Michael Nill, Chef des Fachbereichs Wald im Landkreis, Oberbürgermeister Jürgen Kessing, Nabu-Landesvorsitzender Johannes Enssle und Revierförster Axel Armbruster (von links) im ausgezeichneten Bietigheim-Bissinger Stadtwald. Foto: Martin Kalb

Ohne Kahlschlag und Chemie, dafür mit Platz für die „Urwälder von morgen“: Der Bietigheim-Bissinger Stadtwald wird in Sachen Umwelt- und Artenschutz vorbildlich bewirtschaftet.

Auch wenn manchen Spaziergänger mitunter unaufgeräumt anmutende Flecken im Bietigheim-Bissinger Stadtwald stören: Sie haben ihren Grund. Natur- und Artenschutz stehen dort hoch im Kurs. Das hat jetzt der Naturschutzbund Baden-Württemberg (Nabu) honoriert: Er zeichnete die Stadt als „Nabu-Naturwaldgemeinde“ aus, als eine von wenigen Kommunen im Land. Die zertifizierten Kommunen verzichten auf Kahlschläge und Chemie und setzen auf Naturverjüngung statt auf Baumpflanzungen. Zudem verpflichten sie sich zu sanften Betriebstechniken, aktivem Waldnaturschutz und dazu, eine waldökologisch tragbare Wilddichte zu sichern, also die Jagd darauf auszurichten, dass nicht zu viele junge Triebe dem Wildverbiss zum Opfer fallen.

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Auf rund sechs Prozent der 300 Hektar Stadtwaldfläche entwickeln sich laut Revierförster Axel Armbruster „Urwälder von morgen“ – sie werden forstlich nicht genutzt. Auch sonst bietet der Bietigheim-Bissinger Wald gute Voraussetzungen für aktiven Natur- und Artenschutz: „Wir haben einen sehr hohen Anteil an Eichen, und das ist die Baumart, die für den höchsten Artenreichtum steht“, berichtet Armbruster. „Außerdem fühlen sich bei uns Fledermäuse offenbar sehr wohl.“ Es seien mindestens sechs Arten nachgewiesen – von der Bart- bis zur Zwergfledermaus. Ob auch die besonders gefährdete Mopsfledermaus im Bietigheim-Bissinger Stadtwald zu finden ist, soll eine demnächst anstehende Kartierung zeigen.

„Wir wollen den lebendigen Wald“

„Wir wollen den lebendigen Wald haben“, sagte Oberbürgermeister Jürgen Kessing, als der Nabu-Landesvorsitzende Johannes Enssle die Auszeichnung jetzt vorbeibrachte und im Stadtwald selbst übergab, „einen Wald, der nicht nur als Wertanlage, zur Holzernte dient, sondern der seiner Funktion als Erholungsfläche, als Klimahelfer und als Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten gerecht wird. Gerade in unserer waldarmen Region legen wir Wert auf den Erhalt und, wo möglich, die Ausweitung dieses kostbaren Stücks Natur.“

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Seit Jahren verzichte die Stadt auf den Einsatz von Gift im Wald und schaffe durch Alt- und Totholz Lebensräume für Spechte, Fledermäuse und andere Waldbewohner, so Kessing. Dafür arbeiteten viele Akteure Hand in Hand: von der Stadtgärtnerei bis hin zu ehrenamtlich aktiven Naturschützerinnen und Naturschützern. Die Stadtwaldfläche sei ein großer Schatz, den es gemeinsam zu bewahren gelte. Insgesamt hat Bietigheim-Bissingen 534 Hektar Wald, 234 sind Staatswald. Im Stadtwald wolle man den Weg der vorbildlichen Waldbewirtschaftung mit dem Nabu als Partner weitergehen, sagte Kessing.

Ein Ansporn, den besonderen Blick zu behalten

Mit dem Zertifikat, für das sich die Stadt auf Bestreben der Grün-Alternativen Liste beworben hatte und das – so Johannes Enssle – „Lob und Ansporn“ sein soll, geht die Verpflichtung einher, den Wald mindestens weitere zehn Jahre mit besonderem Blick für die Belange des Natur- und Artenschutzes zu pflegen.

In Baden-Württemberg tragen jetzt sieben Kommunen, ein Bundesforst- sowie ein kleiner Privatwaldbetrieb das Prädikat „Naturwaldbetrieb“: Bad Dürrheim, Bietigheim-Bissingen, der Bundesforstbetrieb Heuberg (Schwäbische Alb, Hirschberg an der Bergstraße), Königsfeld, Mönchweiler, Pfullingen, ein Privatwaldbetrieb in Schönwald und Wimsheim. Die Auszeichnung „Naturwaldbetrieb“ ist eine Ergänzung zu Wald-Nachhaltigkeits-Zertifizierungen wie FSC (Forest Stewardship Council) oder PEFC (Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes). Die Försterinnen und Förster treffen sich jährlich zu einer Tagung und diskutieren aktuelle Entwicklungen in der Forstwirtschaft und im Waldnaturschutz.