Auf Steinen sitzend betrachten die Besucher die spektakuläre Landschaft im Yosemite-Nationalpark. Foto: Andreas Hub/California Travel Tourism

Gletscher, Wüsten, Canyons, Berge - die USA waren die erste Nation, die erkannte, dass ihre Naturlandschaften schützenswert sind. Vor 100 Jahren wurde die Nationalparkbehörde NPS gegründet.

Als Roland Spies seinen Kollegen von seinem Plan erzählte, erklärten sie ihn für wahnsinnig. Nach dem Besuch des Glacier-Nationalparks in Montana hatte der 54-jährige Versicherungsangestellte aus Illinois voller Begeisterung beschlossen, alle 59 Nationalparks der USA zu besuchen. Das war vor vier Jahren. Inzwischen ist er zu 34 Parks gereist, die oftmals Tausende Kilometer voneinander entfernt liegen. Und da Spies zu Euphorie neigt, wurde er erst Mitglied, dann Präsident des National Park Travelers Club, der Vereinigung der Nationalpark-Fans. Die haben es sich zum Ziel gesetzt, so viel Zeit wie möglich in den insgesamt 408 Sehenswürdigkeiten zu verbringen. Vor 100 Jahren, im August 1916, begründete Präsident Woodrow Wilson die US-Nationalparkbehörde, den National Park Service (NPS). Das von Wilson unterzeichnete Gesetz betraute den NPS mit der Aufgabe, die damals bestehenden 35 Parks zu verwalten, deren „Landschaften, Naturdenkmäler und historische Stätten samt Tier- und Pflanzenwelt zu schützen und sie für künftige Generationen zu bewahren“. Erstmals gab es eine Behörde, die sich um den Umweltschutz kümmerte.

Ein Jahrhundert später umfassen die US-Nationalparks Geysire, Mangrovenwälder, Gletscher, Strände, Korallenriffe, Vulkane, Wüsten, Höhlen und Berglandschaften. Sie erstrecken sich von American Samoa in der Südsee bis in die Arktis, beherbergen neben Naturlandschaften viele Gedenkstätten für bedeutende Persönlichkeiten, Wanderwege, historische Schlachtfelder, Indianersiedlungen, Gefängnisse, Schiffswracks und die Absturzstelle des United-Airlines-Flugzeugs, das am 11. September 2001 auf einem Feld in Pennsylvania zerschellte. Die Gesamtfläche der verwalteten Gebiete beträgt 340 000 Quadratkilometer - das ist nur geringfügig weniger als die Fläche Deutschlands. „Ziemlich viel zu sehen“, sagt Spies und schmunzelt. Heute beschäftigt die Behörde etwa 22 000 Angestellte vom Ranger bis zum Wissenschaftler. Der chronisch von Haushaltskürzungen betroffene NPS wird unterstützt von etwa 220 000 ehrenamtlichen Helfern. 2014 kamen 293 Millionen Besucher in die Parks, nur wenige mehr als im Jahr 2000 (285 Millionen). Denn viele - vor allem die populäreren - Parks sind inzwischen an ihrer Kapazitätsgrenze angekommen. Auto-Staus am Canyon-Rand, Warteschlangen an Aussichtspunkten, Abgasschwaden in engen Bergtälern schmälern die Naturerfahrung der Besucher. Die Parkverwalter versuchen vor allem mit Verkehrsmanagement der Massen Herr zu werden: Zahlreiche Parks bieten Shuttlebusse und Elektrozüge an.

Der Besuch der Parks ist für alle erschwinglich

Denn noch immer ist der Besuch der Parks günstig und für weite Bevölkerungsschichten erschwinglich: Viele der Einrichtungen sind kostenlos, der „America the Beautiful Pass“ kostet 80 Dollar (71 Euro) und gewährt ein Jahr lang Zutritt zu allen Parks. Das rentiert sich für die meisten Besucher, denn schon der einmalige Besuch des Grand Canyon kostet 30 Dollar (26 Euro). Der leichte Zugang gehört zum Prinzip der Nationalparks: Erstmals in der Geschichte der Menschheit wurde Land nicht für Nutzung durch den Adel oder privilegierte Gruppen reserviert, sondern für gewöhnliche Bürger. Der US-Schriftsteller Wallace Stegner bezeichnete die Nationalparks daher auch als „die beste Idee, die wir jemals hatten. Absolut amerikanisch, absolut demokratisch, spiegelt diese Idee unsere besten Seiten wieder.“ Bereits 1864 war ein erstes Naturschutzgebiet (im heutigen Yosemite-Nationalpark in Kalifornien) definiert worden. 1872 schuf der US Congress den ersten Nationalpark der Welt, Yellowstone, in den damaligen Territorien von Wyoming und Montana, „zum Nutzen und zur Freude der Menschen“. Damit waren 9000 Quadratkilometer Fläche Jägern, Holzfällern, ambitionierten Tourismusförderern und den Ausbeutern von Bodenschätzen entrissen worden. Die Wasserfälle, Seen, Berge und heißen Quellen von Yellowstone galten als kaum glaubliche Attraktionen für die noch wenigen Besucher aus den Städten der Ostküste. Die ersten Park Ranger waren Kavalleriesoldaten.

In den Folgejahren entstanden meist im Westen der USA einige Dutzend Nationalparks unter der Ägide ganz verschiedener Behörden. Erst mit der Gründung des NPS wurden die diversen Ländereien und Naturdenkmäler einer zentralen Stelle unterstellt. Mehrere Gesetze regeln seitdem die stete Erweiterung der vom NPS verwalteten Einheiten. In den 1930ern und den 1960ern kamen historische Stätten dazu, 1964 unberührte Gebiete, 1968 folgten Flussläufe und Langstreckenwanderwege. In den 1970ern trat der Umweltschutzgedanke weiter in den Vordergrund. Nun wurde den Parks auch die Aufgabe übertragen, für das Überleben bedrohter Tier- und Pflanzenarten zu sorgen. Später wurden die Parks für den Erhalt archäologischer Stätten zuständig, vor allem Grabstätten der indianischen Ureinwohner. 100 Jahre nach der Schaffung der Nationalparkbehörde ergeben Meinungsumfragen, dass die Nationalparks - bezeichnenderweise nach dem Shopping - der wichtigste Grund ausländischer Touristen für einen USA- Besuch sind. Sie sind Symbole für den amerikanischen Nationalstolz geworden. Die Schutzgebiete spiegeln auch immer mehr die Sehnsucht wider nach unberührter Naturschönheit, nach Orten, an denen der Mensch erhabenen Landschaften huldigt und sich ganz klein fühlen kann. Die meist vorbildliche und umsichtige Erschließung der Parks durch die Behörde ermöglicht so gut wie allen Bevölkerungsschichten den Zugang, vor allem Behinderten, denen Naturerlebnisse sonst versagt blieben. Daher ist auch Roland Spies’ wichtigster Tipp für den Besuch der Nationalparks: „Steigen Sie aus Ihrem verdammten Auto aus. Atmen sie durch. Und genießen Sie es.“