OB Kuhn (Bildmitte), umrahmt von den VVS-Geschäftsführen Thomas Hachenberger (links) und Horst Stammler, freuen sich über einen weiteren Zuwachs an Fahrgästen im Verkehrsverbund. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Busse und Bahnen im Bereich des Verkehr- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS) haben 2017 mehr Fahrgäste transportiert als je zuvor. Die Einführung eines kostenlosen Nahverkehrs an Tagen mit hoher Luftschadstoffbelastung könnte das System aber zumindest kurzfristig nicht bewältigen.

Stuttgart - Im 40. Jahr seines Bestehens schreibt der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) neue Rekorde bei Fahrgastzahlen und Einnahmen. Die Jahresbilanz 2017 des Verkehrsverbands, die am Freitag vorgestellt wurde, weist gegenüber dem Vorjahr erneut ein Plus von 2,3 Prozent bei den Passagieren auf. Damit liegt sie um knapp ein Prozent über dem bundesweiten Zuwachs von 1,4 Prozent. Insgesamt verzeichnet der VVS 2017 insgesamt 382 Millionen Fahrten mit Bussen, Stadt- und S-Bahnen. Die Fahrgeldeinnahmen lagen 2017 bei 533 Millionen Euro und damit 3,3 Prozent über dem Ergebnis des Vorjahres.

Der Aufsichtsratsvorsitzende des VVS, Stuttgarts OB Fritz Kuhn (Grüne), sprach von einem „sensationellen Ergebnis“. Die Strategie des VVS, mit vergünstigten Angeboten speziell während der Feinstaub-Alarmzeiten seine Attraktivität zu steigern, sei voll aufgegangen: „Das Jobticket etwa brummt ohne Ende“, lobte Kuhn das von ihm selbst initiierte Firmenticket, mit dem mittlerweile etwa 620 Firmen in der Region die Fahrten ihrer Beschäftigten mit dem öffentlichen Nahverkehr bei Feinstaubalarm subventionieren.

VVS hat mehr als eine halbe Million Stammkunden, die ein Abo besitzen

Auch das sogenannte Ausbildungs-Abo hat im Jahresvergleich um 24,7 Prozent zulegen können. Ebenso bei den Tagestickets verzeichnet der VVS ein Plus von 14,4 Prozent. Bewährt haben sich laut VVS-Geschäftsführung dabei speziell das Feinstaubticket zum halben Preis, das während der Feinstaub-Saison 2016/2017 eingeführt worden war, sowie das ermäßigte Umwelt-Tagesticket, das mit Beginn des Feinstaub-Zyklus 2017/2018 aufgelegt wurde. Rückläufig sind die Zahlen dagegen beim sogenannten 9-Uhr-Umweltticket (minus 5,3 Prozent), das eigentlich zur Entlastung des öffentlichen Verkehrs während der morgendlichen Rushhour beitragen sollte.

VVS-Geschäftsführer Horst Stammler hob hervor, dass die Zahl der Abo-Stammkunden, die dem VVS die Treue halten, mit derzeit mehr als einer halben Million Fahrgäste im Einzugsgebiet des VVS kontinuierlich gewachsen sei – und das trotz regelmäßig auftretender Verspätungen im S-Bahn- und Regionalverkehr und trotz weiterhin steigender KfZ-Zulassungszahlen. Sein Kollege Thomas Hachenberger führt dies neben der generell vorhandenen Bereitschaft der Menschen zum Umstieg auf den ÖPNV auch darauf zurück, dass das Leistungsangebot des VVS so groß sei wie nie. Als Beispiele nannte Hachenberger den Einstieg in den ganztägigen 15-Minuten-Takt bei der S-Bahn, den sukzessiven Ausbau des Stadtbahnnetzes in Stuttgart, ein neues Fahrplankonzept für die Murrbahn, die jetzt im Regionalverkehr im 30-Minuten-Takt verkehrt, sowie den Einsatz von Expressbuslinien in den Kreisen – und bald auch in Stuttgart.

Kuhn: Idee des kostenlosen Nahverkehrs ist eine „Nebelkerze“ aus Berlin

Kuhn nutzte die Gelegenheit, erneut seine Skepsis zu der Berliner Idee eines zeitweilig kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs an Tagen mit hoher Luftschadstoffbelastung zum Ausdruck zu bringen. Er sprach von einer „Nebelkerze“ der Bundesregierung. Während VVS-Geschäftsführer Stammler noch vorsichtig formulierte, ein solches Angebot würde den VVS vor „sehr große Herausforderungen“ stellen, wurde der Rathauschef deutlicher: „Das könnten unsere Verkehrssysteme gar nicht aufnehmen.“ Im Klartext: ein kostenloses Angebot würde das Netz kollabieren lassen, ganz abgesehen von den Einnahmeausfällen. Der OB plädiert stattdessen für eine stärkere Förderung der Infrastruktur durch den Bund. Stammler ergänzte, Voraussetzung für eine kostenlose Beförderung sei, dass man die Hauptverkehrszeiten entzerre. Hierzu müssten Gespräche mit Unternehmen, dem Handel und etwa auch den Schulen geführt werden: „Das kann man nicht von heute auf morgen machen.“

In der Mache dagegen hat der VVS eine große Tarifreform, die das Zonen- und Sektorensystem für die Fahrgäste übersichtlicher gestalten soll. In der kommenden Woche trifft sich dazu der Aufsichtsrat, um verschiedene Modelle zu diskutieren. Vor allem die SPD im Rathaus und der Region macht sich dafür stark und rechnet vor, dass dadurch die Preise fürs VVS-Abonnement um bis zu 20 Prozent sinken könnten. Der VVS beziffert die Kosten für eine solche Reform allerdings – je nach Umfang der Operation – auf zehn bis 60 Millionen Euro. Apropos Reform: der Landkreis Göppingen soll in absehbarer Zeit voll in den VVS integriert werden. VVS-Geschäftsführer Hachenberger teilte mit, Stadt, Landkreise und der Verband Region Stuttgart hätten dem Kreis Göppingen ein entsprechendes Angebot unterbreitet, das diesen bei der regionalen Verkehrsumlage um rund eine Million Euro pro Jahr entlaste. Nun sei der Göppinger Kreistag am Zug.