Noch zweieinhalb Monate bis zur WM: Joachim Löw will bis dahin noch einiges korrigieren Foto: dpa

An diesem Mittwoch (20.45 Uhr/ARD) spielt die Nationalmannschaft in Stuttgart gegen Chile. Bundestrainer Joachim Löw fordert im Interview von seinen Spielern schon jetzt: Bei der WM im Sommer „müssen wir hart im Nehmen sein“.

An diesem Mittwoch (20.45 Uhr/ARD) spielt die Nationalmannschaft in Stuttgart gegen Chile. Bundestrainer Joachim Löw fordert im Interview von seinen Spielern schon jetzt: Bei der WM im Sommer „müssen wir hart im Nehmen sein“.

Stuttgart – Bom dia, Senhor Löw, wie ist es 99 Tage vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien um Ihre Portugiesisch-Kenntnisse bestellt?

Im Moment fällt mir spontan nicht viel ein, obwohl Cacau versucht hat, uns im November ein bisschen was beizubringen. Ich habe alles vergessen (lacht).

Cacau ist aktuell nicht im Kader der Nationalmannschaft, auch andere VfB-Spieler sind nicht dabei. Haben Sie mal darüber nachgedacht, junge Spieler wie Timo Werner oder Antonio Rüdiger zu nominieren?
Wir beobachten diese Spieler ganz genau. Rüdiger gehört ja zum Team der U 21, und Timo Werner hat in der Hinrunde einige richtig gute Spiele gemacht. Er hat riesengroßes Talent. Und dann gibt es ja auch noch Moritz Leitner und Rani Khedira.
Die Lage des VfB hat es für diese Spieler sicherlich nicht einfacher gemacht, sich für die Nationalelf zu empfehlen. Wie sehen Sie die Situation in Cannstatt?
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass der VfB noch so unten reinrutscht. Die Qualität der Mannschaft verspricht normalerweise Besseres. Aber natürlich bin ich kein Kenner, was intern passiert. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass der Weg, den die Verantwortlichen beim VfB einschlagen wollen, mit vielen jungen und hochtalentierten Spielern, der richtige ist.
Ist dieser Weg mit dieser Mannschaft denn möglich?
Der Club hat eine gute Jugendarbeit. Von daher müsste dieser Weg auch möglich sein. Man darf in schwierigen Situationen nur die jungen Spieler nicht zu sehr unter Druck setzen.
Wie meinen Sie das?
Bei manchen Clubs wird der Fokus teilweise zu sehr auf die Jungen gelegt. Doch die Spieler sind vielleicht noch nicht in der Lage, die Mannschaft zu tragen, wenn es mal nicht läuft. Da wird der Druck vermutlich zu groß. Dass die Spieler beim VfB hochtalentiert und in ihrem Alter schon sehr, sehr gut sind, steht jedoch außer Frage.
Haben Sie eigentlich mal bei VfB-Trainer Thomas Schneider angerufen, um ihm einen Rat zu geben, oder tut ein Bundestrainer das nicht?
Ich habe ihn am Montag kurz gesehen, aber ich glaube nicht, dass es notwendig ist, ihm zwischen Tür und Angel Tipps zu geben. Thomas ist ein akribischer Arbeiter und kann die Situation, glaube ich, ganz gut einschätzen.
Die Stuttgarter hoffen auf den Klassenverbleib, die gesamte Nation auf den WM-Titel. Setzt Sie das unter Druck?
Die Sehnsucht, einen Titel zu gewinnen, spürt man natürlich. Sie ist immens groß, weil es schon längere Zeit keinen gab. Für uns ist der Druck aber nicht unbedingt größer geworden. Seit ich dabei bin, sind die Erwartungen immer hoch, wenn wir zu einem Turnier fahren.
Die Amtszeit eines Bundestrainers wird immer auch an Titeln gemessen.
Natürlich. Das ist nicht nur in Deutschland so. Wenn es bei einem Turnier eine Enttäuschung gibt, wechseln ja viele Verbände den Trainer.
Ihr Vertrag wurde erst vor kurzem bis 2016 verlängert. Bleiben Sie so lange?
Die grundsätzliche Überlegung war, dass wir den Weg gemeinsam weitergehen wollen. Der DFB wollte den Vertrag mit uns verlängern, weil die Entwicklung insgesamt sehr positiv ist. Über das, was nach der WM ist, mache ich mir jetzt noch keine Gedanken. Ich gehe aber davon aus, dass wir bis 2016 dabei sind, obwohl ich mir bewusst bin, dass es nach der WM auch Veränderungen geben kann.
Zumal die Erwartungen sehr hoch sind.
