Gummitiere, Astronauten und Hymnen auf das Unfertige: Schorsch Kamerun bespielt mit dem irrwitzigen Stück „Motor City Super Stuttgart“ die Stuttgart-21-Grube am Hauptbahnhof.
Stuttgart - „Wir bauen eine neue Stadt! Wir bauen eine neue Stadt!“, skandiert der Chor. Deren Mitglieder sind in Aluminium-Kondome verpackt und schleppen Zitronenbäumchen mit sich herum. Schorsch Kamerun krächzt kuriose Lieder, die Stuttgarter Philharmoniker unter der Leitung Viktoriia Vitrenkos lassen beherzt ein Stakkato nach dem anderen durch die Grube toben. Der Schauspieler Robert Rozic stolziert als vom Immerweiter erzählender Astronaut durch die Baustelle, die Sängerin Josefin Feiler verwandelt sich in einen Schmetterling, und die berühmte Riesenschildkröte George, die lieber aussterben als sich paaren wollte, kommt auch vor.
Ein Loblied auf die Planate
Willkommen in Schorsch Kameruns „Motor City Super Stuttgart“ – einer wilden Mischung aus postapokalyptischem Märchenpark und Versuchsanordnung, Theaterspektakel und Baustellen-Singspiel. Der 56-jährige Musiker und Theatermann macht den Bauabschnitt 16 von Stuttgart 21, also die gewaltige Grube am Hauptbahnhof, zum Star seiner Theatergroteske, die am Donnerstag Premiere gefeiert hat, füllt die Baustelle mit wimmelndem Leben, lässt zwar auch mal die Namen Roland Ostertag und Wolfgang Frey fallen, handelt den Stadtentwicklungsdiskurs aber nur nebenbei ab, um sich ständig aufs Neue in aberwitzige szenische Einfälle zu stürzen. Etwa wenn Josefin Feiler sich als Titelheld von Händels Oper „Serse“ („Xerxes“) verkleidet, goldgewandet die Grube abschreitet und die Arie „Ombra mai fu“ singt – ein Loblied auf eine Platane.
Im Vorspiel vor dem Theater hat Schorsch Kamerun die Zuschauer zuvor am Bauzaun abgeholt und sich für die Verspätung entschuldigt: „Manchmal wird man halt nicht rechtzeitig fertig“, sagt er und tut so, als ob ihm gar nicht bewusst wäre, dass man das nicht nur auf die Premiere seines Stücks, sondern auch auf das Projekt Stuttgart 21 beziehen könnte. Doch wenn es etwas, gibt, das dieses herrliche Durcheinander des Premierenabends zusammenhält, dann ist es die Lust am Unfertigen, am Vorläufigen, am Unperfekten. „Motor City Super Stuttgart“ ist eine Apologie des Scheiterns, die behauptet, dass die Stadt der Zukunft aus den Trümmern gescheiterter Utopien entsteht. Die Autostadt muss in Zeiten von Fridays for Future noch einmal ganz von vorne anfangen, und die S-21- Baustelle verwandelt sich in einen Vergnügungspark, einen Abenteuerspielplatz. Stuttgart ist tot! Lang lebe Kaputtgart!
„Wir schaffen das“ lässt Kamerun ausrichten
Mitten drin der Schauspieler Robert Rozic, der sich wie ein Investment-Banker auf Speed mal als Bauarbeiter, mal als Astronaut verkleidet, über die Kunst des Niedergangs, über die Porosität der Architektur philosophiert „Die, die es sich leisten konnten, haben sich längst aus dem Staub gemacht. Zum Beispiel nach Berlin“, lässt ihn Kamerun im Eröffnungsmonolog sagen, Stuttgart ein ähnliches Schicksal wie Detroit voraussagen und das Scheitern und die Katastrophe der Autostadt als Chance feiern: „Wir schaffen das!“, sagt Rozic.
Zwischen Shakespeare und Palais Schaumburg
Anderthalb Stunden lang bleibt „Motor City Super Stuttgart“ eine Collage aus Dada, Trash, Slapstick und großer Oper. Kamerun stellt viele Fragen gibt wenige Antworten, bietet ein wunderbares Mash-up, durch das ein bisschen die „Philemon und Baucis“-Szene aus Goethes „Faust II“ und ein bisschen mehr Shakespeares „Sommernachtstraum“ hindurchschimmert – mit Rozic in der Rolle des Puck.
Der Soundtrack zu diesem Fest des Unfertigen gleicht einer Großstadtsinfonie (Co-Komposition und Arrangement: Ui-Kyung Lee), die ständig zitternd, zuckend, atemlos versucht, den urbanen Moloch abzubilden, Dissonanzen und Stakkatos liebt und ein ähnliches Durcheinander bietet wie die zum Bühnenbild erklärte Baustelle. Punkrockgestus trifft auf Opernkitsch, Palais Schaumburgs Version von Paul Hindemiths „Wir bauen eine Stadt“ („Gibst du mir Steine, geb ich dir Sand“) wird zu einer polternden sinfonischen Dichtung, die wunderbar zu der „Motor City Super Stuttgart“-Version des Punkrock-Klassikers „Zurück zum Beton“ der Band S.Y.P.H. aus dem Jahr 1980 passt: „Ekel Ekel Natur Natur / Ich will Beton pur“.
