Die Ausschreibungen für den Nahverkehr auf der Schiene sollten längst laufen, doch das Land startet erst 2013 damit. Foto: dpa

Bei der Ausschreibung für den Nahverkehr auf der Schiene ist die grün-rote Landesregierung in Verzug. Die CDU wirft Verkehrsminister Hermann vor, „nachlässig“ zu handeln.

Stuttgart - Als die Grünen noch in der Opposition waren, ließen sie keine Gelegenheit aus, den großen Verkehrsvertrag für den Schienen-Personennahverkehr (SPNV) zu kritisieren. Den hatte 2003 einst die CDU-geführte Landesregierung mit der Bahn-Tochter DB Regio ausgehandelt. Die Laufzeit dauert noch bis 2016.

Inzwischen muss das Land pro gefahrenem Zug-Kilometer zehn Euro an die Bahn bezahlen. Viel zu teuer, sagen die Grünen. Nun, wo sie selbst an der Macht sind, könnten sie das ändern. Denn das Regionalnetz soll in 16 Teilen ausgeschrieben werden. Mehr Wettbewerb dank anderer Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), und somit günstigere Preise – so lautet die Formel.

Doch das Haus von Minister Winfried Hermann hat wertvolle Zeit verloren. Die Ausschreibungen wären angesichts der langen Zeitdauer – drei bis vier Jahre sind normal – längst fällig. Hermann aber will erst 2013 „mit mindestens zwei Ausschreibungen auf den Markt kommen“.

Die Ausgangslage
Derzeit sind vom Land rund 64 Millionen Zug-Kilometer pro Jahr bei 14 Verkehrsunternehmen in 23 Verträgen bestellt. Ende 2016 läuft der große Verkehrsvertrag mit der DB Regio aus. Nachdem bereits während der Laufzeit des Vertrags rund 5,5 Millionen Zug-Kilometer vorab herausgelöst wurden (u. a. Schwarzwaldbahn, Seehas), umfasst er noch etwa 39 Millionen Zug-Kilometer pro Jahr. Diese Leistungen sowie weitere 15 Millionen aus anderen auslaufenden Verträgen mit der DB Regio und weiteren nichtbundeseigenen Eisenbahnen sollen im Wettbewerb neu vergeben werden.

Die Finanzierung
Für den SPNV erhalten die Länder jährlich Regionalisierungsmittel, die aus dem Energiesteueraufkommen des Bunds kommen. Der Anteil Baden-Württembergs beträgt 10,4 Prozent. 2012 sind das 739,6 Millionen Euro. Seit 2009 werden diese Mittel jährlich um 1,5 Prozent erhöht. Da jedoch die Preise für Stationen, Trassen und Energie stärker gestiegen sind und das Angebot ausgeweitet wurde, reicht das Geld nicht mehr aus. 2012 fehlen 18,5 Millionen Euro. 2013 sind es 60 Millionen.

Stellt das Land im anstehenden Doppelhaushalt keine eigenen Mittel zusätzlich bereit, muss der Fahrplan ausgedünnt werden. Ab 2016 sollen geringere Bestellerentgelte die Misere beenden. Das geht aber nur, wenn der Wettbewerb funktioniert. Da die Ausschreibungen kompliziert sind, war 2010 bereits die CDU-FDP-Landesregierung aktiv geworden. Sie präsentierte einen Fahrplan bis 2020, um 15 Netze neu zu vergeben. Hermann aber verwarf diesen Plan. Wie sein Konzept aussieht, will er im November vorstellen. Er hat laut CDU „noch nicht einmal den ersten Schritt gemacht“ – die Vorinformation über die geplanten Ausschreibungen im EU-Amtsblatt. Fraktionschef Peter Hauk: „Wir sind in Sorge, dass der bisherige Standard nicht erhalten werden kann.“ Die Ausschreibungen für die S-Bahnen Rhein-Neckar und Breisgau und für die „Stuttgarter Linien“ müssten längst laufen.

Die Knackpunkte
Wie neue Regionalzüge und S-Bahnen für mögliche DB-Konkurrenten zu attraktiven Konditionen finanziert werden sollen, ist noch offen. Der SPD-Verkehrsexperte Hans-Martin Haller sagt: „Mein persönlicher Favorit ist die Kapitaldienstgarantie“ (siehe Hintergrund). Minister Hermann liebäugelte auch damit, dass das Land selbst einen Fahrzeugpool anschafft. Doch das wäre eine Milliarden-Investition, die er bei Finanzminister Nils Schmid (SPD) kaum durchsetzen kann. Ein weiteres Problem: Ab 2016 stehen bundesweit zahlreiche weitere Vergaben an. Insgesamt geht es in Deutschland um 360 Millionen Zug-Kilometer pro Jahr. Somit kommen auf die Bahnindustrie viele Bestellungen zu. Wer aber wie Baden-Württemberg im Verzug ist, muss sich hinten anstellen.

Spezialproblem Stuttgart 21
Durch den Bau des neuen Bahnhofs ist es schwer, den EVU genau vorauszusagen, unter welchen Bedingungen die Züge ab 2016 durch Stuttgart fahren. Die DB kann auftretende Probleme leichter lösen als ihre Konkurrenten.