Rainer Prosis Garten ist längst ein Himmelreich für Hummeln: Seit 30 Jahren kümmert er sich um diese bedrohten Arten. Foto: Ufuk Arslan

Für Wildbienenexperten wie Rainer Prosi aus Crailsheim ist es eine Tatsache, dass die Zahl der Insekten seit Jahren sinkt. Pflanzenschutzmittel spielten bei diesem Rückgang eine Rolle, aber viele Prozesse seien noch völlig ungeklärt.

Crailsheim - Stundenlang könnte Rainer Prosi wundersame Geschichten erzählen über Wildbienen und Hummeln. Die männliche Gartenwollbiene etwa patrouilliert regelrecht über dem Sumpfziest, ihrer Lieblingspflanze, und jagt alle anderen Insekten davon; so schützt sie ihre Weibchen vor Gefahren. Die Schneckenhausbiene legt ihre Eier tatsächlich in leere Gehäuse, bringt Pollen und Nektar ein und füllt den restlichen Hohlraum mit Steinchen. Und manche Bienenarten drücken den Klee so stark mit ihren Hinterbeinen, dass der Nektar regelrecht herausspritzt. „Bei Wildbienen lernt man nie aus“, sagt Prosi.

Es gibt wenige Menschen in Baden-Württemberg, die so viel über Wildbienen wissen und so viel für sie tun wie der 66-Jährige aus Crailsheim. Dabei ist er gar kein Biologe, sondern (mittlerweile pensionierter) Maschinenbautechniker und Programmierer. Aber vor 30 Jahren stach er im Komposthaufen im Garten aus Versehen ein Hummelnest an und spürte sofort, dass für ihn eine große Faszination von den Tieren ausging – aber er erschrak auch, weil er so wenig über sie wusste. Noch am gleichen Tag bestellte er ein Buch. Eberhard von Hagens Hummel-Lektüre ist bis heute ein Standardwerk zu dieser Insektengruppe.

In seinem Garten sind 11o Bienenarten heimisch

Um seinen Lieblingstieren zu begegnen, muss Rainer Prosi nur vor seine Haustüre treten. Im Laufe der Jahre hat er seinen einstmals gewöhnlichen Garten in ein Nektar-Himmelreich für Hummeln umgestaltet. Es gibt dort viele Nisthilfen – verrottendes Holz, Ziegel mit Löchern, trockener Lehm. Aber das Wichtigere, sagt er, seien die Pflanzen, die er angesiedelt hat. Denn viele Wildbienen sind auf wenige Blütenpflanzen spezialisiert, und wenn diese fehlen, hilft das beste Bienenhotel nichts.

Die kleinen Maskenbienen etwa stehen auf Reseda; Dutzende umschwirren die Blüten, und mit einem speziellen Fernglas kann man auch die kleinen namengebenden gelben und weißen Masken über den Augen der Tiere erkennen. Auch Natternkopf, Sonnenröschen, Kugellauch oder Ackerglockenblumen gibt es in Prosis Paradies. Selbst jetzt, da die Blütezeit vieler Pflanzen bereits vorüber ist, zählt Rainer Prosi noch 40 verschiedene Bienenarten im Garten; zur Hochzeit sind es 110. Mit einem Kescher, den Prosi elegant zwei-, dreimal hin und her schwingt, fängt er die Bienen, leitet sie in ein kleines Röhrchen und fixiert sie dort vorsichtig mit einem Schaumstoffpfropfen – mit einer Lupe kann er die Bienen dann genau untersuchen und bestimmen.

Prosi mag auf dem Papier kein Profi sein, doch er ist längst auch in der Welt der Wissenschaftler anerkannt. Er schreibt für den Nabu Gutachten bei Bauvorhaben. Er unterstützt die Stadt beim für ihn vorbildhaften Projekt „Stadtbiene“: Es werden Blühstreifen angelegt, innerhalb der Stadtgrenzen werden keine Herbizide verwendet, und auf allen Wiesen wird das gemähte Gras abgefahren – denn wer das Gras liegen lässt, düngt den Boden, und viele Blumenarten verschwinden. Mit Schülern der fünften Klasse geht er auf Bienensuche. Und die Bahn kritisiert er harsch, weil sie jüngst an nicht mehr genutzten Industriegleisen Pflanzenschutzmittel eingesetzt hat; dabei lebten dort 45 Bienenarten, darunter die bedrohte Französische Mauerbiene: „Das war das beste Wildbienen-Gebiet der Stadt.“ Für viele überraschend sind gerade solche Industriebrachen oder alte Militärareale sehr artenreich.

Das Wildbienen-Kataster ist eine wertvolle Datenbank

Rainer Prosis vielleicht wichtigste Tat aber war der Aufbau des Wildbienen-Katasters, zusammen mit etwa 40 Mitstreitern. In dieser Datenbank, die Prosi programmiert hat und bis heute maßgeblich betreut, stehen 150 000 Beobachtungen aus ganz Baden-Württemberg. Seither lässt sich viel genauer sagen, welche Wildbiene auf welche Blütenpflanzen „fliegt“, wo sie noch vorkommt und wie sich die Arten zuletzt entwickelt haben.

Unter dem Strich kann man sagen: Alles andere als gut. Der Biologe Volker Mauss hat das Kataster vor Kurzem für den Landkreis Schwäbisch Hall ausgewertet. Bei den vorhandenen 260 Arten ging die Zahl der Nachweise um 55 Prozent zurück, was für einen starken Rückgang der Individuen spricht. Mauss macht maßgeblich die Landwirtschaft dafür verantwortlich, weil die Pflanzenschutzmittel auch die letzten Nektarpflanzen an den Rainen ausrotten. Auch die Kommunen kümmerten sich zu wenig um ihre Flächen. Schon Ende 2016 haben rund 80 namhafte Insektenforscher im Südwesten, darunter Rainer Prosi und Volker Mauss, eine Resolution verfasst, in der sie ein dramatisches Wildbienensterben beklagen und ein Verbot von Neonicotinoiden fordern. Schon jetzt stünden mehr als 50 Prozent aller Wildbienen als gefährdete Arten auf der Roten Liste.

Honigbienen haben auch eine negative Seite

Rainer Prosi ist ein gewissenhafter Mensch, er selbst gibt keine einfachen Antworten. Zwar sieht auch er die Pflanzenschutzmittel und die „Vergrasung“ der Landschaft als Problem: „Aber vieles verstehen wir einfach noch nicht.“ Im Allgäu finde er bei Wanderungen oft trotz schön blühender Feldraine nur vier oder fünf Hummeln. Und auch bei sich in Hohenlohe habe man teilweise Rotklee als „super Futterpflanze“ angesiedelt, und trotzdem kämen keine Hummeln. „Das ist verdächtig.“ Rund um Crailsheim, wo die Böden schlecht sind und es deshalb noch viele Wiesen gibt, sehe es aber noch ganz passabel aus: „Wenn wir den heutigen Stand halten könnten, wäre das toll“, so Prosi.

Im Übrigen droht teilweise Gefahr von einer Seite, von der man es kaum vermutet: von Honigbienen. Da das Imkern ein beliebtes Hobby geworden ist, wächst die Zahl der Völker – teils würden die Honig- aber kleinere Wildbienen von Pflanzen verdrängen. Wie sagt Rainer Prosi: „Wo man Wildbienen fördern will, sollte man deshalb in einem Umkreis von einem Kilometer keine Honigbienenvölker aufstellen.“