Ende Mai schließt Anja Ossenkop ihre Apotheke an der Schwarzwaldstraße. Dann wickelt sie ihr Geschäft ab. Die Betriebserlaubnis erlischt Ende Juni. Foto: dpa

Ende Mai muss die Apotheke in Stuttgart-Kaltental schließen. Auf einem Schild im Schaufenster wird das Regierungspräsidium als Totengräber bezeichnet. Und auch Kunden zeigen sich fassungslos. Hätte es eine Möglichkeit gegeben, die Apotheke zu retten?

Kaltental - Die Gerüchte hat es schon lang gegeben. Spätestens seit Anfang dieser Woche ist es gewiss. Die Apotheke an der Schwarzwaldstraße in Kaltental schließt zum 31. Mai. So steht es auf einem Schild im Schaufenster. „Das Apothekensterben geht weiter. Auch wir werden zu Grabe getragen“, ist darauf zu lesen. Und weiter steht dort: „Unseren ,Totengräber‘ erreichen Sie beim Regierungspräsidium Stuttgart. Er wird Ihnen die Umstände der Schließung und sicherlich auch seine überaus strenge persönliche Auslegung der Vorschriften zu den Anforderungen an eine Apotheke sicherlich gerne erläutern.“

Die Empörung im Stadtteil ist groß. „Für Kaltental und seine Infrastruktur ein weiterer Schlag in die Magengrube, für die älteren Bürger sowieso“, schreibt Claudia Walter in einer Mail an unsere Redaktion. Die Leserin ergänzt: „Mag sein, dass die Apotheke nicht den modernen Standards entspricht, und doch waren die Bürger froh, dass die Apotheke weiter betrieben wurde, in der sie mit einer guten Beratung durch kompetentes Fachpersonal und im Krankheitsfall mit einer schnellen persönlichen Zustellung der erforderlichen Medikamente rechnen konnten.“ Ihr Fazit zu der Apothekenschließung: „Armes Deutschland, wir regulieren uns bald zu Tode.“

OB soll Wege zum Erhalt der Apotheke suchen, fordert ein Bürger

Martin Ruffner hat gar einen offenen Brief an das Regierungspräsidium, Oberbürgermeister Fritz Kuhn, Stadt- und Bezirksbeiräte sowie die Landes-Apothekerkammer geschrieben. „Ich möchte Sie darum bitten, Wege zum Erhalt der Apotheke zu suchen“, schreibt Ruffner. Kaltental sei insgesamt mit Geschäften für das Einkaufen für den täglichen Bedarf völlig unterversorgt. „Soweit mir bekannt, gibt es in Kaltental insgesamt drei Ärzte, die für die gesundheitliche Versorgung da sind. Man möge sich mal vorstellen, welche Bedeutung es für schwer, kranke oder altersbedingt geschwächte Menschen hat, wenn Sie dann mit dem notwendigen Rezept in der Hand im Stadtteil keine Apotheke finden und in Vaihingen oder Stuttgart-Süd eine Apotheke aufsuchen müssen“, so Ruffner.

Auch bei einem Besuch in der Apotheke schimpfen die Kunden über die angekündigte Schließung. „Ich bin fassungslos. Stuttgart macht seine Infrastruktur kaputt, wo es nur kann“, sagt eine ältere Dame. An diesem Nachmittag ist in der Apotheke viel los. Immer wieder schellt die Glocke und kündigt so neue Kundschaft an. Das Telefon klingelt. Die Apothekerin Anja Ossenkop findet kaum Zeit, ein paar Worte mit der Presse zu wechseln, wofür sie sich mehrfach entschuldigt.

Das Labor entspricht nicht mehr den formalen Anforderungen

Ossenkop hat 17 Jahre lang als Angestellte in der Schwarzwald-Apotheke gearbeitet. Als ihre Chefin 2013 starb, übernahm sie die Apotheke. „Eigentlich wollte ich bis zu meiner Rente hier arbeiten“, sagt sie. Doch nun erlischt ihre Betriebserlaubnis zum 30. Juni dieses Jahres. Den Juni braucht Ossenkop, um ihr Geschäft abzuwickeln, wie sie sagt. Doch wie konnte es so weit kommen?

