Das Nahverkehrsangebot in Felbach ist vergleichsweise gut – jetzt wird es auch deutlich günstiger Foto: Patricia Sigerist

Nach dem missglückten Start des Stadttickets in der Hochphase der Corona-Krise rührt das Fellbacher Rathaus jetzt die Werbetrommel für die günstigen Fahrscheine für Bus und Bahn. Am Donnerstag gab es einen Auftritt des Schriftstellers Klaus Wanninger.

Fellbach - Ans Krisen-Frühjahr 2020 wird sich Thomas Hachenberger wohl noch erinnern, wenn er dereinst im Ruhestand nur noch per Seniorenticket durch die Lande kurven wird. Denn der Coronavirus stellte für den Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Stuttgart (VVS) alles auf den Kopf, was beruflich und privat als ausgemacht galt.

Corona stürzte den Nahverkehr in der Region auch wirtschaftlich in ein Tal der Tränen

In der Familie war die Pandemie schon deshalb ein Thema, weil sein Sohn zu den ersten Menschen im Südwesten gehörte, die sich mit dem Erreger ansteckten. Und im Berufsleben hinterließen die behördlich verordneten Hygieneregeln so große Spuren, dass an Normalbetrieb nicht zu denken war. Statt die Früchte der großen Tarifreform ernten zu dürfen musste sich der Verkehrsverbund mit der Maskenpflicht im Nahverkehr und Plexiglas-Schutzscheiben für Busfahrer beschäftigen, statt um digitale Kundeninfos und Smartphone-Apps für den Fahrplan ging’s plötzlich um Reinigung aller Kontaktflächen und Desinfektion am Bahnsteig.

Vor allem aber stürzte Corona den Nahverkehr in der Region auch wirtschaftlich in ein Tal der Tränen. Noch im Februar hatte der VVS einen neuen Fahrgastrekord für 2019, im März war es mit den Erfolgsmeldungen für umweltfreundliche Mobilität auf einen Schlag vorbei. Weil Schulen, Unis und Geschäfte geschlossen wurden, Firmen die Mitarbeiter reihenweise ins Home-Office schickten und das Konzertauftritte und Theater dem Lockdown ebenso zum Opfer fielen wie Messen oder Feste, brachen die Fahrgastzahlen im Frühjahr bis zu 80 Prozent ein. Leere Bahnen bedeuten aber leere Kassen, vor allem Busfirmen standen am Abgrund. Allein von März bis Mai lief ein Einnahmeverlust von über 42 Millionen Euro auf, inzwischen rechnet der VVS mit einem Minus von etwa 56 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr.

Das Stadtticket ist da weitaus günstiger

Ohne den von Bund und Land gespannten Rettungsschirm stünde es schlecht um den Nahverkehr. „Im Moment sind wir wieder bei 60 Prozent der Fahrgäste, in Stadtbahnen sogar bei 70 Prozent. Im Ballungsraum geht es eindeutig wieder aufwärts“, sagt Thomas Hachenberger. Doch bis die Fahrgastzahlen wieder das Niveau der Vor-Corona-Zeit erreichen, werde es noch Monate dauern – vor allem an ländlichen Rändern der Region. „Dass es finanziell nicht noch schlechter aussieht, haben wir treuen Stammkunden zu verdanken, die ihre Abos nicht gekündigt haben“, sagt er.

Durch den Virus fast in Vergessenheit geraten ist ein Angebot, das Fellbacher Nahverkehrsnutzern eine echte Ersparnis bringt. Seit April ist unter dem Namen „Stadtticket“ ein Tagesfahrschein für den kompletten Stadtverkehr auf dem Markt, der gerade mal drei Euro kostet und beliebig viele Fahrten möglich macht. Wer morgens zum Arzt musste, mittags zum Einkauf fuhr und abends ins Konzert wollte, war bisher mit Hin- und Rückfahrt deutlich über zehn Euro los. Das Stadtticket ist da weitaus günstiger. Interessant ist auch der Gruppentarif: Bis zu fünf Personen fahren für sechs Euro kreuz und quer hin und her – theoretisch ganztägig.

Die Stadtticket-Fete wurde abgesagt

Möglich wird der Sparpreis, weil die Stadt in die Steuergeldkiste greift. Mit knapp 200 000 Euro pro Jahr gleicht Fellbach die fehlenden Einnahmen der Verkehrsunternehmen aus. „Man kann nicht immer nur erzählen, dass die Leute auf den Nahverkehr umsteigen sollen, man muss auch etwas dafür tun. Wenn das Stadtticket von den Fellbachern gut angenommen wird, ist es jeden Euro wert“, betont Oberbürgermeisterin Gabriele Zull. Als sinnvolle Alternative zum Auto wollte die Stadt das Ticket auch bewerben. Mit Musik und prominenten Gästen, für die Einführung im April war ein kleines Volksfest geplant. Der große Bahnhof ging in die Hose, in der Hochphase der Corona-Krise wurde die Stadtticket-Fete abgesagt. Erst jetzt, gut drei Monate nach der geplanten Einführung, wagt sich die Stadt wieder, die Werbetrommel für den preisgünstigen Nahverkehrs-Fahrschein zu rühren.

Die Fellbacher haben das Stadtticket teilweise bereits für sich entdeckt

Am Donnerstag war Hachenberger in Fellbach, um der OB einen symbolischen Fahrschein zu übergeben, am Abend las der Schriftsteller und passionierte S-Bahn-Fahrer Klaus Wanninger im Rathaus-Innenhof aus seinem neuen Krimi „Schwaben-Donnerwetter“.

Die Fellbacher übrigens haben das Stadtticket trotz der missglückten Werbekampagne zumindest teilweise bereits für sich entdeckt. Im April war das Angebot mit 59 verkauften Tickets zwar noch ein Geheimtipp, im Mai und Juni steigerten sich die Verkaufszahlen zumindest auf ein dreistelliges Niveau, inzwischen ist laut Thomas Hachenberger die Grenze von 1000 verkauften Tickets durchbrochen. Zufrieden sind die Nahverkehrs-Strategen mit dieser Quote freilich nicht. Knapp 9000 Tagestickets sollen in Fellbach pro Monat verkauft werden – es dürfen ruhig noch ein wenig mehr werden. Attraktiv ist beim Stadtticket auch der Bezug: Während das vor zehn Jahren eingeführte Fellbachticket nur an drei Orten erhältlich war, kann das neue Tagesticket an allen Verkaufsstellen inklusive Fahrkartenautomat und VVS-App erworben werden – und ist dank der neuen Trennscheibe auch beim Busfahrer erhältlich. Im Rems-Murr-Kreis haben auch Backnang, Waiblingen, Winnenden und Kernen ein Stadtticket. Weinstadt hat die Einführung abgelehnt – weil 58 000 Euro zu teuer waren.