Für den Bereich Körperpflege geht die jährliche Wachstumsprognose bis 2020 von einem Plus von 1,1 Prozent aus. Foto: Africa Studio - Fotolia

Beim Einkaufen geben sich die Deutschen gesundheitsbewusst. Naturkosmetik gehört für sie zu den gesunden Produkten. Damit bescheren sie der Branche erstmals einen Umsatz in Milliardenhöhe.

Stuttgart/Bad Boll - Bei der Verarbeitung der Misteln hilft der Chef gern mit. Johannes Stellmann (50) ist es auch egal, wenn er um 5 Uhr früh im Garten der Wala Heilmittel GmbH schuftet. Was zählt, ist die Nähe zu seinen Angestellten. Stellmann will wissen, wie es ihnen geht oder welche Aufgaben sie täglich vollbringen. Verantwortung für die fast 1000 Mitarbeiter zeigen, etwa auch mit einer Gewinnbeteiligung, ist nicht das Einzige, was den schwäbischen Naturkosmetik- und Naturheilmittelhersteller Wala von anderen Unternehmen unterscheidet. „Für mich ist Wirtschaft im Kern ein sozialesEreignis“, sagt Geschäftsführer Stellmann. Natürlich benötige ein Unternehmen Profit. Sinn und Zweck unternehmerischen Handelns sei es jedoch, die Bedürfnisse der Mitarbeiter und Kunden zu befriedigen.

Den Kundenwünschen kommt der Betrieb mit anthroposophischen Wurzeln seit 80 Jahren mit homöopathischen Arzneimitteln und seit knapp 50 Jahren zusätzlich mit Naturkosmetik unter der Marke Dr. Hauschka nach. Die Produkte bestehen aus den Pflanzen, die im Garten in Eckwälden bei Bad Boll (Kreis Göppingen) wachsen und per Hand geerntet werden, sowie aus Rohstoffen aus Bio- und Demeteranbau aus Dritteweltländern. Waren die Cremes und Lotionen in den 1980er Jahren noch Bückware in den Läden, macht der Verkauf des Sortiments mit rund 130 Produkten heute drei Viertel des Umsatzes aus. Der lag 2014 bei 129 Millionen Euro. Damit hat Wala in den vergangenen zehn Jahren neben der Mitarbeiterzahl den Umsatz verdoppelt.

Für Firmensprecher Antal Adam sind drei Faktoren wesentlich für Walas Erfolg. In den 1990ern bekam die Kosmetik eine moderne Verpackung. Sonst wäre Prominenz wie die amerikanische Schauspielerin Julia Roberts vielleicht nie auf Dr. Hauschka gestoßen – und würde nicht wie ihre Kollegin Jennifer Aniston oder Sängerin Madonna öffentlich darauf schwören. „Drittens trägt das wachsende Bedürfnis der Menschen nach natürlichen Produkten zu unserem Erfolg bei“, sagt Adam. Grundsätzlich legten nicht mehr bloß hartgesottene Ökos Wert auf Umweltschutz oder Nachhaltigkeit. „Die Menschen wollen aber nicht nur die Welt retten. Sie wollen sich dabei vor allem etwas Gutes tun. Das ist eine dauerhafte Bewusstseinsänderung, kein Trend“, sagt Adam. Eine Umfrage der Unternehmensberatung KPMG und des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) bestätigt das: Vier Fünftel der Deutschen wollen ihre Gesundheit aktiv fördern – und stufen Naturkosmetik als gesund ein.

