Der Fahrschüler Uwe Berner (Bild oben) übt im Simulator kritische Situationen. Seine Kollegen verfolgen seine Entscheidungen an ihren Bildschirmen, Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Das Stadtbahnnetz wird länger und dichter. Deshalb brauchen die SSB bis Ende 2018 deutlich mehr Fahrpersonal.

Stuttgart - Die Stadtbahn der Linie 1 hat die Haltestelle Vogelrain im Stuttgarter Süden verlassen und rollt stadteinwärts. Wenig später zieht Uwe Berner den Fahrhebel langsam zurück. Die Tachonadel sinkt, der 40-Meter-Zug rollt langsam in die Haltestelle Südheimer Platz und bleibt stehen. Die Türen öffnen sich, im rechten Rückspiegel sieht Berner Fahrgäste aus- und einsteigen. Doch diese bewegen sich nicht wirklich, die Szenerie ist nicht real: Stadtbahn, Stadtbild, Bahnsteig und Fahrgäste sind allesamt computergeneriert. Der SSB-Fahrschüler im Cockpit steuert durch eine virtuelle Realität. Von außen ähnelt seine im Möhringer SSB-Zentrum stehende „Stadtbahn“ einem riesigen Insekt mit sechs stählernen Beinen.

Der Fahrschüler Berner hat den Hinweis, dass die SSB weitere Männer und Frauen als Stadtbahnfahrer suchen, zufällig im Internet gesehen. „Ich habe ich mich beworben, weil mir der Job gefällt und man bei den SSB besser als in der Gastronomie verdient“, sagt der gelernte Koch. Seit Anfang Oktober ist er dabei.

Berner und andere Stadtbahn-Azubis sind bei dem Unternehmen hochwillkommen, denn die SSB suchen dringend Fahrer. „Die Bewerber kommen aus allen Bereichen“, sagt Thomas Dietz, der Leiter der Fahrschule Schiene. Darunter seien Studienabbrecher, Bäcker, Krankenschwestern, Metzger, Büroangestellte und Facharbeiter. Das Einstiegsalter liege bei 21 Jahren. Es gebe aber auch Quereinsteiger, die bereits älter als 50 Jahre seien. „Die erste Hürde ist ein anspruchsvoller Eignungstest“, ergänzt der SSB-Bereichsleiter Nils Himmelmann. Unter anderem seien der Besitz eines Führerscheins, ein punktefreies Konto in Flensburg, ein einwandfreies Führungszeugnis sowie die Beherrschung der deutschen Sprache wichtige Einstiegskriterien. An denen scheitere allerdings bereits gut die Hälfte der Bewerber.

Zurzeit sind 16 Fahrschüler an Bord

Im laufenden Ausbildungs-Quartal sind 16 Fahrschüler an Bord. „Ich bin sicher, dass alle den Kurs nach 55 Tagen erfolgreich abschließen“, sagt Dietz. Einen Tag vor Heiligabend müssen alle die mündliche und schriftliche Prüfung ablegen sowie sich auf Fahrten mit dem Simulator und mit einer Stadtbahn bewähren.

Doch bis dahin muss noch viel trainiert werden – auf der Strecke und vor allem im Simulator. „Der bildet realistische Verkehrsituationen optisch gut ab“, sagt der Fahrlehrer Frank Schollenberger. Dank der hydraulisch gesteuerten „Insektenbeine“ würden Brems- und Beschleunigungsmanöver realistisch nachempfunden.

Auf Knopfdruck kann Schollenberger plötzlich unvorsichtige Fußgänger auf den Schienen auftauchen lassen. Er kann auch innerhalb von Sekunden von Sonnenschein auf Regen oder heftiges Schneetreiben umschalten, eine Türstörung auslösen oder ein Auto virtuell als Hindernis ins Gleisbett katapultieren. „In allen Situationen muss der Fahrer richtig reagieren“, sagt der Ausbilder. Er führt gerade eine Gruppe von fünf Fahrschülern durch den drei Monate dauernden Lehrgang.

Die übrigen vier Stadtbahnfahrer in spe verfolgen die Simulator-Fahrt des Kollegen vor ihren Bildschirmen. „Durch das Zuschauen lerne ich viel“, sagt Uka Qendresa. Sie hat früher im Modedesign gearbeitet und schätzt die SSB als sicheren Arbeitgeber. Auch ihr Fahrschulkollege Panagiotis Navrozidis bringt das Zuschauen neue Erkenntnisse. „Man bekommt einen besseren Überblick und achtet auch auf Autos und Fußgänger am Rand der Strecke“, sagt er. „Am Beginn der Ausbildung war mein Blickfeld viel enger, weil ich mich stark auf den vor mir liegenden Fahrweg konzentriert habe.“ Für ihn erfüllt sich mit der Ausbildung zum Stadtbahnfahrer „ein Kindheitstraum“. Auch für alle anderen ist die Stadtbahn ein tolles Elektromobil.

400 mehr Fahrer als zur Jahrtausendwende

Wenn alle gut abschneiden, dann gehören die Neuen von Anfang 2017 an zu den knapp 900 SSB-Mitarbeitern, die einen Stadtbahn-Führerschein zur Personenbeförderung besitzen. Das sind fast 400 mehr als um die Jahrtausendwende, aber inzwischen nicht mehr genug. „Wegen des Netzausbaus suchen wir noch mehr Stadtbahnfahrer“, erklärt Dietz. Vom nächsten Sommer an verkehre die neue U 12zwischen Remseck und Dürrlewang. Auch der Dauerbetrieb der U 19 und die in wenigen Jahren bis zum Flughafen rollende U 6, sowie weitere Verstärkerzüge auf Strecken mit sehr hohem Fahrgastaufkommen erforderten mehr Fahrpersonal. Zudem gingen langjährige Fahrer in den Ruhestand. „Deshalb benötigen wir bis Ende 2018 etwa 150 weitere Fahrer“, so Dietz. Da man in jedem Quartal maximal 20 Neulinge ausbilden könne, reiche die Fahrschulkapazität für den Bedarf gerade noch aus. „Wer Interesse an der Ausbildung hat, kann sich bei unserer Personalabteilung melden“, fügt er hinzu.

Die Neuen im Cockpit der bis zu 1400 PS starken Stadtbahnen erhalten am Anfang ein Bruttogehalt von rund 2600 Euro. „Dazu kommen aber noch Zuschläge für Nachtdienste und Feiertage sowie ein 13. Monatsgehalt und Urlaubsgeld“, sagt Himmelreich. Außerdem könne man persönliche Wünsche bei der Gestaltung des Dienstplans berücksichtigen. Frühaufsteher dürften schon um 3.30 Uhr einsteigen. Wer erst später auf Touren komme, könne das Stadtbahn-Cockpit als Spätdienstler auch erst um 17.30 Uhr entern und nachts um 2.04 Uhr wieder ins Depot einrücken.