Dachswald, Rosental und Co.: Circa 130 000 Stuttgarter können nicht in fußläufiger Entfernung Dinge des täglichen Bedarfs einkaufen Foto: Archiv Schulz

Ein Zwischenbericht zum Nahversorgungskonzept für Stuttgart nennt zwölf unterversorgte Bereiche – auch auf den Fildern. Insgesamt sind 130 000 Einwohner betroffen: Sie können nicht in fußläufiger Entfernung einkaufen.

Vaihingen/Möhringen - Viele Stuttgarter Stadtteile bluten aus, was die Möglichkeit zur Nahversorgung angeht. Die Stadtverwaltung lässt daher derzeit ein Gutachten mit Handlungsempfehlungen erstellen. Im Dachswald zum Beispiel ist die Situation besonders schwierig. Seit Ende des Jahres gibt es dort für die circa 7700 Anwohner keinen Lebensmittelmarkt mehr. Laut Gutachten soll nun geprüft werden, ob sich dort wieder ein marktüblicher Lebensmittelmarkt ansiedeln lässt. Wie Sigrid Beckmann, die Vorsitzende des Bürgervereins mitteilt, wolle sich der neue Eigentümer des Areals am Knappenweg, wo sich der ehemalige Lebensmittelmarkt befunden hat, noch vor den Sommerferien zur künftigen Bebauung und möglichen Ladenflächen äußern. „Denn aktuell ist es eine Katastrophe. Vor allem für die älteren Einwohner ist der weitere Weg in Lebensmittelgeschäfte außerhalb unseres Stadtteils eine große Belastung“, sagt sie.

In den Ausschüssen für Umwelt und Technik sowie Wirtschaft und Wohnen ist kürzlich ein Zwischenbericht des Gutachtens vorgestellt worden. Dieser nennt näher zu untersuchende Defiziträume. Im Gutachten sind alle nicht versorgten oder stark unterversorgten Bereiche erfasst. Entscheidend ist ein fußläufig erreichbarer Lebensmittelmarkt in 500 Metern Umkreis. Nach diesem Kriterium sind insgesamt 37 Defiziträume identifiziert worden, die keine ausreichende Nahversorgung sicherstellen können; betroffen sind rund 130 000 Stuttgarter. Nachdem eine Mindesteinwohnerzahl von 1000 Personen in den betroffenen Bereichen festgelegt wurde, sank die Zahl der Bereiche auf 31. Anhand weiterer Kriterien – etwa die Erweiterung des Radius auf 750 Meter als noch zumutbare fußläufige Entfernung – sind weitere Gebiete herausgefiltert worden. Andere kamen hinzu, weil vorhandene Märkte von der Schließung bedroht sind. Einige Orte mit einem „rudimentären Nahversorgungsangebot“ wie beispielsweise in Kaltental fielen aus dem Kreis näher zu betrachtender Bereiche heraus.

Dringliche Zustände in Wohngebieten

Letztendlich ist der Untersuchungsbereich auf zwölf Stadtteile beziehungsweise Stadtquartiere eingegrenzt worden, für die detaillierte Handlungskonzepte erstellt werden sollen. Im Einzugsgebiet der Filder-Zeitung sind dies Dachswald/Pfaffenwald, Rosental, Rohrer Höhe, Höhenrand und Sonnenberg. Im restlichen Stadtgebiet handelt es sich um Burgholzhof/Birkenäcker in Bad Cannstatt, Lemberg/Föhrich in Feuerbach, Uhlbach in Obertürkheim, Wolfbusch und Bergheim in Weilimdorf, Zazenhausen in Feuerbach, Neuwirtshaus in Zuffenhausen und Schönberg in Birkach.

Diese zwölf Defiziträume werden vertieft untersucht. Laut Gutachten stehen drei Möglichkeiten zur Auswahl: ob sich dort ein „marktüblicher“ Lebensmittelmarkt ansiedeln könnte, ein „Integrationsmarkt“ mit Kleinflächenkonzept wie Cap und Bonus oder ob man eine alternative Nahversorgungsstrategie wie etwa mobile Angebote oder einen Wochenmarkt etablieren könnte. Parallel wird zudem geprüft, wie die kommunalen Rahmenbedingungen für vom Bund geförderte Märkte wie Bonus weiterentwickelt werden können.