„Der Hauptgrund ist, dass das Labor den formalen Anforderungen nicht mehr entspricht“, antwortet Ossenkop. Das habe der zuständige Pharmazierat des Regierungspräsidiums bei einem routinemäßigen Termin so festgestellt. „Der Prüfer hat rein formal auch recht“, sagt Ossenkop und ergänzt: „Falls jemand die Apotheke übernehmen möchte, muss er zunächst viel Geld reinstecken und umbauen. Denn mit einer kleineren Sanierungslösung gibt sich das Regierungspräsidium nicht zufrieden.“

Auf die Frage, ob sie Verständnis für die Entscheidung des RP habe, antwortet die Apothekerin: „Ich bin schon sauer. Ich bin mir sicher, dass es eine Lösung gegeben hätte, wenn man gemeinsam danach gesucht hätte.“ Ossenkop lernte im Laufe ihrer beruflichen Jahre viele Pharmazieräte kennen. „Andere haben mit Augenmaß gehandelt und Tipps gegeben und geschaut, dass es besser wird“, so ihre Einschätzung.

Für Anja Ossenkop bedeutet die Schließung ihrer Apotheke, dass sie sich nach einer Anstellung als Apothekerin umschauen muss. Und was bedeutet die Schließung ihrer Meinung nach für die Menschen im Ort? „Für die Kaltentaler ist das schlecht. Für die Patienten entstehen weitere Wege, und auch für die Ärzte im Ort wird es umständlicher. Sicher werden sich Lösungen finden. Aber so bequem wie bisher wird es nicht mehr sein“, sagt Ossenkop.

RP verweist auf Arzneimittelsicherheit und Verbraucherschutz

Das Regierungspräsidium schreibt in einer Stellungnahme von einem „fairen, entgegenkommenden und wirtschaftsfreundlichen Vorgehen“. Und: „Falls dies von der Apotheke im Nachhinein anders interpretiert wird, bedauern wir das. Wir können aber erhebliche fortwährende Verstöße gegen die apothekenrechtlichen Bestimmungen als Aufsichtsbehörde nicht dauerhaft tolerieren. Unsere Arbeit dient der Arzneimittelsicherheit und dem Verbraucherschutz“, heißt es in der Mail an unsere Zeitung.

Fakt sei, schreibt die Behörde, dass bei der routinemäßigen Überwachung gemäß Paragraf 64 des Arzneimittelgesetzes festgestellt worden sei, dass „die Betriebsräume, die zur Lagerung, Prüfung und Herstellung von Arzneimitteln dienen sollten, nicht entfernt den aktuellen gesetzlichen Bestimmungen entsprachen“. Insbesondere die deutlich verschärften hygienischen Anforderungen, die sich aus der Novellierung der Apothekenbetriebsordnung im Jahre 2012 ergeben würden, seien nicht umgesetzt worden. „Man gelangte zu dem Eindruck, als sei seit vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, nicht mehr in die Apotheke investiert worden“, so das Fazit des RP. Die Behörde verzichte in solchen Fällen auf die Forderung nach den umfangreichen Investitionen, die der Apothekenbetreiber nicht mehr tätigen könne oder wolle, wenn auf die Betriebserlaubnis in absehbarer Zeit verzichtet werde. So sei es auch im Fall der Schwarzwald-Apotheke gewesen. „Selbstverständlich hätte diese auch die erheblichen Mängel beheben und die Apotheke dann weiterbetreiben können“, heißt es in der Stellungnahme.

Doch Anja Ossenkop hat ihre Entscheidung getroffen. Leicht fällt es ihr nicht, die Apotheke aufzugeben und ihre Kunden im Stich zu lassen, viele kennt sie mit Namen. Aber für sie gebe es keinen anderen Weg mehr, sagt Ossenkop.