Im Tor der italienischen Handball-Nationalmannschaft: Domenico Ebner. Foto: Isabella Gandolfi

Im Oktober 2017 kommt ein Anruf aus Italien – und danach geht alles ganz schnell. Domenico Ebner von Bundesliga-Aufsteiger SG BBM Bietigheim wird unverhofft zum Nationalkeeper eine Landes, dessen Sprache er gar nicht beherrscht.

Bieitigheim-Bissingen - Der italienische Handball-Meister? Junior Fasano heißt dieser Club. Wie es der Zufall so will, liegt der Ort in der Region, wo ein großer Teil der Verwandtschaft von Domenico Ebner lebt. Doch Handball-Experten sind seine Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins in Apulien deshalb noch lange nicht. Sie wussten zwar, dass ihr sportiver deutscher Verwandter ziemlich gut in einem Ballsport ist, in dem die Hände eine wichtige Rolle spielen. „Doch es war ein hartes Stück Arbeit, bis ich ihnen klar gemacht habe, dass ich nicht Basketball spiele, sondern Handball“, sagt der Torwart des Bundesligisten SG BBM Bietigheim mit einem verschmitzten Grinsen.

Die Mama stammt aus der Nähe von Bari

Hinter König Fußball sind Basketball, Volleyball und Wasserball in Italien weitaus populärer als die Randsportart Handball. Das ist natürlich auch Domenico Ebner nicht verborgen geblieben. Dennoch hat sich der 23-Jährige dafür entschieden, für die italienische Handball-Nationalmannschaft zwischen die Pfosten zu stehen. Wie es dazu kam? Jürgen Brantner, dem Co-Trainer der Azzuri, war sein Vorname in einer Handball-Zeitschrift aufgefallen. Er kontaktierte Ebner im Oktober 2017 via Facebook und fragte dezent an, ob er denn im Besitz der italienischen Staatsbürgerschaft wäre. Da Ebners Mutter im Alter von sechs Jahren mit ihren Eltern aus der Nähe von Bari nach Deutschland übersiedelte und ihren Sohn später beim italienischen Konsulat anmeldete, war es möglich, den Pass zu beantragen. Doch damit war noch nicht automatisch klar, dass er die Herausforderung annehmen wird. Ebner machte sich erst noch schlau, ob bei einem Einsatz für Italien die Tür für eine mögliche spätere Berufung für die deutsche Nationalmannschaft nicht für alle Zeiten zu sei. Die Auskunft der europäischen Handballföderation (EHF) lautete: Nein. Mit einer Pause von drei Jahren ist ein solcher Wechsel möglich. Nach Rücksprache mit der Familie und seinem Berater Markus Becker gab Ebner den Italienern grünes Licht.

Wenig professionelle Busfahrten

„Sportlich und menschlich bringt mich das weiter. Zudem will der Verband den Handball neu strukturieren“, begründet Ebner seiner Entscheidung. Anfangs wunderte er sich über wenig professionelle Fahrten im 20-Sitzer-Bus zu den Spielorten, über unorthodoxe Wurftechniken seiner Mitspieler, doch unter dem neuen Trainer Riccardo Trilini geht es in die richtige Richtung. Er bringt frischen Wind, setzt auf die besten Spieler und nicht wie sein Vorgänger nur auf Handballer, die auch in der italienischen Liga spielen, die mit ihren 14 Teams und einem Zuschauerschnitt von etwa 400 ohnehin so gut wie keinen interessiert. Inzwischen setzt sich die Nationalmannschaft aus Spielern zusammen, die auch in der französischen zweiten Liga, der ersten slowenischen Liga oder auch in Luxemburg zum Sprungwurf ansetzen. Doch der Star kommt aus Deutschland. Der Star ist Domenico Ebner.

„Man of the match“ beim TV-Live-Spiel

Um tatsächlich schon beim Qualifikationsturnier für die WM 2019 im Tor zu stehen, musste alles ganz schnell gehen. Mitte Dezember des vergangenen Jahres beantragte er den italienischen Pass, am 23. Dezember hatte er ihn in der Tasche, am 27. Dezember war der erste Lehrgang, und Anfang Januar 2018 stand er schon im Tor. In Bozen gelang gegen die Ukraine ein sensationeller 29:28-Sieg. Die Halle war mit 1500 Zuschauern ausverkauft. Das Spiel wurde live im italienischen Fernsehen übertragen. Der überragende Ebner bekam die Auszeichnung „Man of the Match“.

Zur WM-Qualifikation reichte es wegen einer Niederlage gegen Rumänien nicht. Der gefeierte Held war Ebner dennoch: Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er die Interviews fürs italienische TV in Deutsch geben musste. Notgedrungen übernahmen seine Südtiroler Mitspieler die Dolmetscher-Rolle. Denn der gebürtige Freiburger, der einen deutschen Vater hat und im südbadischen Denzlingen aufgewachsen ist, spricht kein italienisch. „Immerhin die Hymne habe ich mit Inbrunst mitgesungen“, versichert Ebner und – wie so oft, wenn der 1,92-m-Mann spricht – blitzt ein Lächeln auf: „Die habe ich davor zu Hause mit meiner Mutter immer wieder geübt.“

Mayerhoffer voll des Lobes

Das passt zu Ebner. Als „ungemein trainingsfleißig, lernwillig, wissbegierig“, beschreibt ihn Hartmut Mayerhoffer. Der Trainer von Frisch Auf Göppingen hat den Keeper 2016 vom Drittligisten SG Köndringen/Teningen nach Bietigheim geholt und arbeitete dort zwei Jahre mit ihm zusammen. Ausgerechnet beim überraschenden 30:29 der SG BBM am 23. September 2018 gegen Mayerhoffers neuen Club bestand Ebner, der nebenbei auch die C2-Jugend des Aufsteigers trainiert, mit tollkühnen Paraden seine Feuertaufe in der Bundesliga. Dass nach diesem Spieltag nicht nur er, sondern auch seine Freundin Nicole Roth (Torhüterin bei Bundesligist Neckarsulmer Sport-Union) in der „Handballwoche“ in der der Mannschaft der Woche stand, rundeten seinen Handball-Feiertag ab.

EM 2020 im Visier

Vom 22. Oktober an geht das Abenteuer Italien für den ausgebildeten Fach-Informatiker weiter – dann stehen in der Nähe von Venedig gegen Russland und Ungarn Qualifikationspiele zur EM 2020 an, die in Österreich, Schweden und Norwegen ausgetragen wird. „Die Teilnehmerzahl wird auf 24 erhöht, unsere Chancen steigen“, meint Ebner. Er will internationale Erfahrung sammeln. Er will den maximalen Erfolg. Dann gehen seine Mundwinkel nach oben: „Und ein bisschen ist die Zeit bei der italienischen Nationalmannschaft auch wie Urlaub.“ Ganz im Gegensatz zur Bundesliga: Im Kampf gegen den Abstieg geht es an diesem Sonntag (16 Uhr) zum VfL Gummersbach.