Wer übernimmt Özils Rolle als Spielmacher? Foto: Getty

Mesut Özil ist weg – und Bundestrainer Joachim Löw steht vor der Herausforderung, einen Nachfolger für die klassische Nummer 10 zu finden. Schon an diesem Donnerstag (20.45/ZDF) in München gegen Weltmeister Frankreich.

München - Thomas Müller rückte den Mann, der Mesut Özils Rückennummer 10 übernimmt, gleich mal ins rechte Licht. Drei Mann aus der Nationalelf gingen die Stufen rauf aufs Podium im Mannschaftshotel am Rande des Englischen Gartens in München, und für Müller war klar, wer wo Platz nimmt. Julian Brandt bildete die Zentrale der Dreierreihe, neben ihm auf den Außen saßen Müller und der Kapitän Manuel Neuer. Müller bestimmte die Szenerie. Die Begründung des Platzhirschs in Richtung des sechs Jahre jüngeren Julian Brandt: „Du sitzt in der Mitte, du stehst ja auch für den Umbruch.“

Thomas Müller also ist gut drauf vor dem ersten Spiel der Nationalelf nach der desaströsen WM an diesem Donnerstag in der Nations League gegen Frankreich (20.45 Uhr/ZDF), was sicher auch daran liegt, dass der Bayern-Profi in München ein Heimspiel hat. Wo Müller künftig auf dem Platz zu Hause sein wird, das aber ist derzeit offener denn je – weil der skandalumtoste Rücktritt von Spielmacher Mesut Özil das Gefüge in der Offensive ordentlich durcheinanderwirbeln wird.

Löws einstiger Lieblingsschüler

Özil trug ja nicht nur die Zehn auf dem Rücken, er war auch ein echter Zehner, ein Spielmacher, ein klassischer Passgeber, ein Ballverteiler. Mit dem einstigen Lieblingsschüler von Joachim Löw ist nun eine Konstante im deutschen Spiel weggebrochen – auch wenn es zuletzt auch über Özils Leistungen und seinen Wert fürs Team in den vergangen Jahren heftige Debatten gab.

Löw steht vor der Herausforderung, einen Nachfolger für Özil zu finden – Kandidaten dafür gibt es neben dem Leverkusener Brandt und Müller zuhauf. Was dabei auffällt: Bis auf den neu nominierten Kai Havertz (ebenfalls Bayer Leverkusen) gibt es dabei keinen klassischen Regisseur vom Typus Özils – das Offensivspiel der deutschen Elf wird sich also mutmaßlich ändern. Thomas Müller, der weit gereiste Weltmeister, sagte über den Einfluss seinen langjährigen Nebenmanns am Dienstag dies: „Mesut war ein Typ, der gerne auch mal aus der Tiefe gekommen ist, der sich die Bälle abgeholt hat und den Ball dann nach vorne weitergespielt hat.“

An guten Tagen war Mesut Özil dabei so etwas wie die Symbolfigur für den intelligenten, für den spielerisch leichten, für den technisch filigranen Stil der Nationalelf des Joachim Löw. Özil schaffte es an seinen Glanztagen als Spielmacher wie kaum ein anderer, mit kleinen Pässen, mit kleinen Drehungen auf engstem Raum gegnerische Abwehrreihen auszuhebeln.

Jetzt ist Özil bekanntlich Geschichte – und wer rückt nun auf seine Position?

Erster Anwärter ist Reus

Einer der heißesten Anwärter ist Marco Reus. Die Özil-Position ist die erklärte Lieblingsposition des Dortmunders, der das auch schon selbstbewusst kundtat: „Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich gerne auf der Zehn spiele“, sagte der 29-Jährige. Mit Reus würde mehr Dynamik in die Offensivzentrale kommen – der klassische Passgeber, der die Kollegen in Szene setzt, ist der Tempodribbler des BVB aber nicht.

Für Reus spricht aber ein Punkt, der unmittelbar mit den Lehren aus der WM in Russland zusammenhängt. Immer nur auf Ballbesitz aus sein, das ist Geschichte in der Nationalelf – Joachim Löw will nun vor allem gegen stärkere Gegner auch mal abwartender spielen und dann den Gegner mit schnellen Kontern überfallen. Im klassischen Ballbesitzfußball brauchte es Özil als klassischen Verteiler und Passgeber. Das hat sich jetzt geändert – Marco Reus hat als schneller Umschaltspieler gute Karten für die Position in der Zentrale. Womöglich sogar die besten.

Auch Leon Goretzka ist ein Kandidat. Der Neuzugang des FC Bayern ist torgefährlich, zweikampfstark und energisch. Der perfekte Dreiklang modernen Mittelfeldspiels. Aber auch er ist, wie Reus, kein Spielmacher der Özil-Schule.

Kandidaten gibt es genug

Und Julian Brandt, der Mann mit der Nummer 10? Der sprach am Dienstag in der Mitte des Podiums davon, dass er versuche in diese Nummer reinzuwachsen – und ergänzte: „Ich glaube, ich passe da rein.“ Brandt verkörpert die gleichen Eigenschaften wie Reus, für ihn sprechen Tempo und Dynamik – ebenso wie für Julian Draxler von Paris St-Germain. Reus, Brandt, Draxler und auch Leon Goretzka eint, dass sie auch auf den offensiven Außenpositionen spielen können, ebenso wie Müller, der Raumdeuter, der sich überall wohlfühlt. Auch Müller könnte Özil in der Zentrale ersetzen. Ebenso wie Ilkay Gündogan, der im Zentrum variabel einsetzbar ist.

Fakt ist also: Kandidaten für die Özil-Nachfolge gibt es zuhauf, allerdings gibt es den klassischen Spielmacher – bis auf Havertz – nicht mehr. Den Verlust Özils muss das Team als Team kompensieren, womöglich in flexibleren Systemen als zuvor, womöglich auch in einem permanenten Wechselspiel während der Partien.

Das ist allein schon aufgrund der Vielseitigkeit von Reus, Goretzka, Müller und Kollegen möglich. Dabei wird der Auftritt mutmaßlich etwas dynamischer – aber Özils Ballsicherheit wird der Mannschaft womöglich bald fehlen.