Wie manche Stücke aufbewahrt werden, schmerzt Uwe Hofmann. Foto: Martin Stollberg

Das Magazin des Lindenmuseums ist dem Publikum normalerweise verschlossen. Der Blick ins Allerheiligste offenbart drangvolle Enge bis in die Winkel der Dachschrägen.

Stuttgart-Mitte - Der Gang durchs Allerheiligste beginnt mit einer Fahrt im Lastenaufzug. Ins Depot des Lindenmuseums, die Räume, in denen gelagert wird, was das Publikum üblicherweise nicht zu sehen bekommt, „dürfen auch die Mitarbeiter nur selten“, sagt Martin Otto-Hörbrand, der für die Öffentlichkeitsarbeit eingestellt ist. Höchstens ein Zwanzigstel dessen, was im Magazin lagert, wird je ausgestellt. Die große Mehrzahl der Stücke ist zu Forschungszwecken bestimmt. Manches ist zu wertvoll oder zu empfindlich, um es unter Strahler in Vitrinen zu legen.

Einmal im Jahr lässt das Museum kleine Gruppen Geschichtsbegeisterter in seine Schatzkammer. Höchstens 15 Personen sind zugelassen. Hörbrand drückt die Tür des Lastenaufzugs auf. Jene 15 stehen vor einer Wand blecherner Schranktüren, grob in Grau lackiert, mit Neonlicht beleuchtet. Dies könnte ebenso gut der Aktenkeller des Finanzamts sein.

Die Arbeit im Allerheiligsten hat ihre Tücken

Vor der grauen Front leuchtet das rote Polohemd, das Uwe Hofmann heute früh übergestreift hat. Er ist einer derjenigen, die hier für die Ordnung zuständig sind. Die Arbeit hat ihre Tücken. Manche Exponate fasst er nur mit Atemschutzmaske an. Heute werden Stücke tiefgefroren, um Schädlinge zu töten. Früher wurden Pestizide versprüht. Leihgaben an andere Museen müssen mikroskopisch genau begutachtet werden, um später Schäden beweisen zu können. Seit zwei Jahren wartet er auf die Analyse zweier Schädel, die er nach Freiburg gefahren hat. Die Nachkommen australischer Ureinwohner wollten wissen, ob womöglich Überreste ihrer Vorfahren in einem Stuttgarter Museumsregal liegen.

Aber Hofmanns Hauptaufgabe ist schnöde: zu wissen, wo was zu finden ist. In den vergangenen vier Jahren hat er wenig mehr getan, als zu sortieren. Wohl wurde schon in den Anfängen des Museums jedes Stück in einem Buch registriert, das noch erhalten ist, mit Tusche in Sütterlin. Bedauerlicherweise „wurde aber kein Standort vermerkt“, sagt Hofmann. Im Verlauf der vergangenen rund 120 Jahre geriet eben manches durcheinander.

„Links am Regal vorbei nach Tibet“, sagt Hofmann. Er führt die Gruppe zwischen Regalen, Schrankwänden, Schubladen, Pappkartons hindurch, die sich bis in die Winkel der Dachschräge stapeln. 165 000 Sammlerstücke liegen hier verpackt oder unverpackt – von der Pfeilspitze bis zur mannshohen Grabfigur, vom Schwert, dessen Besitzer für jeden erschlagenen Krieger eine Kerbe in den Griff ritzte, bis zum Symbol des friedlichen Ackerbaus, einem geschnitzten Karren, den zwei Ochsen ziehen. Wäre dies der Dachboden eines gewöhnlichen Hauses, würde Muttern den Kruscht ausmisten, auf dass die Wände ordentlich verputzt würden.

Fotografieren ist verboten

Hofmann fasst das, was er „die Objekte“ nennt, nur mit weißen Handschuhen an. Fotografieren ist verboten. Wer um die Ecke spicken will, wird ermahnt, bei der Gruppe zu bleiben. Gewissermaßen wiederholt sich auf dem Dachboden des Museums Geschichte.

Das Lindenmuseum geht zurück auf den 1882 gegründeten „Württembergischen Verein für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Ausland“. Dessen Zweck war, anhand von Sammlerstücken den Geschmack von Wilden zu ergründen, um Ware herzustellen, die sich in exotischen Landen verkaufen ließ. Zum Museum für Völkerkunde reifte die Initiative, als der später namensgebende Karl Graf von Linden den Vereinsvorsitz übernahm. 20 Jahre später reichte der Platz nicht mehr, um alles unterzubringen, was gestiftet oder auf Expeditionen eingesammelt wurde. Ein Neubau behob die Not.

Heute ist von einem Neubau „immer mal wieder die Rede“, sagt Otto-Hörbrand, aber nur vage. Derzeit wird ein neues Lager am Nordbahnhof bestückt, ebenso groß wie das Dachgeschoss des Museums. Allerdings sind dafür zwei andere aufgegeben worden. Auch in Büros und Werkräumen ist es eigentlich zu eng zum Arbeiten.

Ungeachtet dessen „tut Baden-Württemberg immer noch viel für die Kultur“, sagt Otto-Hörbrand, „man merkt das, wenn man aus anderen Bundesländern kommt“. Im Schnitt zahlen Stadt und Land je zur Hälfte 3,5 Millionen Euro pro Jahr für den Betrieb des Museums. Neue Exponate werden aus Toto-Lotto-Einnahmen bezahlt. Deren Verteilung handeln die Direktoren aller staatlichen Museen im Land untereinander aus – nachdem sie den Glücksspiel-Fördertopf mit Sportfunktionären und Sozialorganisationen geteilt haben. Ansonsten ist das Museum auf Spender und Gönner angewiesen.

„Hier sehen Sie die Platznot“, sagt Hofmann und zieht eine Schranktür auf, hinter der historisches Porzellan geschichtet ist wie Ikea-Teller daheim im Küchenschrank. Die Mitarbeiter mühen sich, die Zeugen der Vergangenheit aus aller Welt schonend zu behandeln, sagt Hofmann, aber „wir müssen mit den Mitteln arbeiten, die wir haben“. Dass ihn manches schmerzt, muss er nicht erwähnen. Figuren der japanischen Mythologie liegen in Schubladen. Sie sind aus Elfenbein und Bambus geschnitzt. Solches Kunsthandwerk „musste man als Kind lernen“, sagt Hofmann. „Sonst lernte man es nie.“ Ein Blatt Papier an einer Wand mahnt, wenigstens die Infrarotmelder freizuhalten. „Sonst kommt es zu teuren Fehlalarmen.“ Gruß, der Direktor.