Hochzeit unterm Plastikregenbogen
Das mit Kopfhörern ausgestattete Publikum sitzt derweil wie das Orchester zwischen den Kelchen, die irgendwann einmal das Dach des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs tragen sollen, und lauscht mal betört, mal verstört diesem seltsamen Treiben, dem Kamerun tatsächlich ein kunterbunt-märchenhaftes Happy End bescheren wird – samt aufblasbaren Elefanten und Giraffen und einer Hochzeit unter einem Plastikregenbogen.
Nur insgesamt vier Mal wird Schorsch Kameruns „Motor City Super Stuttgart“ bis Sonntag, 22. September, in der S-21-Baustelle am Hauptbahnhof gespielt. Alle Aufführungen sind ausverkauft.
Ein Loblied auf die Planate
Willkommen in Schorsch Kameruns „Motor City Super Stuttgart“ – einer wilden Mischung aus postapokalyptischem Märchenpark und Versuchsanordnung, Theaterspektakel und Baustellen-Singspiel. Der 56-jährige Musiker und Theatermann macht den Bauabschnitt 16 von Stuttgart 21, also die gewaltige Grube am Hauptbahnhof, zum Star seiner Theatergroteske, die am Donnerstag Premiere gefeiert hat, füllt die Baustelle mit wimmelndem Leben, lässt zwar auch mal die Namen Roland Ostertag und Wolfgang Frey fallen, handelt den Stadtentwicklungsdiskurs aber nur nebenbei ab, um sich ständig aufs Neue in aberwitzige szenische Einfälle zu stürzen. Etwa wenn Josefin Feiler sich als Titelheld von Händels Oper „Serse“ („Xerxes“) verkleidet, goldgewandet die Grube abschreitet und die Arie „Ombra mai fu“ singt – ein Loblied auf eine Platane.
Im Vorspiel vor dem Theater hat Schorsch Kamerun die Zuschauer zuvor am Bauzaun abgeholt und sich für die Verspätung entschuldigt: „Manchmal wird man halt nicht rechtzeitig fertig“, sagt er und tut so, als ob ihm gar nicht bewusst wäre, dass man das nicht nur auf die Premiere seines Stücks, sondern auch auf das Projekt Stuttgart 21 beziehen könnte. Doch wenn es etwas, gibt, das dieses herrliche Durcheinander des Premierenabends zusammenhält, dann ist es die Lust am Unfertigen, am Vorläufigen, am Unperfekten. „Motor City Super Stuttgart“ ist eine Apologie des Scheiterns, die behauptet, dass die Stadt der Zukunft aus den Trümmern gescheiterter Utopien entsteht. Die Autostadt muss in Zeiten von Fridays for Future noch einmal ganz von vorne anfangen, und die S-21- Baustelle verwandelt sich in einen Vergnügungspark, einen Abenteuerspielplatz. Stuttgart ist tot! Lang lebe Kaputtgart!
„Wir schaffen das“ lässt Kamerun ausrichten
Mitten drin der Schauspieler Robert Rozic, der sich wie ein Investment-Banker auf Speed mal als Bauarbeiter, mal als Astronaut verkleidet, über die Kunst des Niedergangs, über die Porosität der Architektur philosophiert „Die, die es sich leisten konnten, haben sich längst aus dem Staub gemacht. Zum Beispiel nach Berlin“, lässt ihn Kamerun im Eröffnungsmonolog sagen, Stuttgart ein ähnliches Schicksal wie Detroit voraussagen und das Scheitern und die Katastrophe der Autostadt als Chance feiern: „Wir schaffen das!“, sagt Rozic.
Zwischen Shakespeare und Palais Schaumburg
Anderthalb Stunden lang bleibt „Motor City Super Stuttgart“ eine Collage aus Dada, Trash, Slapstick und großer Oper. Kamerun stellt viele Fragen gibt wenige Antworten, bietet ein wunderbares Mash-up, durch das ein bisschen die „Philemon und Baucis“-Szene aus Goethes „Faust II“ und ein bisschen mehr Shakespeares „Sommernachtstraum“ hindurchschimmert – mit Rozic in der Rolle des Puck.
Der Soundtrack zu diesem Fest des Unfertigen gleicht einer Großstadtsinfonie (Co-Komposition und Arrangement: Ui-Kyung Lee), die ständig zitternd, zuckend, atemlos versucht, den urbanen Moloch abzubilden, Dissonanzen und Stakkatos liebt und ein ähnliches Durcheinander bietet wie die zum Bühnenbild erklärte Baustelle. Punkrockgestus trifft auf Opernkitsch, Palais Schaumburgs Version von Paul Hindemiths „Wir bauen eine Stadt“ („Gibst du mir Steine, geb ich dir Sand“) wird zu einer polternden sinfonischen Dichtung, die wunderbar zu der „Motor City Super Stuttgart“-Version des Punkrock-Klassikers „Zurück zum Beton“ der Band S.Y.P.H. aus dem Jahr 1980 passt: „Ekel Ekel Natur Natur / Ich will Beton pur“.
Hochzeit unterm Plastikregenbogen
Das mit Kopfhörern ausgestattete Publikum sitzt derweil wie das Orchester zwischen den Kelchen, die irgendwann einmal das Dach des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs tragen sollen, und lauscht mal betört, mal verstört diesem seltsamen Treiben, dem Kamerun tatsächlich ein kunterbunt-märchenhaftes Happy End bescheren wird – samt aufblasbaren Elefanten und Giraffen und einer Hochzeit unter einem Plastikregenbogen.
Nur insgesamt vier Mal wird Schorsch Kameruns „Motor City Super Stuttgart“ bis Sonntag, 22. September, in der S-21-Baustelle am Hauptbahnhof gespielt. Alle Aufführungen sind ausverkauft.