Für manche Busreisenden mit einem schmalen Geldbeutel ist die Fahrt aus den entlegenen Gemeinden nach Böblingen ein kostspieliges Vergnügen. Foto: factum/Archiv

Menschen wie der Jettinger Bernhard Müller können die teuren Fahrscheine kaum bezahlen. Ein Sozialticket will die Böblinger Kreisverwaltung aber nicht einführen – auch Ludwigsburg, Esslingen und der Rems-Murr-Kreis zögern

Böblingen - Bernhard Müller hat nach Abzug der Miete, den Heizungs-, Strom –, Wasser - und Telefonkosten etwa 220 Euro im Monat zur Verfügung, mit denen er sein Leben bestreitet. „Ich kann es mir nicht leisten, nach Böblingen zu fahren, um eine Veranstaltung in der Kongresshalle zu besuchen. Zumal ich dort auch noch Eintritt bezahlen muss“, sagt der 68 Jahre alte Rentner. Der Jettinger ist schon froh, wenn er jeden Monat das Fahrgeld zu den Supermärkten aufbringt, wo er seine Lebensmittel einkauft. „Für solche Menschen wäre ein Sozialticket genau das Richtige“, unterstreicht Manfred Koebler, der Vorstand des Böblinger Kreisseniorenrats. Die Böblinger Kreisverwaltung lehnt ein solches jedoch beharrlich ab.

Für 29 Euro im Monat überall hin

Auch in anderen Landkreisen der Region wie in Ludwigsburg, Esslingen und im Rems-Murr-Kreis können Bedürftige noch nicht für wenig Geld die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Obwohl überall die Einsicht vorherrscht, dass auch Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen so mobil wie möglich sein sollten.

Die einzige Ausnahme ist der Kreis Göppingen. Dort kommen derzeit 1600 Menschen im Monat in den Genuss eines Sozialtickets. „Mit einem solchen Bedarf und Aufwand haben wir bei der Einführung im Januar 2017 nicht gerechnet“, sagt Sebastian Hettwer im Landratsamt Göppingen. Asylbewerber etwa würden gerne von Bad Überkingen nach Geislingen fahren. Andere, die auf dem flachen Land in einer Unterkunft leben, wollten gerne häufiger nach Göppingen. Das vergünstigte Billett für die Nutzung von Bussen und Bahnen, das für sämtliche VVS-Zonen gelte, sei mit 29 Euro pro Monat natürlich unschlagbar, sagt Hettwer. Die Göppinger kostet der Beitrag zur Mobilität im Jahr 270 000 Euro. „Dazu kommt aber noch ein großer personeller Aufwand“, berichtet der stellvertretende Amtsleiter Hettwer. Die Anträge müssen bearbeitet, die Tickets ausgegeben werden.

Immer mehr nutzen das Sozialticket

Die Landeshauptstadt lässt sich den preiswerten Fahrschein, den dort immer mehr Menschen nutzen, laut Horst Stammler, dem Geschäftsführer des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS), im Jahr 5,2 Millionen Euro kosten. Im Kreis Böblingen würde das Ticket, wenn es ähnlich gut genutzt würde wie in Stuttgart, mit voraussichtlich rund 1,3 Millionen jährlich zu Buche schlagen, hat Stammler vom VVS errechnet. „Wir können nicht alles bezuschussen“, erklärte jedoch der Böblinger Landrat Roland Bernhard in der jüngsten Verkehrsausschusssitzung des Kreistags. Außerdem trete zum 1. April die Tarifreform des VVS in Kraft, die für alle Vergünstigungen bringe.

Genau so wird auch in den anderen Kreisen argumentiert, in denen ein Sozialticket bisher kein Thema ist. Allerdings gab es in den zurückliegenden Jahren immer wieder Diskussionen darüber, als der VVS noch keine Preisnachlässe plante und die Tarife sogar mitunter anhob.

VVS-Umstellung macht für den Rentner den Kohl nicht fett

Bernhard Müller muss die für ihn viel zu hohen Fahrtkosten schlucken. Die großen Supermärkte, in denen er sich wegen seines schmalen Geldbeutels stets an die Sonderangebote hält, liegen etwa drei Kilometer von seiner Wohnung entfernt. „Ich habe es im Rücken und muss mir auch Getränke besorgen“, erklärt der Alleinstehende. Deshalb sei er auf den Bus angewiesen. Hin und zurück bezahlt er 3,20 Euro. Und um sich etwas zum Anziehen zu kaufen, muss er hin und wieder nach Böblingen. Dann hat er 10,60 Euro zu bezahlen. Nach der Tarifreform kommt er auf 8,40 Euro.

Nach Stuttgart zu fahren, für insgesamt 17,20 Euro, ist für den Jettinger der schiere Luxus. Wenn der VVS umgestellt hat, bezahlt er noch 13 Euro. Das mache bei ihm den Kohl nicht fett, sagt der Rentner, „ein Sozialticket würde mir echt helfen.“

Bonuskarte auch für Kultur

Sozialticket
: Der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) hat errechnet, wie viel ein Nutzer von Bussen und Bahnen im Kreis Böblingen ausgeben müsste, wenn es analog zur Landeshauptstadt dasselbe Sozialticket gäbe. Nach der geplanten VVS-Tarifreform würde er statt 86,50 Euro für zwei Zonen bei einem normalen Monatsticket 43,25 Euro bezahlen. Drei Zonen würden in dieser Ticketkategorie statt 115,20 Euro ebenfalls nur die Hälfte kosten.

Berechtigte:
Das Sozialticket erhalten in Stuttgart Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Menschen mit Hilfen zum Lebensunterhalt, Pflegebedürftige, Menschen in Eingliederungshilfeeinrichtungen, Asylbewerber sowie Bezieher von Wohngeld. Kinder unter sechs Jahren sind ausgenommen.

Bezug:
In Stuttgart erhielten ein Sozialticket alle Empfänger von Leistungen, die das Jobcenter bis zum 6. Dezember 2017 bewilligt hatte, mit der Post zugeschickt – die sogenannte Bonuscard plus Kultur, die auch den kostenlosen oder ermäßigten Eintritt in Museen und zu Kulturveranstaltungen ermöglicht. Danach ist die Bonuscard bei Vorlage des Bewilligungsbescheides der Leistungen durch das Jobcenter beim Sozialamt der Stadt erhältlich.