebhuhnpärchen gezählt. Foto: privat

Für die Bauern sind die Trittsteine ärgerliche Fremdkörper, für Naturschützer sichern die Wildwuchswiesen die biologische Vielfalt. Doch funktionieren sie? Unterwegs mit einem Experten, der Rebhühner und anderes Getier zählt.

Plieningen/Echterdingen - Es klingt wie eine Tür, die mal geölt werden müsste. Das Männchen schnarrt „girrhäk“, wenn es sein Revier markieren will. Andreas Schuler späht durchs Fernglas, doch weit und breit ist nichts zu sehen. Kein Rebhuhnmännchen, das seinen rufenden Widersacher vertreiben will. Das „Girrhäk“ kommt vom Band – und beeindruckt an jenem Abend kein einziges Rebhuhn. Also stoppt Andreas Schuler die akustische Attrappe.

Der Landschaftsökologe kommt sechsmal im Jahr auf die Felder westlich von Plieningen, um dort vor allem die seltenen Vogelarten zu zählen. Er arbeitet für das Büro Tränkle in Blaubeuren, das im Auftrag der Landesmesse die Trittsteine auf den Äckern in Plieningen und Echterdingen angelegt hat. Die Trittsteine sind insgesamt 51 Wildwuchswiesen und dienen als ökologischer Ausgleich für den Bau der Messe. Sie liegen als Streifen zwischen den Gemüse- und Getreidefeldern – was die Bauern maßlos ärgert. Sie klagen, dass Schnecken und anderes Getier in den Trittsteinen gedeihen und sich über Filderkraut und Salat auf den benachbarten Feldern hermachen.

Der Feind Nummer eins ist die Landwirtschaft

Andreas Schuler kann den Frust der Bauern verstehen. „Aber es gibt auch noch eine andere Sicht“, sagt er. Nämlich, dass Tiere, die vom Aussterben bedroht sind, in den Trittsteinen ein Zuhause finden. Dazu gehören unter anderem das Rebhuhn, der Goldammer und die Feldlerche. „Sie sind alle rückläufig im Bestand.“ Und dann sagt Andreas Schuler etwas, was die Bauern sicher nicht gern hören. Nämlich dass der Rebhuhnfeind Nummer eins „die intensive Landwirtschaft“ sei. Weil jeder Quadratmeter für den Anbau von Feldfrüchten genutzt werde, würden die Tiere verdrängt, „es gibt zu wenig Deckung“, sagt er. Die Trittsteine sollen die biologische Vielfalt gewährleisten. Zu kontrollieren, dass dies nicht nur Theorie bleibt, ist der Job von Andreas Schuler. Er und seine Kollegen kommen, um Vögel, Tagfalter, Laufkäfer und Wildpflanzen zu zählen. „Als Nachweis, dass die Trittsteine funktionieren“, sagt er. Und wenn er gefragt wird, ob sie funktionieren, sagt er: „Auf jeden Fall.“

Als der Experte im Jahr 2009 das erste Mal Rebhühner kartiert hat, habe er auf den Feldern rund um die Landesmesse ein einsames Pärchen verzeichnet. Im vergangenen Jahr waren es fünf und zwei Einzeltiere. „Das ist eine ganz ordentliche Population“, erklärt er. „Viel mehr werden es nicht werden.“

Andreas Schuler bei der Arbeit Foto: Sägesser

Zu Andreas Schulers wichtigstem Handwerkszeug gehört der Feldstecher – und Geduld. Er weiß vorher nie, ob und wenn wenn ja wie viele Vögel ihm vors Fernglas laufen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er welche sieht, liegt bei 75 Prozent, schätzt er. Am größten ist sie in der Abenddämmerung, dann huschen die Rebhühner am liebsten übers Feld und suchen in der Nähe eines Bachs oder Sees etwas zu futtern. Wenn sie sich ungestört fühlen. Andreas Schulers Problem ist, dass sich die Hühner angepasst haben – an die Jogger, die Bauern, die Radfahrer. „Sie rühren sich oft gar nicht mehr.“ Das macht ihm die Arbeit nicht gerade leicht. Er lenkt seinen Skoda über einen zerfurchten Feldweg, hält an einem Trittstein und steigt aus. Das Biotop ist ein helles Gestrüpp mit ein paar schwarzen Sonnenblumen-Skeletten. Vor Autos haben die Viecher weniger Angst als vor Spaziergängern. Sogar Flugzeuge registrieren die Vögel nicht als Gefahr. Flughafengelände seien ein beliebter Rückzugsort. Am Flughafen München lebe die größte Brachvogelpopulation von ganz Bayern.

Sechsmal im Jahr auf der Pirsch

Die Sonne ist inzwischen am Horizont abgetaucht, der hellblaue Himmel mit den rosa-gelben Wolkenschlieren könnte von Dalí ans Firmament gepinselt worden sein. Der Tag neigt sich dem Ende – und damit auch Andreas Schulers zweiter Einsatz in diesem Jahr. Vor einem Monat war er schon mal bei Sonnenuntergang in Plieningen und Echterdingen auf der Pirsch. Damals hat er zwei Paare entdeckt. Diesmal besteht seine Ausbeute aus ein paar Feldlerchen, Rabenkrähen, einem Mäusebussard und vier Hasen. „Es ist, wie es ist, man kann es nicht erzwingen“, murmelt er, während er einen staubigen Weg nahe dem Langwieser See entlangschlendert. Mit demselben Automatismus, mit dem er einen Fuß vor den anderen setzt, späht er immer mal wieder durchs Fernglas. Er sieht ein weißes Auto, das scharf bremst und eine Staubwolke produziert. „Hat der jetzt eins überfahren?“

Es ist 20 Minuten vor neun. Bald wird Andreas Schuler kaum mehr etwas erkennen. Dann endlich. „Ein Rebhuhn“, er hält inne. „Und noch eins.“ Tatsächlich, die beiden rennen über den Acker, von einem Trittstein zum anderen, das eine Huhn vorneweg, das andere hinterher. Zwischendurch halten sie immer wieder an, lauschen. Ohne den Feldstecher wären die Tiere nicht zu sehen, zu gut sind sie getarnt auf dem braunen Feld.

Das Dalí-Kunstwerk am Himmel ist einer orangefarbenen Wand gewichen, über Andreas Schuler blitzen die ersten Sterne auf. Sie sind in etwa so groß wie die Fenster drüben in den drei Asemwald-Hochhäusern, hinter denen nach und nach die Lichter angeknipst werden.