Der Bayreuther Tätowierer Dawid Hilgers-Lehner hat die Protest-Aktion mit dem Hashtag #ihrmachtunsnackt ins Leben gerufen. Auch Betroffene aus Stuttgart beteiligen sich am Nackt-Protest. Foto: dpa/---

Sie lassen die Hüllen fallen, um auf ihre schwierige Lage aufmerksam zu machen: Mit dem Hashtag „ihrmachtunsnackt protestieren auch Selbstständige und Gewerbetreibende aus Stuttgart im Netz.

Stuttgart - Tätowierer aus Stuttgart und vielen anderen Städten Deutschlands protestieren nackt gegen stockende Auszahlungen der Corona-Hilfen. Mit dem Hashtag „ihrmachtunsnackt“ kreiden Gewerbetreibende und Selbstständige auf Instagram fehlende oder unvollständig überwiesene Beträge aus dem November und Dezember an. Im Internet finden sich Beiträge, in denen Menschen – teils nur mit einem Schild mit dem Slogan bekleidet – vor winterlicher Kulisse auf das Thema aufmerksam machen.

Mit dabei beim Nackt-Protest ist zum Beispiel auch das Tattoostudio Art&Symbols aus dem Stuttgarter Süden. In einem am Mittwoch veröffentlichten Instagram-Beitrag ist auf einem Foto Inhaberin Sandra Daumüller zu sehen, die nichts als einen Hut trägt. Garniert wird das Ganze mit der Botschaft: „Das ist ein stiller Protest“, da viele Selbstständige wie Inhaber von Tattoo- und Kosmetikstudios oder Restaurantbesitzer in der Coronakrise noch keine oder nicht vollständig ausbezahlte Hilfe bekommen haben.

Aus Protest lassen Tätowierer Kleider fallen

Noch emotionaler wird es in einem Beitrag der Chefin des Fitness- und Tanzstudios VerticalArts aus dem Stuttgarter Westen. „Ich bin wütend, verzweifelt, traurig und kraftleer“, schreibt sie. „So sieht es aus, Konto leer, Hilfen immer noch nicht ausgezahlt, Rechnungen häufen sich im fünfstelligen Bereich.“ Neben dem Nacktfoto mit Babybauch schildert die Selbstständige in eindringlichen Worten ihre brenzlige Situation: So müsse sie etwa ihren Mann um Geld fragen, wenn sie beim Bäcker Brot kaufen wolle. „Unabhängigkeit ist mir eines der wichtigsten Güter, nach welcher ich immer gestrebt habe. Noch nie war ich so abhängig, wie ich es jetzt bin.“ Das dramatische Fazit der Stuttgarter Unternehmerin: „Die Situation ist ohnehin beschissen und ohne baldige Hilfen für mich demnächst ausweglos.“

„Ich habe die Aktion ins Leben gerufen, weil es ein stiller Protest ist, er aber durch die Nacktheit Aufmerksamkeit findet“, sagt der Bayreuther Tätowierer Dawid Hilgers-Lehner der Nachrichtenagentur dpa. Er berichtet von Bekannten, die keine Hilfen oder nur einen Abschlag bekommen haben – einige seien bereits pleite, sagte er.

Bundesverband Tattoo: Hilfen sind ein Rohrkrepierer

Den Bundesverband Tattoo freut, dass „eine ohnehin bunte Branche einen kreativen, friedlichen und originellen Weg gefunden hat, den eigenen, tiefgehenden, Sorgen Ausdruck zu verleihen“, sagte der Vorsitzende Urban Slamal. Die als „Bazooka“ angekündigten Hilfen seien ein Rohrkrepierer, die Liquidität der betroffenen Unternehmen werde branchenübergreifend immer dramatischer. Man müsse davon ausgehen, dass Versäumnisse von Bund und Ländern einer „nennenswerten Anzahl von Unternehmern die berufliche Existenz kosten werden“.

Hilgers-Lehner wollte eine friedvolle Auseinandersetzung mit dem Thema. Zurzeit kursiere im Netz ein „Mix aus Verschwörungserzählern und Hass“, das habe er nicht mehr ausgehalten. Der gelernte Intensivmediziner hält die Corona-Einschränkungen nach eigenen Angaben für sinnvoll. „Mein Ziel war nicht, die Einschränkungen infrage zu stellen, sondern auf die ausbleibenden Zahlungen hinzuweisen“. Sein Ziel sei es, einen Dialog zwischen Wirtschafts- und Finanzministerium und den Gewerbetreibenden zu erreichen.

Die Hilfen aus Bundesmitteln richten sich an Unternehmen, Selbstständige und Vereine. Bei den Dezemberhilfen können Betriebe Zuschüsse von bis zu 75 Prozent des Umsatzes aus dem Dezember 2019 erhalten. Die Bundesländer sind für Antragsbearbeitung, Prüfung und Auszahlung zuständig. Seit Beginn der Krise hat der Bund laut Wirtschaftsministerium rund 80 Milliarden Euro an Hilfen bewilligt.