Naturkosmetik boomt

Naturkosmetik ist das stärkste Wachstumssegment im deutschen Kosmetikmarkt. Der ist laut Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel (IKW) 2014 nur um 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gewachsen und damit gesättigt. Dagegen legte Naturkosmetik beim Umsatz um zehn Prozent zu – und knackte erstmals die Grenze von einer Milliarde Euro. Das geht aus dem aktuellen Naturkosmetik-Jahresreport hervor. Naturkosmetik hat einen Marktanteil von 7,8 Prozent. „Sie ist mit konventioneller Kosmetik in der Funktionalität und Wirkung vergleichbar geworden und im Handel ein selbstverständlicher Bestandteil des Sortiments“, sagt Branchenexpertin Elfriede Dambacher. Seit 2013 seien die Vertriebswege ausgebaut worden. Der Handel präsentiere Naturkosmetik immer stärker auf Großflächen oder in spezialisierten Abteilungen. „Drogeriemärkte spielen bei der Verfügbarkeit eine große Rolle“, sagt Dambacher: Sie verkaufen zwei Fünftel der Ware.

Naturkosmetik trifft der Expertin zufolge den Zeitgeist. Immer mehr Verbraucher interessierten sich für die Hintergründe eines Produkts. „Beim Konsum orientieren sich viele an Werten wie soziale Verantwortung und Glaubwürdigkeit der Hersteller oder ökologische Herkunft und Nachhaltigkeit der Ware“, sagt sie. Aus Sicht von Susanne Eichholz-Klein vom IFH haben Firmen wie Wala auch daher Erfolg, weil sie jene Werte „in allen Facetten vom Mitarbeiter bis in die Unternehmensspitze leben“. Sie stellt fest: „Der Kosmetikmarkt insgesamt wird grüner, und damit auch die Kommunikation. Naturkosmetik holt Verbraucher emotional ab.“ Selbst konventionelle Anbieter bedienen sich grüner Elemente wie Holzböden, damit Kunden die Produkte mit Gesundheit, Wohlgefühl oder Wertigkeit verbinden.

Dass Drogerie- und Supermärkte eigene Naturkosmetik führen, nutzt etablierten Herstellern wie Wala: „Die Handelsmarken sind Türöffner. Sie sind preisgünstig undmachen Kunden neugierig auf Naturkosmetik“, sagt Dambacher. Laut Eichholz-Klein kaufen Kunden ohnehin keine ganze Serie einer Marke, um sie ein Leben lang zu verwenden. „Kunden probieren viel aus. Sie benutzen oft mehrere Produkte parallel.“

Wala hält dem Fachhandel die Treue

Wie Marktführer und Konkurrent Weleda etwa auch in Drogeriemärkte vorzustoßen, lehnt Wala ab. „Wir bleiben im Fachhandel, wo der Kunde eine fundierte Beratung erhält. Die ist bei unseren Produkten wichtig“, sagt Sprecher Adam. Wala könnte den Umsatz „locker um 10 bis 15 Prozent steigern, wenn wir in den Massenmarkt eintreten würden“. Dann aber müsste das Unternehmen Abstriche bei der Qualität hinnehmen, „weil wir nicht mehr genug qualitativ hohe Rohstoffe zur Verfügung hätten“, so Adam, der ein jährliches Umsatzwachstum von fünf bis acht Prozent prophezeit – und einen Verdrängungswettbewerb. „Es überleben nur Marken mit einer großen finanziellen Schlagkraft oder ausgefeilten, innovativen Konzepten.“ Wala setzt auf Letzteres. Jedes Jahr investiert der Betrieb fünf Prozent vom Umsatz in Forschung und Entwicklung.

Branchenkenner bescheinigen Naturkosmetik weiter große Wachstumspotenziale. Jedoch müssen Hersteller sie zielgenau kommunizieren – vor allem so, dass ihre Vorteile neue Kunden erreichen, sagt Dambacher. „Wir brauchen kreative Marketingkonzepte. Nicht bloß die Fakten dürfen im Vordergrund stehen. Es geht auch um Spaß.“ Auch seien einige Produkte verbesserungswürdig. Eichholz-Klein sagt: „Potenzial liegt sicher in der Erweiterung in Warengruppen, die derzeit noch nicht so präsent sind wie Pflegeprodukte für Kinder oder Haarkosmetik.“