Die Fellbacher Naturfreunde haben eine Chronik zum 100-Jahr-Jubiläum veröffentlicht – und lassen darin Geschichte ein Stück weit lebendig werden. Rolf Münchinger erzählt, wie er sich als Kind engagierte – und dafür das Waldheim kostenfrei erleben durfte.
Er zieht einen Zeitungsausschnitt aus der Tasche und hält ihn vor sich. Rolf Münchinger hat auf der Rückseite fein säuberlich folgende Namen notiert: Rolf Dolderer, Gerhard Mergenthaler und Hans Käppeler. Unter den Vornamen von Weik hat er ein Fragezeichen gesetzt. Und dazwischen auch seinen eigenen Namen geschrieben, eben Rolf Münchinger.
Der Fellbacher hat sich auf einem Foto erkannt, das anlässlich eines Berichts zum 100-Jahr-Jubiläum der Fellbacher Naturfreunde veröffentlicht wurde. Das Schwarz-Weiß-Bild zeigt fünf Jungs in kurzen Hosen, die zwei Milchkannen auf einem hölzernen Leiterwagen transportieren. „Das bin ja ich“, habe er beim ersten Anblick des Fotos in der Zeitung gesagt. Das Bild hat bei dem 86-jährigen Fellbacher Erinnerungen geweckt. Und es lässt die Geschichte, die dahinter steckt, wieder ein Stück weit aufleben.
„Wir haben einmal, zweimal oder auch dreimal Wasser am Tag geholt“, erzählt Rolf Münchinger. Mit den Milchkannen, die auf einen Leiterwagen gestellt wurden, ging es dann vom Fellbacher Naturfreundehaus auf dem Kappelberg zu der Dreibronnenquelle. Dort befindet sich heute der Eingang eines Wasserstollens des Zweckverbandes Landeswasserversorgung. Die Quelle in der Nähe des Spielplatzes Wiflinger am Kappelberg gebe es heute nicht mehr. Die Quelle sei damals mit Beton eingefasst und mit einer Tür verschlossen gewesen. Aber mit einem Schlüssel hätten sie Zutritt zur Quelle gehabt und die beiden Milchkannen, die sie auf „dem Wägele“ wie er sagt, stehen ließen, mit einem Schlauch gefüllt. Jede Kanne habe etwa 40 Liter gefasst, zusammen hätten sie also etwa 80 Liter Wasser den Berg raufgefahren und geschoben.
Der Transportweg zum Naturfreundehaus war wohl 400 bis 500 Meter weit, vor dem Naturfreundehaus gab es noch eine starke Steigung, erinnert sich Münchinger. Die Jungen mussten ganz schön anpacken, damit das Wasser zum Naturfreundehaus kam. Das Bild unter dem Titel „Wasserholer“, das auch in der Dokumentation zum 100-Jahr-Jubiläum der Naturfreunde Fellbach zu sehen ist, entstand 1948.
Das Naturfreundehaus bekam erst 1952 eine Wasserversorgung
Das Naturfreundehaus wurde erst später an die Wasserversorgung angeschlossen. „Was Gemeinschaftsarbeit vermag, bewies der Bau der 800 Meter langen Wasserleitung von der Dreibronnenquelle zum Naturfreundehaus. Samstags und sonntags wurden insgesamt 2000 Arbeitsstunden geleistet, davon allein 700 von der Ortsgruppe Untertürkheim. Am 5. Juli 1952 wurde ein Wasserfest abgehalten, bei dem Obmann Willi Rieger allen freiwilligen Helfern dankte“, heißt es in der Chronik.
Das Bild der „Wasserholer“ entstand während der sogenannten Kindererholung. „Dafür, dass wir das Wasser transportierten, durften wir kostenlos am Waldheim teilnehmen“, erinnert sich Münchinger. Dass der Alltag von Kindern und Jugendlichen in der Nachkriegszeit unter ganz anderen Bedingungen stattfand, das macht auch Iris Seher, Jahrgang 1942, deutlich. Sie hat ebenfalls die Wiederanfänge der Naturfreunde nach dem Krieg als Kind erlebt. „Ich bin das Mädchen mit den langen Zöpfen“, sagt sie und zeigt auf das Foto einer Kindergruppe von 1949 der Naturfreunde.
„Gewandert, gesungen und die Gemeinschaft genossen“
Im September 1947 war eine Kindergruppe gegründet worden. Jungen und Mädchen wurden in verschiedenen Altersgruppen betreut. In den ersten drei Jahren stieg die Zahl der teilnehmenden Kinder bis auf 70, heißt es in der Chronik. „Das war ein Riesenandrang“, sagt Iris Seher. „Wir sind gewandert, haben gesungen, die Gemeinschaft genossen“, sagt sie. Damals habe es wenig Alternativen in der Freizeit gegeben.
Iris Seher erinnert sich auch, dass sie in jungen Jahren viel mit angepackt hat. Sie hat damals ihre Eltern bei den Hausdiensten begleitet – da habe sie kräftig mitgeholfen und jede Menge Geschirr gespült. „Damals gab es noch keine Spülmaschine“, sagt sie. „Meine Hände haben danach aufgequollen wie Würstchen ausgesehen, und alles roch nach Senf“, erzählt sie mit Humor. Nach Hause ist es dann obendrein zu Fuß gegangen bis zum Fellbacher Bahnhof, in dessen Nähe sie gewohnt haben. „Es waren harte Zeiten“, sagt Iris Seher. Die Bilder und Sequenzen aus der Jubiläumsschrift der Fellbacher Naturfreunde sind auch ein Stück spannende Alltags- und Sozialgeschichte. Was längst als Standard gilt, war damals alles andere als selbstverständlich. Wie das Beispiel fließendes Wasser aus der Leitung zeigt.
Noch immer sind Iris Seher und ihr Mann den Fellbacher Naturfreunden verbunden. Helmut Seher hat die aufwendig recherchierte Jubiläumsschrift verfasst – und damit auch die Historie der Fellbacher Naturfreunde mit neuen Schwerpunkten und Themen dokumentiert. Die Chronik ist im Fellbacher i-Punkt für zehn Euro und im Fellbacher Naturfreundehaus auf dem Kappelberg zu erwerben.
100 Jahre Naturfreunde Fellbach
Naturfreundehaus
Seit 1946 befindet sich das Haus im Besitz des Vereins der Naturfreunde Fellbach. An Wochenenden und Feiertagen wird es von ehrenamtlichen Hausdienstgruppen bewirtschaftet. Sommerpause ist bis 13. September.
Jubiläum
Im Jahr 1924, also vor 100 Jahren, wurde die Ortsgruppe Fellbach des Touristenvereins Die Naturfreunde gegründet. Aus diesem Anlass wurde ein vielfältiges Programm geschnürt. Die nächste Veranstaltung zum 100-Jahr-Jubiläum findet am 21. September statt. Dann spielt die Fellbacher Kultband Molch Combo von 18.30 Uhr an. Am 6. Oktober geht es um das Thema Wald mit Revierförster Stefan Baranek. Information online: www.naturfreunde-fellbach.de .