Grünbrücken wie diese sollen es Tieren ermöglichen, Fernstraßen zu queren und zu wandern Foto: dpa

„In der Agrarlandschaft schwindet die biologische Vielfalt dahin wie Schnee in der Sommersonne“, sagt André Baumann, Landesvorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu). Der Verband hat jetzt die Naturschutzziele bis 2020 definiert – damit das Artensterben gestoppt wird.

Stuttgart - Der Nabu ist mit 80 000 Mitgliedern in Baden-Württemberg der größte Naturschutzverband des Landes. Mit seinen Naturschutzzielen legt er sowohl die eigenen Arbeitsschwerpunkte fest als auch die wichtigsten Ziele und politischen Forderungen für die kommenden fünf Jahre. Das Papier löst die Nabu-Naturschutzziele 2015 ab und knüpft an viele dort formulierte Ziele an.

„Insbesondere beim Nationalpark Schwarzwald, bei der Forstwirtschaft und im Moorschutz waren wir in den vergangenen fünf Jahren erfolgreich. Auch weil die Politik oft die Notwendigkeit erkannt und mitgezogen hat“, sagt Baumann. „In vielen Fällen stehen wir im Naturschutz jedoch noch vor großen Herausforderungen.“ Die Ziele sind in sechs Bereiche gegliedert:

Natura 2000: Natura 2000 bezeichnet ein Netz von Schutzgebieten, das innerhalb der EU nach der Fauna-Flora-Habitat- (FFH) und der Vogelschutzrichtlinie aufgebaut wird. „Hier hat uns die EU gewaltige Hausaufgaben aufgegeben, die Baden-Württemberg schnell umsetzen muss“, sagt Baumann. Der Nabu begrüßt, dass dazu in den vergangenen Jahren viele Landschaftserhaltungsverbände (LEV) gegründet wurden.
Zudem habe das Land die Sachmittel für den Naturschutz verdoppelt. Ausreichend sei das jedoch noch nicht: „Wichtig ist, dass die Mittel um weitere 20 Millionen Euro pro Jahr erhöht werden.“ Die LEV bräuchten Geld, um die Managementpläne, die nun fertig würden, besser umzusetzen, meint Baumann. Zudem müssten die Naturschutzverwaltungen personell gestärkt werden, um Pflichtaufgaben bewältigen zu können.
 
Landwirtschaft: Ziel ist, den Rückgang der schützenswerten Arten und Lebensräume nicht nur zu stoppen, sondern eine Trendumkehr einzuleiten – also den Boden zu ebnen für neue Vielfalt. Der Nabu will dazu im Land ein Netz aus repräsentativen landwirtschaftlichen Modellbetrieben aufbauen, bei denen zukunftweisende und nachhaltige Landwirtschaft betrieben wird. Wer artenreiches Grünland – (Streuobst-)Wiesen – so bewirtschafte, dass die ganze Vielfalt erhalten bleibe, müsse vom Staat gefördert werden, sagt Andre Baumann. Dort sei der Verlust an Tier- und Pflanzenarten am größten.
 
Wald: Fünf Prozent der Wälder sollen bis 2020 sich selbst überlassen werden. Damit dieses Ziel erreicht wird, sollen es im Staatswald zehn Prozent sein. Der Nabu will aber stärker die Landkreise, Städte und Gemeinden auch einbinden, die in Baden-Württemberg 39 Prozent des Waldes besitzen. Es geht dabei um eine nachhaltige Forstwirtschaft. Dabei soll das Alt- und Totholzkonzept umgesetzt werden. Auch fordert der Nabu die Zertifizierung nach dem FSC-Gütesiegel. Ausdrücklich steht der Nabu zur Nutzung des nachwachsenden Rohstoffs Holz und unterstützt die regionale Holzwirtschaft mit stärkerer Nutzung heimischer Tannen und Buchen.
 
Moore: Diese sehr nassen Standorte mit dicker Torfschicht bringt man nicht unbedingt mit Baden-Württemberg in Verbindung. Dabei gab es im Land über Jahrtausende großflächige Moorlandschaften. 95 Prozent wurden allerdings entwässert und abgetorft und sind heute Ackerlandschaft. Ein fataler Fehler, wie der Nabu meint. Denn in den Mooren der Welt wird mehr Kohlendioxid (CO2) gebunden als in allen Wäldern der Erde. Der Nabu fordert deshalb die Renaturierung von mindestens 30 Prozent der Moorflächen im Land bis 2020. Bei den Hochmooren sei das relativ einfach, sagt Baumann, weil dort keine Landwirtschaft möglich ist. Schwierig wird es bei den grundwassergespeisten Niedrigmooren.
 
Naturverträgliche Energiewende: Wie vertragen sich der Rote Milan, der Schwarzstorch und das Auerhuhn mit Windrädern? Eigentlich nicht. Doch Tier und Technik könnten nebeneinander existieren, meint Andre Baumann. Er plädiert dafür, Windkraft nicht gerade dort zu starten, wo diese geschützten Vogelarten am häufigsten vorkommen: „Das EU-Naturschutzrecht ist ein scharfes Schwert. Die Genehmigungsverfahren sollten besser nicht in Klageverfahren münden.“ Der Nabu erhofft sich vom Land ein Aktionsprogramm, um die Bestände der betroffenen Vogel- und Fledermausarten außerhalb der Windparks zu fördern.
 
Grüne Infrastruktur: Der Klimawandel zwingt viele Tierarten, sich neue Gebiete zu erschließen – sie müssen wandern. Doch diese Wanderungen enden oft an den Bundesfernstraßen, an Industriegebieten oder Maisäckern. Der Nabu erinnert deshalb an das Bundesnaturschutzgesetz, das einen Biotopverbund von mindestens zehn Prozent der Landesfläche vorsieht. Die grün-rote Landesregierung geht dieses Vorhaben jetzt zwar mit Priorität an, bis das Ziel erreicht ist, werden schon wegen des Grunderwerbs aber noch Jahre oder Jahrzehnte vergehen.
Der Nabu fordert deshalb die naturnahe Umgestaltung von Grünflächen von den Kommunen: bunte Blumenwiesen statt steriler Rasen und heimische Stauden statt Stiefmütterchen. Auch sollen mehr Grünbrücken über die Hauptverkehrswege entstehen: Dies, so räumt Baumann ein, werde wohl aber aus Straßenbaumitteln finanziert werden müssen.