Schulterschluss auf dem Platz – abseits des Rasens positionieren sich die DFB-Spieler neu. Foto: dpa

Erst die EM-Pleite, dann die Schockstarre, zuletzt die Kritik. So gesehen war das 6:1 in Irland ein Hauch von Erlösung. In der Nationalelf verschieben sich die Kräfte, die Spieler nehmen sich verstärkt in die Pflicht – und das ist gut so.

Berlin - Es ist höchste Zeit, mit den Gewohnheiten der Vergangenheit zu brechen. Zum Beispiel, was den Spielerrat in der deutschen Nationalmannschaft angeht. Dem Führungsgremium gehört, zumindest auf dem Papier, noch immer Arne Friedrich an, der schon lange keine Rolle mehr spielt. Auch Per Mertesacker hat seit der EM, als Mats Hummels seinen Platz in der Innenverteidigung übernahm, eher an Gewicht innerhalb der Mannschaft eingebüßt. Gegen Irland spielte Mertesacker zwar wieder, aber nur, weil sein Dortmunder Konkurrent verletzt war. Die personellen Veränderungen auf dem Platz sollen sich demnächst im Spielerrat widerspiegeln. Sami Khedira, der sich bei Real Madrid und in der Nationalelf als eine starke Führungspersönlichkeit etabliert hat, ist ein heißer Kandidat für einen der freien Plätze. Und die Dortmunder Fraktion dürfte ebenfalls einen Platz neben Kapitän Philipp Lahm, Vize Bastian Schweinsteiger, Manuel Neuer (alle FC Bayern) und Miroslav Klose (Lazio Rom) beanspruchen. „Wir sind im Moment dabei, uns darüber Gedanken zu machen. Das Thema Mannschaftsrat ist aktuell in Arbeit“, sagt Lahm.

Das Stühlerücken im Führungsgremium steht stellvertretend für den Wandel, den die Mannschaft seit dem EM-Aus durchmacht. Sie ordnet ihr Innenleben neu, die Kräfte verschieben sich, jeder Einzelne sucht sich seine Position in der komplizierten internen Machtstruktur, die sich nicht zuletzt in den beiden Blöcken zwischen Spielern von Bayern München und Borussia Dortmund niederschlägt. Manuel Neuer sagt zwar: „In der Nationalmannschaft gibt es nicht den Bayern- und den Dortmund-Block, da sind wir alle der Nationalmannschafts-Block.“

„Jetzt ist ein bisschen Reibung da“

Doch die Konkurrenz zwischen den Vertretern des Rekordmeisters und denen des aktuellen Meisters lässt sich nicht leugnen. Auch wenn sie in der DFB-Auswahl alle an einem Strang ziehen, beäugen sie sich doch gegenseitig. Das wirkt sich auch auf das interne Klima aus. „Wann hatten wir schon eine Situation, dass so viele spielen können“, fragt Manager Oliver Bierhoff und freut sich: „Jetzt ist ein bisschen Reibung da.“

Wenn sich bewahrheitet, dass Reibung Leistung und damit Erfolg erzeugt, dann lag Bastian Schweinsteiger richtig, als er das interne Klima öffentlich beanstandete. Der „gute Geist“, der aktuell den FC Bayern auszeichne, sei bei der Nationalelf während der EM so nicht vorhanden gewesen. Schwein-steiger sagte es mit Kalkül, denn: „Wir müssen den einen Schritt mehr gehen, um Titel zu gewinnen. Wir müssen an jedem kleinen Rad gut sein, um die großen Spanier auch mal zu schlagen.“ Bundestrainer Joachim Löw und Bierhoff versuchten zunächst alles, um das Thema auszuräumen, freilich ohne Erfolg: Der anschwellende Chor der Schweinsteiger-Fürsprecher war stärker. Nach und nach wagten sich weitere Spieler vor, um Versäumnisse und Nachlässigkeiten anzuprangern. Philipp Lahm bestätigte Schweinsteiger indirekt, als er sagte: „Wenn ein erfahrener Spieler wie er etwas sagt, müssen alle die Ohren spitzen und sich hinterfragen. Deshalb finde ich sehr wichtig, was er gesagt hat.“ Thomas Müller, noch ein Bayern-Profi, unterstützte die Aussagen ebenfalls.

Auch die sportliche Führung scheint bereit, ihre Positionen zu überdenken

Sami Khedira, der ehemalige Profi des VfB Stuttgart, warnte vor einem Schlendrian: „Es geht darum, konsequent als Einheit und Mannschaft aufzutreten. Diese Marschroute ist verloren gegangen. Wir haben im Erfolg die Kleinigkeiten vergessen, die ganz wichtig, ja elementar sind für unser Spiel“, sagte der Mittelfeldmann. Das Team habe durch die Erfolge der Jahre 2010 und 2011 vergessen, weshalb es eigentlich die Spiele alle gewinne: „Da schleicht sich etwas ein, dann kommen die ersten Niederlagen und schlechte Spiele.“ Und auch Miroslav Klose äußerte versteckte Kritik, als er sagte: „Gegen Österreich haben wir versucht, uns läuferisch zu schonen.“

Anders als früher, als die Nationalspieler eher empfindlich auf Kritik reagierten, nehmen sie sich jetzt in die Pflicht und übernehmen Verantwortung. Zunächst stärkt sich jeder selbst den Rücken. Zielführend ist der Prozess aber nur dann, wenn er das Erfolgsstreben der Mannschaft neu anstachelt.

Bemerkenswert dabei ist, dass auch die sportliche Führung bereit scheint, ihre Positionen zu überdenken. Joachim Löw wirkt härter als früher, sein flüchtiges Bekenntnis zu Marcel Schmelzer rief sogar Oliver Bierhoff auf den Plan. Er sprach von einer „unglücklichen Aussage“ des Bundestrainers. Derart distanzierte Töne sind ungewohnt, doch Bierhoff hat aus dem Nachbeben der EM gelernt: „Manchmal sind wir dankbar“, sagte er, „dass Kritiken uns fokussieren lassen und uns wieder zusammenführen.“