Brisantes Duell: Iago (FC Augsburg/li.) trifft auf den Leipziger Xaver Schlager. Foto: Imago/Michaela Merk

Der FCA sammelt mit Abstand die meisten Gelben Karten in der Bundesliga und liegt in der Fair-Play-Tabelle auf dem letzten Platz. Gegen RB Leipzig schießt der FCA übers Ziel hinaus – und steht trotzdem viel besser da als erwartet.

Diese Überschrift, so ist zu vermuten, hat niemandem beim FC Augsburg gefallen. „Rüpel-Truppe sorgt für Ärger“, titelte zuletzt Sport 1 auf seiner Internetseite. Im Text ging es in diesem Stil weiter. Der FCA wurde als Team dargestellt, das mit allen Mitteln kämpft – körperlich, verbal, emotional. Und das sich permanent im Grenzbereich des Zumutbaren bewegt. Was, logisch, auch mal schiefgehen kann. Wie nun bei der 3:3-Niederlage gegen RB Leipzig.

3:3-Niederlage? Stimmt schon. 3:0 führte der FC Augsburg, der am kommenden Samstag (15.30 Uhr) beim VfB Stuttgart gastiert, bereits gegen RB Leipzig. Um in den letzten 20 Minuten doch noch drei Gegentore zu kassieren. Es war eine gefühlte Pleite. Und eine, die viel mit der Spielweise des FC Augsburg zu tun hatte.

Niemand führt mehr Zweikämpfe als die Augsburger

Immer, wenn der FCA daheim ein Tor erzielt, ertönt die Torhymne „Eine Insel mit zwei Bergen . . .“ – Augsburger Puppenkiste, Jim Knopf, Lummerland. Das hört sich schön friedlich an. Und passt doch so gar nicht zum Schauspiel auf dem Rasen. Dort sind die Rollen klar verteilt. Die Mannschaft von Trainer Enrico Maaßen, spielerisch nicht unbedingt Bundesligaspitze, behauptet sich auf andere Weise. Kein Konkurrent führt mehr Zweikämpfe (2288 in elf Spielen), nur Union Berlin foult öfter als der FC Augsburg (12,8-mal pro Partie), der in der Fair-Play-Tabelle mit Abstand den letzten Platz einnimmt – vor allem wegen der vielen Gelben Karten (37/auf Platz zwei folgt der VfB mit 27). „Unser Spiel“, sagt Coach Maaßen, „ist ein Ritt auf der Rasierklinge.“ Mit dem Risiko, sich auch mal ins eigene Fleisch zu schneiden.

Gegen RB Leipzig, den favorisierten Champions-League-Teilnehmer, der an diesem Dienstag (21 Uhr) Real Madrid erwartet, war viel Musik drin. Mergim Berisha (34./Foulelfmeter), Ermedin Demirovic (51.) und Ruben Vargas (64.) machten Stimmung in der Puppenkiste, die Gäste wirkten hilflos wie Marionetten, niemand zog im RB-Spiel die Fäden. „Bis dahin“, meinte Maaßen, „war es eine fantastische Leistung.“ Doch dann übertrieb es Iago mit der Aggressivität.

Auch Stefan Reuter ist bedient

Der brasilianische Linksverteidiger foulte erst und schubste unmittelbar danach auch noch – Schiedsrichter Robert Schröder zückte blitzschnell zunächst die Gelbe und in einer einzigen flüssigen Bewegung sofort die Gelb-Rote Karte. „Saublöd, saudumm“, schimpfte Iagos Kollege Florian Niederlechner, „das muss man intern ansprechen, das ist der einzige Grund, warum wir das Spiel weggeben.“ Und auch Manager Stefan Reuter, auf der Bank stets der hochemotionale Anführer der Augsburger, war bedient: „Wir dürfen uns nicht provozieren lassen. Cool sein – das ist, was wir lernen müssen.“

In Überzahl hatte RB Leipzig aufgedreht, durch André Silva (73.), Christopher Nkunku (89.) und Hugo Novoa (90.) ein nicht mehr für möglich gehaltenes Remis geholt. „Wir haben denen geholfen, wieder zurück ins Spiel zu kommen. Das darf einfach nicht passieren“, sagte Kapitän Jeffrey Gouweleeuw. „Es ist ärgerlich, dieses Spiel noch herzuschenken.“ Was nichts daran ändert, dass der FCA nach dem ersten Drittel der Saison gut dasteht – weitaus besser jedenfalls, als von vielen vorhergesagt.

14 Punkte holten die Augsburger bereits, damit haben sie sechs Zähler Vorsprung auf den VfB Stuttgart und die gefährdete Zone. Der 0:4-Heimpleite zum Start folgten drei Auswärtssiege in Leverkusen, Bremen und auf Schalke sowie der sensationelle 1:0-Erfolg gegen den FC Bayern. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an dieser Bilanz hat Mergim Berisha (24).

WM-Kandidat vom FC Augsburg?

Der Stürmer, den auch VfB-Sportdirektor Sven Mislintat auf der Einkaufsliste gehabt haben soll, kam kurz vor Ende der Transferperiode auf Leihbasis von Fenerbahce Istanbul. Gegen den FC Bayern erzielte er das Siegtor, gegen RB Leipzig bereitete er nach seinem verwandelten Elfmeter die beiden anderen Augsburger Treffer vor. Schon zuvor hatte Stefan Reuter den früheren U-21-Europameister als Kandidat für die WM in Katar ins Spiel gebracht. Er „könnte der viel zitierte Überraschungskandidat sein“, sagte der FCA-Manager, „Berisha ist fußballerisch richtig gut, extrem torgefährlich und hat gezeigt, dass er sich gegen Top-Innenverteidiger behaupten kann“.

Weil dies zweifelsohne richtig ist, zeichnet der Text über die „Rüpel-Truppe“ eines sicher nicht: ein komplettes Bild. Denn die Augsburger Erfolgsgeschichte in dieser Saison hat eindeutig mehr Facetten als nur den Kampf mit allen Mitteln. Darauf muss sich nun auch der VfB einstellen.