Bei Ertingen-Binzwangen darf die Donau natürlich fließen. Foto: LUBW

Ertingen- Binzwangen ist ein beschauliches Örtchen im Landkreis Bi­berach direkt an der schönen blauen Donau. Wer hier lebt, so sollte man meinen, hat die Ruhe für sich gepachtet. Doch das empfinden zwei Familien, die am Ufer wohnen, ganz anders.

Binzwangen - Ertingen- Binzwangen ist ein beschauliches Örtchen im Landkreis Biberach direkt an der schönen blauen Donau. Wer hier lebt, so sollte man meinen, hat die Ruhe für sich gepachtet. Doch das empfinden zwei Familien, die am Ufer wohnen, ganz anders. Seit das Land dort 2009 für 2,5 Millionen Euro ein neues, naturnahes Flussbett angelegt hat, ist es mit der Stille vorbei – auch für die Politik.

„Das ist eine unheimliche Geräuschkulisse, Sie können nicht auf der Terrasse sitzen“, sagt der Landtagsabgeordnete Leo Grimm, der sich der Sache angenommen hat. Vor allem dort, wo das Donaubett aufgefüllt wurde und das Wasser sich den Weg nun zwischen Steinblöcken sucht, herrsche ein einziges Brausen und Rauschen. Nicht unten am Fluss, wohlgemerkt, wo sich Biber und Regenpfeifer tummeln. Sondern oben am Hang. Dort, wo der Mensch wohnt.

Die Dauerbeschallung ging einer Frau so auf die Nerven, dass sie ihr Heil nicht nur im Keller suchte, wohin sie samt Bett und Schrank flüchtete, sondern auch vor Gericht. Das Land müsse die Rampe entweder zurückbauen oder überdeckeln, lautete ihre Forderung. Gutachter wurden eingeschaltet, Gesetzbücher gewälzt, Schalldruckpegel gemessen. Ergebnis: 58 Dezibel, fast so laut wie eine Nähmaschine. Auch einen Vergleichsvorschlag gab es, bei dem das Land anbot, den Freisitz hinterm Haus vor Lärm zu schützen. Doch man einigte sich nicht.

Das Rauschen hört für die Anwohner nie auf

Schließlich kam das Sigmaringer Verwaltungsgericht im Jahr 2011 zu dem Schluss, dass die Klägerin zwar Anspruch auf Schallschutz habe, allerdings nicht tagsüber, sondern nur in der Nacht. Und nur in Form von Schallschutzfenstern im 1. Stock. Also dort, wo die Natur die Nachtruhe stört.

In ihrer Not griffen die lärmgeplagten Anwohner schließlich nach dem letzten Strohhalm: Sie wandten sich an den Petitionsausschuss des Landtags. „Wir haben uns das angesehen und waren uns einig“, sagt Berichterstatter Grimm über seinen Eindruck in Binzwangen: „Da muss man Abhilfe schaffen.“ Gewiss, das Rauschen der Donau könne lieblich und angenehm sein, meint der Liberale. „Aber wenn Sie dort wohnen, hört das ja nie auf!“

Im vergangenen Dezember wandten sich die Abgeordneten jedenfalls an Umweltminister Franz Untersteller mit dem Auftrag, in Binzwangen zusätzlich zu den Lärmschutzfenstern samt Lüftung auch noch eine Lärmschutzwand zu bauen. Kosten: an die 200 000 Euro. Doch das sah sein Amtschef Helmfried Meinel überhaupt nicht ein. Er berief sich vielmehr auf die Paragrafen 6 und 7 der Landeshaushaltsordnung, wonach er dieses Geld gar nicht ausgeben dürfe. Die Ausgaben müssten dem Grunde und der Höhe nach notwendig sein, heißt es dort. Das sind sie in Binzwangen aber nicht, denn die Richter haben bereits abschließend beurteilt, was gegen den Donaulärm notwendig ist: Schallschutzfenster mit Lüftung, sonst nichts. Basta.

„So ein Urteil ist wie in Stein gemeißelt, dagegen kommen Sie nicht an“, bedauert Grimm. Die lärmgeplagte Anwohnerin war augenscheinlich schlecht beraten, gleich zum Kadi zu laufen. Hätte sie zuerst ihre Petition geschrieben, gäbe es noch Spielraum. „Jetzt kann nur noch der gute Wille der Gemeinde helfen“, ruft Grimm laut und deutlich in Richtung Ertingen.

Dort sitzt seit 1. April der neue Bürgermeister Jürgen Köhler im Rathaus und legt die Stirn in Falten. „Was soll ich jetzt sagen?“, stöhnt er, „einen ganzen Leitzordner voller Akten hab’ ich da geerbt.“ Die Donau hält er für „wunderbar renaturiert“, gleichzeitig hat er aber auch Verständnis für das Anliegen der Flussanrainer.

Kein Schallschutzwall für die Anwohner

Nun ist für den 21. Mai ein neues, allerletztes Treffen mit den Hauseigentümern und einem Vertreter des Regierungspräsidiums geplant. Was wird Köhler vorschlagen? „Dass endlich die Schallschutzfenster eingebaut werden, mehr nicht“, sagt er und holt tief Luft. Es sei schon etwas unglücklich, dass der Petitionsausschuss so viel versprochen habe, aber nichts davon einhalten könne.

Dass die Gemeinde Ertingen den Schallschutzwall baut und bezahlt, wie die Hauseigentümer es verlangen, nein, das gehe nun wirklich nicht: „Das hab’ ich gleich abgeblockt.“ Da würde man ja ein riesiges Fass aufmachen. Also doch der Petitionsausschuss? „Das geht auch nicht“, sagt Grimm, „uns sind sämtliche Handlungsmöglichkeiten genommen.“

Damit das Ganze nicht völlig im Sand verläuft, versucht der Abgeordnete, wenigstens Lehren daraus zu ziehen: „Die Akzeptanz solcher Projekte steht und fällt damit, wie mit unvorhergesehenen Problemen umgegangen wird.“ Man müsse solche Renaturierungen eben auch mal aus gewisser Distanz beurteilen, nicht nur direkt am Wasser, sagt Grimm. So etwas wie in Ertingen dürfe sich jedenfalls nie mehr wiederholen.

Gut möglich, dass er schon bald die Probe aufs Exempel machen kann: Die Donau wird weiter renaturiert und darf sich bald auch Richtung Riedlingen austoben.