Nach der Ermordung des Hamas-Führers Hanija in Teheran wartet der Nahe Osten gespannt, wie stark der Iran reagiert. Ein Krieg zwischen Iran und Israel könnte diesmal viel schlimmer ausfallen als beim letzten Schlagabtausch im April.
Dem Nahen Osten stehen „ein paar harte Tage“ bevor, schätzt die US-Regierung nach einem Bericht der Nachrichten-Seite Axios. Das ist möglicherweise stark untertrieben. Nach Israels Attentat auf Hamas-Chef Ismail Hanija in Teheran holen der Iran und seine Verbündeten in der Region zum Gegenschlag aus. Wenn sich die Eskalation nicht einfangen lässt, droht im Nahen Osten ein katastrophaler Krieg.
„Die Eskalationsspirale dreht sich bereits und ist nur schwer zu stoppen“, sagt Abdolrasool Divsallar, externer Experte des Nahost-Instituts in Washington. Beim erwarteten Vergeltungsschlag des Iran werden nach seiner Einschätzung auch Hilfstruppen wie die Huthis im Jemen und die Hisbollah im Libanon mitmachen, anders als beim ersten iranischen Raketenbeschuss auf den jüdischen Staat im April. Die US-Regierung versucht, den Partner Israel dazu zu bewegen, auf den kommenden iranischen Militärschlag verhalten zu reagieren.
Raketen, Drohnen und Cyberattacken
Sollte der Versuch scheitern, könnte ein Krieg ausbrechen, der Länder von der Türkei bis zum Jemen und von Ägypten bis Afghanistan erfassen würde. Auch das EU-Mitglied Zypern wäre in Gefahr. Großbritannien fliegt von Stützpunkten auf der Insel aus regelmäßig Angriffe auf die Huthis im Jemen. Die Hisbollah hat bereits mit einem Beschuss von Zypern gedroht. Auch die Huthis könnten die Insel mit ihren Drohnen erreichen.
In einer ersten Phase des Krieges würde Israel versuchen, Raketen und Drohnen des Iran, der Hisbollah, der Huthis und pro-iranischer Gruppen im Irak abzuwehren. Der jüdische Staat hat effektive Flugabwehrsysteme, die jedoch von einem gleichzeitigen Angriff von tausenden Geschossen überfordert werden könnten.
Bei Gegenangriffen würde Israel mit seiner hochmodernen Luftwaffe den Iran direkt angreifen und Teheran-treue Milizen im Irak, Syrien und Libanon unter Beschuss nehmen. Die USA, die mit Kriegsschiffen und Stützpunkten in der Region präsent sind, würden Israel helfen, iranische Raketen abzufangen und Verbündete Teherans wie die Huthis zu bombardieren.
Israel und die USA könnten zudem versuchen, den Iran mit Cyberangriffen lahmzulegen, so wie sie es schon vor Jahren mit dem iranischen Atomprogramm taten. Der Krieg würde voraussichtlich nicht nur in der Luft und im Internet ausgetragen. Israel hat bereits Pläne für eine Bodenoffensive gegen die Hisbollah im Libanon ausgearbeitet. Pro-iranische Milizen in Syrien könnten versuchen, die von Israel annektierten Golan-Höhen zu erobern.
Viele Menschen würden sterben. Die Simulation eines iranisch-israelischen Krieges der Abrüstungsorganisation NPEC kam zu dem Schluss, dass bei einem Massenangriff von Raketen auf Israel mehr Menschen getötet würden als beim Hamas-Überfall am 7. Oktober, bei dem 1200 Israelis starben. Ein israelischer Gegenschlag auf pro-iranische Gruppen in der Region würde demnach mehr als 2000 Menschen töten.
Wohl keine arabische Hilfe für Israel
Der Krieg hätte verheerende Folgen. Die Weltwirtschaft würde wegen steigender Ölpreise und Hindernissen für die Schifffahrt in eine Krise stürzen. Die Regierungen in der Türkei, Jordanien und Ägypten würden voraussichtlich durch anti-westliche Proteste innenpolitisch unter Druck geraten.
Der Iran soll Saudi-Arabien, Jordanien und anderen Ländern bereits damit gedroht haben, sie ebenfalls anzugreifen, falls sie bei der Verteidigung Israels helfen sollten, etwa indem sie iranische Raketen abschießen oder ihren Luftraum für amerikanische oder israelische Flugzeuge öffnen, wie sie das bei den iranischen Angriffen auf Israel im April getan hatten. Diesmal dürfte die arabische Hilfe für Israel ausbleiben, meint Thomas Demmelhuber, Nahost-Experte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. „Ich halte es für unwahrscheinlich, dass ein Land wie Jordanien nochmals in ähnlicher Art und Weise Unterstützung leisten würde“, sagt Demmelhuber.
Noch ist der Krieg nicht unausweichlich. Seine absehbaren Folgen sind so schrecklich, dass die Beteiligten davor zurückschrecken könnten. So erkennt Experte Demmelhuber beim Iran kein Interesse an einem Großkonflikt. Das Regime will sein eigenes Überleben und das seiner Verbündeten wie der Hisbollah sichern. „Hisbollah ist der Juwel einer iranischen Doktrin der ‚Vorwärtsverteidigung‘“, sagt Demmelhuber. „Diese außenpolitische Trumpfkarte will Iran nicht aufs Spiel setzen.“ Diese Haltung des Iran und die Bemühungen der USA, Israel zu zügeln, könnten die Katastrophe verhindern.