Grundsätzlich wird im Vorfeld natürlich immer der Titel erwartet. Nachher wollen die Menschen eine Mannschaft sehen, die positiv auftritt, dass der Teamgeist passt, die Mannschaft mit Freude und Leidenschaft Fußball spielt und alles aus sich rausholt. Wobei jeder im Hinterkopf hat, dass man im Viertel- oder Halbfinale auch im Elfmeterschießen ausscheiden kann, obwohl das Team sehr gut gespielt hat. Dann wird so ein Turnier ein bisschen anders bewertet.
Noch hat nie eine europäische Mannschaft in Südamerika ein Turnier gewinnen können. Warum sollte das dieses Mal anders sein?
Ja, das stimmt, aber das muss ja nicht so bleiben. Für uns ist es ein Ziel, eine zusätzliche Motivation, die Ersten zu sein, die es schaffen. Prognosen abzugeben ist aber schwer. Es ist fast nicht möglich einzuschätzen, was bei so einem Turnier passiert. Wir müssen uns gut vorbereiten und uns auf die Gegebenheiten einstellen, damit wir die 80 Millionen Bundesbürger und Fußballfreunde zufriedenstellen und mit unserem Fußball begeistern.
Sie reden oft von den schwierigen klimatischen Bedingungen in Brasilien. Geben Sie damit dem Team nicht auch ein Alibi für den Fall, dass es nicht läuft?
Wir zählen nur die Fakten auf, die es gibt. Es sind keine Ausreden, wenn ich sage, es hat dort 30 Grad, und die Luftfeuchtigkeit ist hoch. Wir müssen die Spieler informieren, was auf sie zukommt, damit sie sich damit auseinandersetzen können. Und das möglichst frühzeitig. Nicht erst einen Tag vorher.
Was kann denn noch alles auf die Spieler zukommen?
Wir spielen um 13 und 16 Uhr Ortszeit. Das sind Zeiten, die für uns gewöhnungsbedürftig sind. Deshalb müssen wir unseren Rhythmus umstellen. Wir müssen in Brasilien hart im Nehmen sein. Wir dürfen nicht überrascht sein, wenn die Wege länger sind, es vielleicht mal kein warmes Wasser oder kein warmes Essen gibt. All diese Dinge können ja passieren. Dennoch sage ich auch immer: Wir dürfen nicht lamentieren und uns nachher nicht über diese Dinge beschweren.
Ausreden will am Ende ja auch keiner hören.
Genau. Hinterher müssen wir nicht sagen, dieser oder jener Spieler war verletzt. Das war schon 2010 so, als zum Beispiel Michael Ballack kurzfristig ausfiel. Das wollte ja auch niemand hören. Die Mannschaft muss sich auf dem Platz beweisen, muss gut auftreten – egal, was drum herum passiert. Daran wird man nach einem Turnier gemessen, nicht immer nur am Titel. Es hängt schon auch davon ab, wie eine Mannschaft spielt.
Ihre Mannschaft gilt aber als eine der besten, die Deutschland je hatte.
Das höre ich natürlich ständig. Auf dem Papier haben wir eine sehr gute Mannschaft, aber das ist dann so wie bei den Jungs, die mit Sammelbildern eine Topmannschaft bilden. Die Realität sieht im Moment anders aus. Wir haben noch nicht genügend Spieler in weltmeisterlicher Form. Einige sind verletzt, andere haben bis heute wenig Spielrhythmus und Selbstbewusstsein. Aber wir haben noch zweieinhalb Monate und müssen noch einiges korrigieren.
Apropos Selbstbewusstsein. In der vergangenen Woche hat Schalke 1:6 gegen Real Madrid in der Champions League verloren. Wieder einmal hatten die Spanier die Nase vorn.
Das hat sich jetzt nicht unbedingt gut angefühlt, wenn Deutschland das Duell gegen Spanien so deutlich verliert. Das ist natürlich nicht gut.
Drücken Sie den deutschen Teams eigentlich die Daumen, oder hoffen Sie, dass dieses Mal vielleicht doch der eine oder andere früher zur Nationalmannschaft stoßen kann?
Ich drücke die Daumen. Für unsere Spieler ist es wichtig, auf internationalem Niveau weit zu kommen. Da wünscht sich niemand, dass sie frühzeitig ausscheiden.
Zunächst einmal testen Sie jetzt aber an diesem Mittwoch in Stuttgart. Freuen Sie sich, wieder mal in das Stadion zu kommen, in dem Sie nicht nur mit dem VfB Stuttgart erfolgreich gewesen sind?
Auch wenn es nicht das erste Mal ist, dass ich wieder hier bin, freue ich mich auf das Spiel. Wir haben gute Erinnerungen an das Stadion, auch was die Nationalmannschaft betrifft. Wir hatten hier 2006 ein unvergessliches Spiel bei der WM gegen Portugal. Nach der WM 2010 gab es ein tolles Spiel gegen Brasilien. Ich komme immer wieder gerne nach Stuttgart.