In bunter Aufmachung sorgten die Narren für Aufsehen auf Stuttgarts Straßen. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Die pure Freude und ein großes Schauspiel voller Tradition war für die Tausenden von Zuschauern der Narren-Umzug durch die Altstadt, der zugleich den Höhepunkt des großen Narrentreffens der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte darstellte.

Stuttgart - Einen Vorgeschmack hatten diverse Zünfte schon am Abend davor geboten, als an verschiedenen Plätzen in der Altstadt einige Zünfte ihr historisches, teils bis zu den Bauernkriegen im 16. Jahrhundert zurückreichendes Narrenbrauchtum vorgeführt hatten. Entsprechend war die Stadt schon vom frühen Morgen an mit Narren und mit Publikum belebt, und als es auf die Mittagszeit zuging, wurde es in der Marktstraße schon ziemlich eng. Schließlich gab es für die herbeiströmenden Zuschauerinnen und Zuschauer, sich möglichst vordere Plätze zu ergattern.

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„Zu alt für den Scheiß“ fand sich allerdings Mike in ihrem Hausacher Spättle-Häs, um den Button-Spruch aber sogleich in Spaßrubrik zu schieben – und dabei einen Kern der schwäbisch-alemannischen Fasnet zu treffen: „Traditionen pflegen und Spaß haben, ohne völlig zu entgleisen. Fasnet geht auch ohne Alkohol!“, sagte die 49-Jährige – und begab sich mit Kind und Kegel zum Aufstellungsplatz ihrer Zunft hinüber ans linke Neckar-Ufer. Dort warteten über zehntausend Narren der 71 teilnehmenden Zünfte darauf, endlich losgelassen zu werden. Ganz cool aber blieb Annabelle, 8, die am Eingang zur Wilhelmsbrücke das Narrentäfele mit der Nummer 1 hochhielt, also gleich ganz vorne im Zug marschieren durfte. Darauf war sie stolz wie die Eichendorff-Gemeinschaftsschule insgesamt, deren Schüler die Täfele bemalt hatten.

Böller und Kartätschen knallen

Dann endlich hieß es: „Achtung, Böllerschuss!“, und die Kübler ließen im Wechsel mit ihren Bräunlinger Kollegen auf der Brücke ihre Kartätschen knallen. Da musste der Kutscher auf dem Bock ordentlich die Zügel halten, denn die Knaller machten Marion und Schorsch, die beiden prachtvollen französischen Kaltblüter, sichtbar nervös. Dann aber setzte sich das Gespann mit dem offenen Wagen vor den wartenden Zug, mit Prominenz wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Oberbürgermeister Fritz Kuhn als Mitfahrern.

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Eine starkes Bild ergab sogleich der gastgebende Kübelesmarkt, der nicht nur seine ganz alten, historischen Felben, sondern auch Halb- und Vollmond sowie den Brunnengeist in deren ersten Formen auf den Weg schickte. Wie ein zweites Startzeichen wirkte dann, als die über hundert Felben in ihrem grün-rot-braunen Fleckenhäs mit einem Mal ihre Rätschen kreiseln ließen und dabei ohrenbetäubendem Lärm produzierten.

Männer mit riesigen Kuhglocken

Nun war die Straße eine einzige große Bühne, auf der die einzigartigen Ausprägungen der schwäbisch-alemannischen Fasnacht in ihrer ganzen Vielfalt zu erleben waren. Quasi paketweise, denn die Gruppierungen waren weitgehend landschaftlich sortiert, reichte vom Bodensee bis zum Hochrhein, von Schwarzwald, Baar und Hegau bis nach Oberschwaben, und die Alb. Wie stark sich lokale und regionale Tradition der Fasnet eingeschrieben haben, zeigte vorneweg der Schweizer Block. Etwa die Röllizunft Sieben, wo ein Dutzend Männer mit jeweils zwei starr an einem Joch befestigten Riesen-Kuhglocken ein mächtig stampfenden Gelichklang erzeugten. Die Bad Säckinger wiederum glänzten als Stadtpfeifer, die Alt-Fischerzunft Laufenberg hatte einen kapitalen Hecht im Netz, die Tettnanger kamen mit Hopfennarr und Hopfensau.

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So entrollte sich ein farbiges Panorama alter Fasnetsfiguren voller Traditionen, mit Tausenden von Häs- und Maskenträgern: Plätzle-Buba, Krettenweiber, Weißnarren und Hexen, Mostköpfe, Lach- und Heulgesichter, Schreckensmasken wie von einem Erdbeben verschoben, Grobstaub-Produzenten, Henker, Fahnenschwinger, Binsengeister oder auch Altjungfern, die ihr Pech in pelzbesetztem Gewand mit Würde zu tragen wissen. Mal heidnisch-naturnah und düster im echten Reisig-Häs, mal städtisch-gesetzt und verfeinert im Patrizier-Gewand. Die ganz arme und die eher reiche Fasnet, manchmal sogar in einer einzig Zunft beisammen, wie bei den Gengenbachern. Und immer mit viel Musik!

Stundenlang sind die Narren unterwegs

Dieses prächtige Schauspiel wollte scheinbar kein Ende nehmen. Dabei hatte sich nach anderthalb Stunden gerade einmal ein Drittel der Zünfte auf den Weg gemacht: „Da kommt jetzt noch soviel!“, freute sich ein Zuschauer aus Zuffenhausen, der auch sonst die Begeisterung am Straßenrand auf den Punkt brachte: „Beim Stuttgarter Fasching wird man verhaftet, wenn man Hurra schreit. Das hier aber ist richtige Fasnet! Fröhlich, ausgelassen und mit viel Tradition!“ Groß und Klein hatte daran sein Vergnügen. Auch, weil die schwäbisch-alemannischen Narren gerne direkt zum Publikum gehen, mit ihm spielen und es beschenken. Ganz im Sinne des prinzipiellen Mottos der Fasnet: „Allen zur Freud, keinem zum Leid“.