Die Straßen in der Landeshauptstadt sind oft dicht. Bus und Bahn könnten bei einem Ausbau noch Fahrgäste aufnehmen. Foto: dpa

Ein Jahresticket für 365 Euro in Stuttgart soll durch einen neuen Finanzierungstopf ermöglicht werden. Die CDU im Landeskabinett verweigert die rechtlichen Rahmenbedingungen. Doch wie sieht es im Gemeinderat mit einer Mehrheit aus?

Stuttgart - Die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat plädieren für die Einführung einer neuen Abgabe, die dem raschen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs dienen soll. Bezahlen sollen sie die Autofahrer. In der Landeshauptstadt wären dafür nach den Rechnungen der Fraktion 365 Euro im Jahr nötig, im Gegenzug würden die Autofahrer den Fahrschein für Bus und Bahn erhalten. Wer sein Auto sporadisch nutzt oder aus dem Umland tageweise in die Stadt fährt, könnte statt der 365-Euro-Variante für jeden Tag ein VVS-Ticket lösen. Das müsste er im Auto mitführen.

Grundsätzlich sollen alle Nahverkehrsnutzer künftig nicht mehr als 365 Euro für ein VVS-Jahresticket für das heute in die zwei Verbundzonen 10 und 20 geteilte Stadtgebiet bezahlen, so die Idee. Die günstigste Jahreskarte kostet heute 666 Euro, bei einem Zuschuss des Arbeitgebers 633 Euro. Die Fahrt ist dann aber erst ab 9 Uhr möglich.

Einpendler nehmen zu

Ihre Vorstellungen haben die Grünen am Donnerstagabend unter dem Titel „Verkehrswende solidarisch finanzieren“ im Haus der Wirtschaft erläutert. Der nach Stuttgart einpendelnde Verkehr nehme zu, sagte Fraktionssprecher Andreas Winter. Um den Zielbeschluss des Gemeinderates für eine autofreie Innenstadt umzusetzen und die Aufenthaltsqualität in der Stadt zu verbessern, müsse die Verkehrsmenge reduziert werden. „Wir müssen darüber nachdenken, Verkehre anders zu verteilen“, so Winter. Mit einer Nahverkehrsabgabe für einen „Mobilitätspass“ im VVS wolle man eine „lenkende Wirkung“ erzielen und den unterfinanzierten Bus- und Bahnsystemen dauerhaft eine neue Einnahmequelle neben den bisherigen Zuweisungen aus Steuern und den Fahrgeldeinnahmen erschließen.

Nach Rechnung der Grünen, die diese am Freitag gegenüber dem Vortag anpassten, sei mit der Abgabe in Stuttgart im Saldo ein Überschuss von jährlich 80 bis 145 Millionen Euro zu erwarten. Die Höhe ist abhängig von der Zahl der Autofahrer, die sich für das 365-Euro-Jahresticket entscheiden würden. Basis der Berechnung sind die bisherigen Fahrgeldeinnahmen der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) in Höhe von 235 Millionen Euro (2017). Durch den Mobilitätspass würde es bei den bisherigen Jahresabos einen Verlust von 100 Millionen Euro geben, andererseits könnten durch die Abgabe bis zu 75 Millionen Euro von Stuttgarter Autofahrern und bis zu 97 Millionen von Autofahrern aus dem Umland erzielt werden. Dazu kämen bis zu 75 Millionen Euro durch Gelegenheitsfahrten.

Einnahmen nur für Nahverkehr

Die Einnahmen sollen vollständig in den Ausbau des Nahverkehrs fließen, um das Angebot deutlich zu verbessern. „Das kann auch ein Parkhaus sein, das den Umstieg auf die Bahn ermöglicht“, sagte Co-Sprecherin Anna Deparnay-Grunenberg. Wichtig sei, dass nur motorisierte Verkehrsteilnehmer die Abgabe zahlten.

„Eine Nahverkehrsabgabe wäre die gerechteste Lösung, der Lenkungseffekt liegt auf der Hand“, sagte OB Fritz Kuhn (Grüne) bei der Veranstaltung. Die Alternative sei eine City-Maut, „die Ökonomiefans für die bessere Lösung halten“, so der OB. Er kämpfe seit seiner Landtagszeit 1992 für die Abgaben-Idee. „Aber sie kann nur durch einen Erlass des Landes von der Stadt umgesetzt werden, OB und Gemeinderat reichen nicht, und die CDU will das nicht“, skizzierte er die Rahmenbedingungen.

Die CDU in der Landesregierung hatte eine Nahverkehrsabgabe zuletzt bei der Aufstellung des Luftreinhalteplans 2017 boykottiert. In Untersuchungen zum Luftreinhalteplan findet sich das Instrument, nicht aber im Plan selbst. Da das Land nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts baldmöglichst Fahrverbote für Diesel bis einschließlich Euronorm 4 und frühestens ab September 2019 auch Euro 5 zur Lufteinhaltung verhängen muss, wird der Plan erneut überarbeitet.

Grüne stehen fast allein

Die Grünen warben am Donnerstag um eine Mehrheit im Gemeinderat für die Abgabe, um Druck auf das Land auszuüben. Außer der Fraktion SÖS/Linke-plus zeigen sich aber keine Befürworter. Der Ausbaubedarf bei Bus und Bahn sei unbestritten, sagte CDU-Fraktionschef Alexander Kotz, eine „einseitige Belastung der Autofahrer sehen wir aber distanziert bis ablehnend“. SPD-Fraktionschef Martin Körner sagte, mehr Geld müsse aus Steuermitteln kommen, und zwar zunächst für die im VVS für 2019 beabsichtigte Tarifreform. Mit einem um 40 Millionen Euro höheren Zuschuss seien die Zusammenlegung von Zonen und eine Fahrpreisverbilligung um bis zu 25 Prozent sowie in Stuttgart ein Jahresabo für 365 Euro erreichbar.