Fußballkämpfer vor der Klagemauer: Der israelische Funktionär (Moshe Ivgy, l.) und der deutsche Trainer (Detlev Buck) Foto: ZDF

Endlich Frieden im Nahen Osten: In „Der 90-Minuten-Krieg“ soll ein Fußballspiel zwischen Palästinensernund Israelis entscheiden, wer bleiben darf. Das wird so lustig wie gallig – und ist für kurze Zeit in der ZDF-Mediathek abrufbar.

Stuttgart - Fußball, erklärt einem gerne jeder Hooligan-Ultra, bevor ihm das zwölfte Bier die Zunge lähmt, sei eine Art Krieg mit besserer Stadtbusanbindung. Die wunderbar freche israelisch-deutsche Satire „Der 90-Minuten-Krieg“ stellt diesen groben Fanatismus auf den Kopf. Gleich zu Beginn dieser angeblichen Live-dabei-Dokumentation über ein welthistorisches Ereignis erfahren wir aus dem Mund aufgeregter Nachrichtensprecher, der bislang unentschärfbare palästinensisch-israelische Konflikt sei endlich gelöst. Beide Seiten hätten zugestimmt, die Entscheidung einem Fußballspiel zu überlassen: Wer den geplanten Kick in einem portugiesischen Stadion gewinne, dem gehöre künftig das ganze Land alleine.

So irre diese Grundidee ist, so sorgfältig und knochentrocken komisch führen der Regisseur Eyal Halfon und seine exzellente Schauspielerriege vor, wie so eine über das schon hitzige normale Fußballfieber hinausgehende Matchvorbereitung wohl aussehen würde. Die Bosse des jüdischen und des palästinensischen Fußballverbands können keine drei Minuten miteinander unter Aufsicht der Fifa verhandeln, ohne dass stures Beharren auf den eigenen Positionen in giftige Bemerkungen und dann in offene Beschimpfungen übergeht.

Auschwitz als Motivation

Gespielt ist das so herrlich, dass man lachen muss. Zugleich schmeckt man die Galle. Die Palästinenser führen ihre Spieler zwecks moralischer Ertüchtigung durch Gassen, in denen zu Helden verklärte Heckenschützen einst der israelischen Armee auflauerten. Die von einem Deutschen (gespielt von Detlev Buck) trainierten Israelis dagegen werden nach Auschwitz geflogen: Nie wieder, mahnt ihr Verbandspräsident nach der Gedenkstättentour in einer Art vorgezogener Kabinenansprache, ließen sich Juden wie Lämmer zur Schlachtbank führen.

In den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat der Amerikaner Raymond Chandler Groschenheftleser mit Krimis bedient, die große Kunst waren. Was an seinen Texten unter anderem über das Knall-Bumm-Kreisch-Niveau hinausging, hat er am Beispiel einer Mordszene erklärt. Den Lesern bliebe eben nicht bloß im Gedächtnis, dass jemand umgebracht wurde, sondern „dass er im Augenblick seines Todes gerade versuchte, eine Heftklammer von der polierten Schreibtischoberfläche aufzunehmen; sie entschlüpfte ihm immer wieder, so dass sein Gesicht einen Ausdruck der Anstrengung zeigte, und das Allerletzte auf der Welt, an das er gedacht hätte, war der Tod.“

Großartige Kleinigkeiten

Mit einem ähnlichen Gespür für Kleinigkeiten arbeitet Halfon. Zwar tränkt der ganze reale Nahostkonflikt jede Szene wie Benzin den Lumpen im Flaschenhals eines Molotowcocktails. Aber was uns auch in Erinnerung bleibt, ist etwa eine scheinjoviale Machtgeste des israelischen Fußball-Bosses (Moshe Ivgy). Der dreht sich, schon im Weglaufen, noch mal zum Kamerateam um, drückt dem Regisseur seinen Zigarrenstumpen in die Hand und bittet ihn ohne Widerspruchszulassung, den irgendwo für ihn auszudrücken.

„Der 90-Minuten-Krieg“ lief schon unbeachtet kurz im Kino (unter dem Titel „90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden“) und 2017 bei Arte. Nun, in der Sendefolge zum siebzigjährigen Bestehen des Staates Israel und mitten in der neuen Krise mit dem Iran – der in diesem stacheligen Fußballmärchen auch eine Rolle spielt –, bekommt das Werk eine verdiente weitere Chance. Was einen fesselt, ist auch das Bewusstsein, dass so ein Match überhaupt keine Chance für Frieden böte, und die daraus resultierende Spannung, wie Halfon es wohl ausgehen lassen will. So viel sei verraten: Er entwirft ein fies mehrdeutiges Ende.

Ausstrahlung : im ZDF
in der Nacht von 8. auf 9. Mai 2018 um 0.10 Uhr; vorab und bis 21. Mai 2018 auch gratis in der Mediathek des Senders abrufbar.