Die einzige in Marbach aufbewahrte afrikanische Maske Maske stammt aus der Sammlung des Soziologen Norbert Elias. Foto: DLA

Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach treibt Provenienzforschung im Raum der Ideen und enttarnt mit dem Ausstellungsprojekt „Narrating Africa“ Klischees vom Schwarzen Kontinent.

Stuttgart - Viele Sammlungen durchforsten gerade ihre Bestände nach afrikanischer Raubkunst, um festzustellen, wie tief ihre Geschichte hineinragt in koloniales Unrecht. An das Deutsche Literaturarchiv in Marbach hätte man dabei nicht zuerst gedacht, gründen dessen Ursprünge doch eher im ideellen Besitzanspruch auf autochthone Dichtergrößen. Doch dann liest man in Schillers „Räubern“, wie der böse Franz Moor mit seinem Aussehen hadert: „Warum gerade mir die Lappländernase? Gerade mir dieses Mohrenmaul? Diese Hottentottenaugen?“ In Fontanes „Effi Briest“ wünscht sich der kalte Innstetten aus seinem Ehedebakel „weg und hin unter lauter pechschwarze Kerle, die von Kultur und Ehre nichts wissen“. Und im selben Jahr erscheint im Verlag von Fontanes Sohn Frieda von Bülows Kolonial-Bestseller „Tropenkoller“, in dessen Titel sich die schwärmerische Aneignung des Fremden und die Psychopathologie herrenmenschlicher Exzesse durchdringen – mit Tropenkoller versuchte man, besonders brutale Episoden deutschen Koloniallebens zu entschuldigen.

Schon ist man mittendrin in der neuen Ausstellung des Marbacher Literaturmuseums der Moderne, die eigentlich gar keine Ausstellung sein möchte, sondern eine offene Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie unsere Vorstellungen vom afrikanischen Kontinent geprägt werden. „Narrating Africa“ lautet der etwas akademische Titel des Projekts, das aus der Namibia-Reise hervorgegangen ist, bei der die baden-württembergische Kunstministerin Theresia Bauer die in der Kolonialzeit geraubte Bibel und die Peitsche des Nama-Anführers Hendrik Witbooi an das westafrikanische Land zurückerstattete. Mit dabei war auch die Direktorin des Literaturarchivs, Sandra Richter.

„Narrating Africa“ versteht sich als die Eröffnung eines Dialogs. Wo andere Häuser Provenienzforschung betreiben, fragt man in Marbach nach der Herkunft der Bilder, mit denen wir uns dem Fremden annähern. Und da hat das Archiv durchaus einiges zu bieten: einen Querschnitt des kolonialen Diskurses, der eigentümlich quer zu der gewohnten Gebietsaufteilung zwischen Aufklärung und Reaktion, Weltoffenheit und Herrschaft steht.

Rassistin und Feministin zugleich

Denn nur wenige bezogen so kritisch Stellung zum Kolonialismus wie Kurt Tucholsky in seiner Kritik von Hans Grimms Roman „Volk ohne Raum“, der der nationalsozialistischen Expansionspolitik das Motto lieferte. Max Weber sah in seiner Antrittsvorlesung 1896 die Sonne Afrikas über Deutschland aufgehen, und Claire Goll macht in ihrem Roman „Der Neger Jupiter raubt Europa“ den Kontinent zur Projektionsfläche eigener Sehnsüchte. Mitten in dieser ideologischen Gemengelage steht eine Figur wie Frieda von Bülow, Rassistin und Feministin zugleich: In Deutsch-Ostafrika war sie die Geliebte des berüchtigten Kolonialschlächters Carl Peters, später pflegte sie eine Freundschaft zu Rainer Maria Rilke.

Die Kuratorin Heike Gfrereis hat versucht, in einem „Open Space“ die hierarchische Ordnung auf allen Ebenen zu unterlaufen. So werden hier weder kostbare Objekte noch fertige Aussagen präsentiert, sondern Textstellen, die im Laufe der Ausstellung um weitere ergänzt werden. Zu jeder Passage wird erläutert, von wem und weshalb sie ausgewählt wurde, in welchen Kontext sie gehört, welche Fragen sie aufwirft. Und prinzipiell ist jeder aufgerufen, an ihrer Beantwortung mitzuwirken – als Gastkuratoren eingeladene Wissenschaftler aus Deutschland und Namibia ebenso wie der Betrachter selbst. In einem Prozess kollektiven Brainstormings sollen fixe Sichtweisen aufgelöst und die Texte mit Perspektiven überschrieben werden. Das Ganze ist auf ein Jahr angelegt. Geht es im ersten Schritt um den Blick von Norden nach Süden, kehrt im Sommer ein afrikanisches Literaturfestival die Richtung um. Zuletzt soll ein wissenschaftliches Symposium die Erzählungen Afrikas auswerten.

„Narrating Africa“ wird am Sonntag um 15.30 Uhr von der Landeskunstministerin Theresia Bauer eröffnet.