Für das Vaihinger Wohnquartier Höhenrand, in dem 2660 Menschen leben, soll ein Kleinflächenkonzept mit einem Integrationsmarkt geprüft werden, genauso wie auch im Rosental. Dort leben 2360 Menschen. Die Rohrer Höhe wurde in die nähere Untersuchung aufgenommen, weil dem dortigen Bonus-Markt die Schließung droht (wir berichteten mehrfach). Aktuell kann der Markt durch eine Spende der Grötzinger-Stiftung weiter betrieben werden, dies läuft aber nächstes Frühjahr aus. Das Kleinflächenkonzept mit einem Integrationsmarkt soll laut Gutachten als Handlungsoption weiter untersucht werden. Gleiches gilt für Sonnenberg. Auch dort steht die Zukunft des Bonus-Markts auf der Kippe (wir berichteten).

Finanziell unter die Arme greifen

Lösungsvorschläge, wie man zum Beispiel den Bonus-Märkten helfen könnte, gibt es bereits im Vorfeld, beispielsweise vom Verein Haus und Grund. Deren Vorsitzender Klaus Lang sieht „Miet- und Betriebskostenzuschüsse oder zinsgünstige Darlehen“ als sinnvoll an. Eine finanzielle Unterstützung gewerblicher Händler hat Finanzbürgermeister Michael Föll jedoch abgelehnt. Hans-Hermann Pfeifer, der Vizevorsitzende der SPD im Gemeinderat, kritisiert die Absage Fölls. Die SPD könne sich einen Mietkostenzuschuss oder Startkapital vorstellen. „Die Stadt muss Geld in die Hand nehmen“, sagt der Sozialdemokrat. „Wir sehen das als öffentliche Aufgabe an.“ Auf die konkreten Ergebnisse des Gutachtens setzt Pfeifer aber nicht. „Das sind doch alles keine neuen Ideen“, sagt er. Der große Vorteil sei jedoch, dass sich „endlich eine Sensibilität für dieses Thema entwickelt hat“. Der Markt regele die Unterversorgung einzelner Stadtteile eben doch nicht von alleine, man müsse etwas tun.

Günter Stübel (FDP) sieht es anders: „Die Stadt muss für die Rahmenbedingungen sorgen, aber nicht selbst die Nahversorgung übernehmen“, sagt er. Bürgschaften, etwa für die Bonus-Märkte, halte er aber für sinnvoll. Er plädiere zudem für kreative Lösungen wie etwa die Gründung von Genossenschaften. Helga Vetter (CDU) findet deutliche Worte, was die finanzielle Unterstützung gewerblicher Händler angeht: „Auf keinen Fall“, sagt sie. „Die freie Wirtschaft ist die freie Wirtschaft.“ Sie könne sich aber vorstellen, dass die Stadt für die bei Bonus beschäftigen Langzeitarbeitslosen Lohnkosten zuschieße.

Handlungskonzept Nahversorgung

Gutachten
Anfang des Jahres hat der Gemeinderat die Firmen CIMA und UHB mit der Erstellung eines Gutachtens zum Thema Nahversorgung in den Stuttgarter Stadtteilen beauftragt. 25 000 Euro sind dafür in den Haushalt eingestellt.

Beteiligte
Die Gutachterbüros arbeiten unter anderem mit dem Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung, der Wirtschaftsförderung, dem Handelsverband Württemberg und der IHK Region Stuttgart sowie den Sozialunternehmen Neue Arbeit und der SBR, welche Träger der Bonus-Märkte ist, zusammen, um das Handlungskonzept zu erstellen. Dazu wurde ein Arbeitskreis „Nahversorgung konkret“ gegründet, der das Projekt begleitet.

Ergebnisse
Das fertige Gutachten soll im Herbst präsentiert werden und detaillierte Handlungsempfehlungen enthalten, wie den ausgewählten Defiziträumen geholfen werden kann.