Nach einem Jahr ohne Nahversorger gibt es im Stadtteil Burgholzhof wieder Lebensmittel zu kaufen. Foto: dpa

Fast ein Jahr lang mussten die Bewohner des Burgholzhofs für fast jede Besorgung den Stadtteil verlassen. Nun gibt es wieder Lebensmittel vor Ort.

Bad Cannstatt - Doris Kunkel kennt sich aus mit den verschiedenen Buslinien. Ob sie Äpfel brauchte, Hefe oder Putzmittel – fast ein Jahr lang musste die 80-Jährige für jede Kleinigkeit – außer für Brot oder zum Haareschneiden – zum Killesberg fahren oder nach Cannstatt hinunter. Denn seit Januar stand das Geschäft an der James-F.-Byrnes-Straße leer. Dieser Tage hat nun ein neuer Laden eröffnet, der vornehmlich portugiesische Lebensmittel verkauft. „Was lange währt, wird hoffentlich endlich gut“, sagt Werner Schüle, Vorsitzender des Stadtseniorenrats Stuttgarts. Doch so erfreulich es auch sei, dass die Burgholzhof-Bewohner nun wieder zu Fuß das Wichtigste einkaufen können, so bleibe doch festzustellen: „Es darf nicht sein, dass man an einer Stelle ein Loch stopft und an anderer Stelle geht ein neues auf.“ Jüngstes Beispiel in Bad Cannstatt: Wenige Wochen vor der Neueröffnung im Burgholzhof musste der Bonus-Markt in Steinhaldenfeld schließen. „Daher fordert der Stadtseniorenrat von der Wirtschaftsförderung der Stadt Stuttgart ein kommunales Nahversorgungskonzept“, so Schüle. Um die Nahversorgung in manchen Stadtteilen sicherzustellen, müsse die Stadt Geld in die Hand nehmen, etwa für Subventionen oder Bürgschaften. Die Nahversorgungssituation sei nicht nur im Burgholzhof oder in Steinhaldenfeld kritisch.

Verhandlungen mit einem Obst- und Gemüsehändler

Für viele Geschäfte ist es nicht attraktiv oder gar nicht möglich, sich in kleineren Stadtteilen am Rand anzusiedeln. „Der nötige Umsatz ist dort nicht unbedingt zu erreichen“, sagt Schüle. „Und die Mietkosten sind relativ hoch“, ergänzt er in Bezug auf das Gebäude im Burgholzhof, das der Stuttgarter Wohnungsbau- und Städtegesellschaft (SWSG) gehört. Zu den Mietkosten äußert sich die SWSG auf Nachfrage nicht. Die SWSG habe sich die notwendige Zeit für die Suche nach einem Lebensmittelhändler genommen und mit vielen Interessenten verhandelt, so der Sprecher Peter Schwab. Für viele mögliche Vertragspartner sei die rund 380 Quadratmeter große Ladenfläche allerdings zu klein gewesen.

Zwei Drittel der Fläche sind nun an den portugiesischen Lebensmittelhändler vermietet. Für den noch leer stehenden kleineren Teil der Gewerbefläche direkt daneben laufen derzeit Verhandlungen mit einem Gemüse- und Obsthändler. „Diese positive Entwicklung zeigt, dass sich die sorgfältige Suche nach einem attraktiven Vertragspartner für Gewerbeflächen lohnt“, so Schwab. Er ergänzt: „Wichtig für eine erfolgreiche Vermietung und ein erfolgreiches Unternehmen ist ein Geschäftskonzept, das auch ohne öffentliche Unterstützung tragfähig ist.“

Gemeinderäte beraten über ein Konzept zur Nahversorgung

Doch auch die Stadt sieht Handlungsbedarf: Der Gemeinderat berät aktuell über „Handlungskonzepte für Stadtteile und Stadtquartiere ohne Lebensmittelversorgung“. Bei der Entwicklung des Konzepts geht es darum, welche kommunalen Fördermöglichkeiten es für Lebensmittelgeschäfte es geben könnte, nach welchen Kriterien Miet- oder Betriebskostenzuschüsse gewährt werden könnten und an welchen dünn besiedelten Wohnstandorten es hinzunehmen sei, dass keine fußläufige Lebensmittelversorgung besteht. Für das Konzept muss bei den Haushaltsberatungen Geld für Planungskosten bewilligt werden. „Parallel prüfen wir Lösungen für die Nahversorgung wie Lebensmittellieferwagen oder -fahrräder, wochentagsabhängige Nutzungen von Leerflächen an einzelnen Standorten oder Nahversorgungszubringer wie den Ortsbus in Feuerbach“, so Ines Aufrecht, Leiterin der Wirtschaftsförderung der Stadt Stuttgart.

Im Burgholzhof gibt es einen Bäcker, einen Friseur und nun wieder Lebensmittel. „Fahren Sie runter?“, fragt Doris Kunkel und steigt zu Werner Schüle ins Auto. Sie muss jetzt nämlich zur Bank. Den Rückweg wird sie mit dem Bus antreten. Damit kennt sie sich ja mittlerweile gut aus.