Debatten über die Wochenenden im Zentrum lassen argwöhnen, dass marodierende Horden einfallen. So ist es nicht. Foto: Achim Zweygarth

Partynächte im Zentrum sind ein fragwürdiges Vergnügen, aber sie gefährden nicht die Gesundheit. Die Polizei scheint allgegenwärtig. Die Hinterlassenschaften der Nacht sind allgegenwärtig.

S-Mitte - Arbeitsverweigerung lässt die Polizei sich nicht vorwerfen. Über die Theodor-Heuss-Straße blitzt Blaulicht. Streifenwagen sind allgegenwärtig, abgestellt oder in Fahrt. Zusätzlich patrouillieren Uniformierte zu Fuß. Allerdings nötigt die Staatsmacht nicht jedem Wohlverhalten ab. Das Quietschen durchdrehender Reifen übertönt das Wummern der Bässe aus den Lautsprechern der Clubs. Gummistreifen auf Asphalt sind die Visitenkarten aus Waiblingen, Ludwigsburg, Esslingen – „unserer Gäste aus den Landkreisen“, sagt Veronika Kienzle, die Bezirksvorsteherin der Stadtmitte, mit Sarkasmus. Auf der Partymeile sind Stuttgarter Kennzeichen in der Minderzahl.

Aus statistischer Sicht hätten die Streifenwagen an diesem Samstag in der Garage bleiben können. Ein Halbwüchsiger hat mit einem Hammer 16 geparkte Autos verbeult. Ein Mann ist verhaftet worden, weil er 63 Ecstasy-Pillen in der Tasche hatte. Das ist die Bilanz eines aus polizeilicher Sicht ruhigen Wochenendes. Allerdings kann diese Bilanz trügen. „Wenn wir jede Schlägerei melden würden, hätten wir viel zu tun“, sagt Olef Petersen von der Pressestelle der Polizei. Zumal nur ein geringer Teil derjenigen, die sich gegenseitig auf den Schädel kloppen, aufs Revier kommt.

„Die Innenstadt ersäuft in Alkohol und Gewalt“

„Am Wochenende ersäuft die Innenstadt in Alkohol und Gewalt.“ So hat es der katholische Stadtdekan Christian Hermes bei einer Podiumsdiskussion der Stuttgarter Nachrichten beklagt. Derlei Sätze des Geistlichen waren der Anstoß für regelmäßige Treffen von Polizei und Amtsleuten zum Thema Sicherheit und Müll in der Stadtmitte. Diese Sorge plagt auch den Bezirksbeirat Mitte dauerhaft, meist wenn Wirte beantragen, ihre Öffnungszeiten über die generelle Grenze von fünf Uhr hinaus verlängern zu lassen. Die Lokalpolitiker lehnen solches Ansinnen stets mit Hinweis auf unerträgliche Zustände ab.

Derlei Debatten lassen argwöhnen, dass marodierende Horden auf der Suche nach Opfern durchs Stuttgarter Zentrum ziehen. So ist es nicht, auch wenn beim Hans-im-Glück-Brunnen um kurz nach drei eine jener Schlägereien auflodert, von der die Polizei nie erfahren wird. Nach 30 Sekunden sind die Wuthormone verpufft. Verletzt ist niemand, auch nicht verbeult. Ein Gang durch die selbst ernannten Szenekneipen der Nacht, in der jeder Zweite mit Erstnamen Hey und mit Zweitnamen Alder zu heißen scheint, ist ein zweifelhaftes Amüsement, aber er gefährdet nicht die Gesundheit.

Vor dem Palast der Republik, einst Treff der schrägen Vögel des frühen Morgens, war um halb zwei Kehraus. Einer derjenigen, der sonst Bier zapft im Rondell am oberen Ende der Bolzstraße, hat auf dem Gehweg scheppernde Reste des Abends zusammengefegt: Müll, Flaschen, Scherben. Auch andernorts wird nach Schankschluss treu gekehrt. Vor dem Imbiss an der Treppe zur Hirschstraße – neben der Tahiti-Stripbar – klaubt ein Großreinemacher mit Kehrblech und Besen sogar jede Kippe auf.

Aber „es gibt eben alles to go“ – zum Mitnehmen, sagt Hermann Karpf. „Essen to go, Getränke to go, vielleicht sollte die Stadtgesellschaft mal umdenken“. Karpf ist persönlicher Mitarbeiter von Martin Schairer, des Stuttgarter Ordnungsbürgermeisters. Die Männer von der Straßenreinigung, sagt er, „schaffen wirklich wie die Blöden“. Weil auch die willigsten Wirte sich selbstredend nur um den Platz vor ihren Läden kümmern, nicht um die Umgebung, reicht es trotzdem nicht.

Überall hat irgendjemand etwas aus Glas zertrümmert

Nachts um halb fünf verebbt der Betrieb auf der Theodor-Heuss-Straße. Der Wind weht Servietten und Pappbecher dem Ende der Partynacht entgegen. An so gut wie jeder senkrechten Fläche hat irgendjemand irgendetwas aus Glas zertrümmert. Auf so gut wie jeder waagrechten Fläche stehen Flaschen. Bier selbstverständlich, Wodka, der Treibstoff des Vorglühens, Sekt, der an den Theken denjenigen zu teuer ist, die sich hier herumtreiben. Wer älter ist als dreißig, wirkt schier schon wie ein Greis.

Wer zu jung ist, um die Folgen seines Suffs abzuschätzen, wankt auf der Suche nach der Vision von einem geordneten Rückzug gen Heimat von Laternenmast zu Laternenmast. Ein Türsteher, Format Wandschrank, versucht mittels Formaldeutsch Streit mit ein paar Gästen zu ersticken: „Egal welche Problemlage, ihr könnt immer mit uns darüber reden“, sagt er. Die aktuelle Problemlage ist, warum auch immer, dass „ein Abend nicht beschissener enden kann, es ist zum Kotzen“. Dieses Gefühl hat einen säuerlichen Geruch, denn andere haben es unübersehbar in Lachen gegossen.

All das ist nicht schön, aber – wenn man so will – von höchster städtischer Stelle gestempelt und genehmigt. Am 28. September hat Oberbürgermeister Wolfgang Schuster das 167. Volksfest eröffnet. Er lobte die Stuttgarter als „Weltmeister im Feiern“. Darauf die Krüge hoch und ein Prosit – der Gemütlichkeit. 17 Tage später gab die Polizei bekannt, das Fest sei friedlich verlaufen. Auf dem Wasen verhafteten Polizisten bei 618 Einsätzen 520 Besucher. Einmal fielen Schüsse. Gegen diejenigen, die offensichtlich vom Volksfest kamen, hatten etliche Wirte der Innenstadt vorsorglich Lokalverbot verhängt.