Eigentlich ist längst klar: In Esslingen will man den Nahverkehr auf hundert Prozent batterieergänzte Oberleitungsbusse umstellen. Doch die Entscheidung war knapp und die Insolvenz des beauftragten Busherstellers bringt nun die Kritiker wieder auf den Plan.
Eine klare Mehrheit gab es nie. Nur mit hauchdünnem Stimmenvorsprung hat sich der Esslinger Gemeinderat vor einigen Jahren für den Umstieg auf einen städtischen Nahverkehr mit hundert Prozent elektrohybriden Oberleitungsbussen entschieden. Doch statt mit voller Kraft voraus in Richtung elektromobile Zukunft zu fahren, war man in Esslingen bislang eher im Schlingerkurs unterwegs. Seit der mit der neuen Busflotte beauftragte Bushersteller van Hool Insolvenz angemeldet hat, werden die Stimmen derer wieder lauter, die den Umstieg kritisch sehen – und einen neuen Grundsatzbeschluss fordern.
Eigentlich sollte es in der jüngsten Sitzung des Gemeinderats lediglich um den Nachtragswirtschaftsplan für den Städtischen Verkehrsbetrieb (SVE) gehen. Dieser ist nötig geworden, weil aufgrund von Kostensteigerungen nicht unerhebliche Mehrausgaben auf den SVE zukommen. Mehrere Millionen Euro zusätzlich veranschlagt die Stadt jetzt für den Wirtschaftsplan des SVE in diesem und dem nächsten Jahr – unter anderem wegen Personalkostensteigerungen und inflationsbedingter Mehrkosten.
Neuvergabe könnte zu Grundsatzentscheidung werden
Auch wenn die Stadt laut Finanzbürgermeister Ingo Rust längst nicht all diese Zusatzkosten selbst schultern muss, sondern sie teils von Kreis, Land oder Bund erstattet bekommt, sind es vor allem die absehbaren Mehrkosten, die nun die Kritiker auf den Plan rufen. Restlos überzeugt war man im bürgerlichen Lager des Esslinger Gemeinderats schon in der Vergangenheit nicht von dem Vorhaben, den Busverkehr komplett in städtische Hand zu geben und ganz auf O-Busse mit Batterie zu setzen. Doch die Entscheidung war gefallen und schien bislang endgültig. Mit der Insolvenz des Busherstellers van Hool, der 46 Fahrzeuge für die Stadt Esslingen bauen sollte, könnten nun die Karten neu gemischt werden – so zumindest wohl die Hoffnung einiger Stadträte. Offenbar nicht ganz unberechtigt: „Da die Neuvergabe der Fahrzeuge vom Gemeinderat beschlossen werden muss, wird diese faktisch zur Grundsatzentscheidung – denn ohne die Busse macht auch die Oberleitung keinen Sinn“, sagt der für den Busverkehr zuständige Erste Bürgermeister Ingo Rust.
Tatsächlich möchten einige Fraktionen beim Busverkehr eine neue Richtung einschlagen. So sagt etwa der CDU-Fraktionschef Tim Hauser: „Der Markt für Oberleitungsbusse ist extrem klein, daher ist das langfristig ein sehr teures Unterfangen.“ Es stelle sich die Frage, was passiere, wenn es bei einer Neuausschreibung der Elektrohybridbusse keine oder keine attraktiven Angebote gebe – zumal es auf dem Markt rein batteriebetriebener Busse sehr viel mehr Optionen gebe. Es sei nicht klug, nur eingleisig zu fahren. Auch die Fraktion FDP/Volt zeigt sich wenig überzeugt: „Zu diesem Zeitpunkt würde unsere Entscheidung nicht zu Gunsten der O-Busse ausfallen“, stellt die Fraktionsvorsitzende Rena Farquhar klar. Es seien zu viele Fragen offen – erst wenn alle Kosten und Folgekosten vorlägen, könne ihre Fraktion entscheiden.
Die Freien Wähler zeigen sich ebenfalls skeptisch: „Für uns steht das O-Buskonzept am Scheideweg – es gibt kaum noch Unternehmen, die das umsetzen können“, sagt die Fraktionsvorsitzende Annette Silberhorn-Hemminger. „Wir haben wirklich Sorge, uns abhängig zu machen von einer Technologie, die nicht ohne Grund nicht weiter forciert wird.“ Zudem seien die Oberleitungsmasten extrem störend für andere Verkehrsteilnehmer. Auch sie fordert eine transparente Wirtschaftlichkeitsanalyse.
Anders sehen es Grüne, SPD und Linke, die seit jeher Verfechter der Oberleitungsbusse sind. Den Eindruck, man könnte das Thema Elektrohybridbusse eventuell neu aufrollen, hält die Grünen-Fraktionschefin Carmen Tittel für „katastrophal“. Sie findet: „Wer gegen die Neuausschreibung der Elektrohybridbusse stimmt, stimmt gegen den Umbau des öffentlichen Nahverkehrs.“ Dann bekomme Esslingen überhaupt keinen ökologischen Busverkehr. Zudem würden knapp 28 Millionen Euro, die der Bund beisteuert, verloren gehen. Auch von der SPD heißt es, man stehe zu der Entscheidung für den rein elektrischen O-Busverkehr. Fraktionschef Nicolas Fink betont: „Wir haben einen historisch hohen Zuwendungsbescheid für eine zukunftsweisende Entscheidung, die landesweit Beachtung findet.“ Tobias Hardt von der Fraktion Linke/FÜR sagt: „Aus unserer Sicht sind die Oberleitungsbusse nach wie vor die umweltfreundlichste und aufgrund der bereits vorhandenen Infrastruktur eine für Esslingen maßgeschneiderte Technik.“ Reine Batteriebusse seien schwerer und kleiner, man brauche also mehr Busse und mehr Personal für diese Technik. Zudem bräuchten reine Batteriebusse Stillstandszeiten zum Laden, während O-Busse bei der Fahrt geladen werden könnten.
Auch Hermann Beck von der Gruppe WIR/Sportplätze erhalten sagt: „Der weitere Oberleitungsausbau und die Fahrzeugbeschaffung sind Investitionen in die Zukunft, hin zur Elektromobilität. Wir sind davon überzeugt, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind.“ Die AfD sieht zwar ebenfalls viele Vorteile beim O-Bus, sieht aber auch etwa Busse mit Erdgas-Antrieb als Option und plädiert wegen der Vielzahl an Möglichkeiten für Technologie-Offenheit.
Reine Batteriebusse gelten manchen als schwer und umständlich
Eine Entscheidung mit Folgen
Sperrvermerk
Angesichts der steigenden Kosten im Bereich der Oberleitungsbusse haben die Freien Wähler im jüngsten Gemeinderat einen Sperrvermerk auf inflationsbedingte Mehrkosten für den Oberleitungsausbau beantragt, der mit knapper Mehrheit abgesegnet wurde. Damit können neue Gelder dafür erst nach Freigabe durch den Gemeinderat ausgegeben werden – laut dem Ersten Bürgermeister Ingo Rust war das aber ohnehin so vorgesehen.
Entscheidung
Im Jahr 2020 hat eine grün-rot-rote Ratsmehrheit im Esslinger Gemeinderat mit einer knappen Mehrheit von drei Stimmen beschlossen, dass der Städtische Verkehrsbetrieb (SVE) künftig alle Buslinien selbst bedient und langfristig ausschließlich mit batterieergänzten Oberleitungsbussen fährt. Bis dato war der SVE auf zwei Dritteln der Buslinien gefahren, ein Drittel hatten private Busunternehmer bedient.