Im Rems-Murr-Kreis leben viele Eingewanderte. Einige brachten in ihrem Reisegepäck ihre Instrumente mit. Auch deren Nachkommen machen Musik und schaffen eigene Songs – wie der Singer-Songwriter Nasim Kholti.
Bei Nasim Kholti dreht sich seit Kurzem fast alles ums Liedermachen. „Ich habe mich vor etwa einem Jahr als Musiker selbstständig gemacht“, sagt der 39-Jährige. „Ich konnte mir lange Zeit nicht vorstellen, dass ich meinen festen Job aufgebe.“ Kholti hatte nach seinem Abitur am Burg-Gymnasium in Schorndorf Sozialarbeit in Ludwigsburg studiert und arbeitete zuletzt als Bewährungshelfer beim Land Baden-Württemberg. Doch im Frühjahr 2023 startete er einen Testlauf: Er wollte herausfinden, ob das mit der Musik als Vollzeitjob ein tragfähiges Projekt ist – oder eher eine wolkenkuckucksheimartige Luftnummer.
Also ging er auf Tour. Aber statt in einen Band-Bus stieg Kholti auf den Sattel seines Fahrrads. Er startete mit seinen Musikerfreunden Florian Ostertag und Martin Grünenwald zu einer Live-Tour durchs Ländle. Tagsüber radelten sie und genossen die landschaftlichen Schönheiten Südschwabens. Ihre Gitarren trugen sie in Rucksäcken auf dem Rücken, das Schlagzeug hoppelte in einem Anhänger hinterher. Und der Rest kam in den Satteltaschen unter.
Wie ein Befreiungsschlag nach der Corona-Zeit
Wie fahrende Gaukler oder Wandermusikanten waren sie zwischen Schönbuch und Bodensee unterwegs. Abends standen sie mitunter körperlich ziemlich geschafft auf der Bühne und machten Musik. Sie luden die Einwohner zum Konzert ein und ließen den Hut rumgehen. Nach der Corona-Zeit wirkte das Ganze wie ein Befreiungsschlag. Stets dabei war auch der Filmemacher Niclas Mehne. Er schuf daraus eine Dokumentation. Das Land förderte das Projekt. Und Nasim Kholti selbst? Er strampelte sich bei dieser Radtour musikalisch frei. Seinen Job als Bewährungshelfer hat er nun erst einmal auf Eis gelegt. Schon früher bei seinen Wohnzimmer-Konzerten im Elternhaus habe er gespürt, dass er das Talent besitzt, die Leute zu unterhalten. „Wenn du die Leute im Wohnzimmer begeistern kannst, dann schaffst du es auch auf der Bühne“, sagt er.
Und im Grunde lag ihm die musikalische Welt ja schon als Kleinkind zu Füßen. „Bei mir im Elternhaus lagen immer Klanghölzer und andere musikalische Sachen herum.“ Es gab zudem ein Klavier und eine Gitarre: „Da konnte man sich immer etwas aussuchen“, schildert der heute in Stuttgart lebende Liedermacher seinen Zugang zur Musik.
Nasim Kholti kommt im September 1984 zur Welt und wächst in der 800-Seelen-Gemeinde Buhlbronn bei Schorndorf auf. Sein Vater stammt aus dem Norden Marokkos und kam in den 1970er Jahren nach Deutschland. „In jungen Jahren lebte mein Vater eine Zeit lang auch in Tanger und hat dort mit dem Malen angefangen. Dass Kultur einen hohen Stellenwert hat, gab er mir mit.“ Zudem ermuntert ihn der Vater, Werke wichtiger Autoren zu lesen. So beginnt er schon als Schüler, erste eigene Liedtexte zu schreiben.
Seine Mutter, die aus dem badischen Lahr im Ortenaukreis stammt, singt viel und inspiriert ihn auch. Er lernt als Sechsjähriger Klavier, stellt aber bald fest: „Ich spielte viel lieber Gitarre.“ Mit 17 Jahren heuert er als E-Gitarrist bei einer Band aus der Region an. Doch Kholti will schon damals lieber seine eigenen Lieder spielen. Aber er traut sich lange nicht, vor fremdem Publikum zu singen. Mit 24 gründet er eine eigene Band namens Münchhausen: „Ab da habe ich mir auch mehr zugetraut“, erinnert er sich. Und die Rolle als Alleinunterhalter und Klassenkasper spielte er bereits am Burg-Gymnasium in Schorndorf: „Ich war ein ziemlich schlechter Schüler, deshalb musste ich anders durchkommen“, erklärt er.
Mitunter brechen heute noch der Komödiant und Kabarettist in ihm durch. In einem kurzen Trailer zu der „Tour de Ländle“ hört man ihn in die SWR-Kamera klagen, während er sich die steile und kurvenreiche Strecke zur Burg Hohenneuffen hoch quält: „Ich bin der Mann aus Afrika, der versucht in Europa seinen Traum zu leben. Dem man es aber schwermacht, dem man keinen Elektromotor gibt und dem man noch eine schwere Seitentasche ans Fahrrad hängt.“ Solche selbstironischen Spielchen liebt er.
Klischees über Migranten
Fast schon stoisch und mit etwas traurigen Augen begegnet er in seinen deutschen Liedtexten und Videoclips „den Zumutungen der westlichen Zivilisation und der existenziellen Verlorenheit“. In seinen Live-Programmen streut er auch mal Klischees über Migranten ein: „Ich darf das ja, was sich bei anderen vielleicht blöd anhören würde“, sagt der Singer-Songwriter. „Eines meiner Lieder heißt ‚Mustafa’“. Die Anregung sei von einem Bekannten gekommen, dieser sagte in einem Gespräch mit ihm den Satz: „Mein Kollege ist Türke, aber voll in Ordnung.“ Als ob das eine das andere ausschließt. „Daraus habe ich einen Song gemacht, der ziemlich provokant ist.“
Aber offen für Neues und Kreatives will er auch sein. Mal spielt er als Vorgruppe für Jupiter Jones bei den Böblinger Songtagen. Mal beim „Bitch-Fest“ am 7. September im Stadtpalais mit der „Inspirateuse“ Kim Hoss. Momentan probiert er neben seinen Studio-aufnahmen und Auftritten mit Musikerfreunden auch anderes aus. Zuletzt machte er kurze Musik-Clips über die EM. Seine augenzwinkernde Stuttgart-Ost-Hymne „Ostendstraßée“ nach dem Joe-Dassin-Song „Oh Champs-Élysées“ oder auch die Ode an „Bad Cannstatt, Perle des Südens“ mit dem schief klingenden Refrain: „Wohnen, wo andere Urlaub machen“ ging auf Social Media viral und machte rund 600 000 Klicks.
Unterhaltsam sind seine Pop-Songs allemal. Vor allem das Texten und Komponieren lustiger Sachen mache „übel Bock“, sagt er. Alles unter einen Hut zu kriegen, ist aber schwer: „Als Selbstorganisator deiner Auftritte hast du krass viele Jobs. Du musst das Booking machen, du musst dich selbst managen, Gagen aushandeln und eventuell Gastmusiker und Freunde für Livekonzerte dazu holen. Außerdem schreibst du ja auch noch Lieder, feilst an Texten und übst neue Stücke ein.“ Schnell kann da ein 24-Stunden-Tag fast schon zu kurz werden.