Er prägte das Gesicht der Stadt - Manfred Rommel hat mit seiner Liberalität und seinem Witz Stuttgart seinen Stempel aufgedrückt. Foto: dpa

Stuttgart und Manfred Rommel – für Helmut Kohl waren das in seiner Zeit als Bundeskanzler Synonyme. Für viele andere Deutsche auch. Jetzt ist der Altoberbürgermeister im Alter von 84 Jahren gestorben. Stuttgart verliert einen Teil von sich selbst.

Stuttgart - Er wurde ungern Oberbürgermeister, aber ist es später immer gern gewesen. Das gestand Manfred Rommel am 17. Dezember 1996, als er sich nach 22 Jahren und sieben Tagen als Stadtoberhaupt in den Ruhestand verabschieden musste. Weil es das Gesetz so wollte. Jetzt, fast 17 Jahre nach diesem Abschied aus dem Amt, hat Stuttgart ihn endgültig verloren. Er starb an den Folgen eines Sturzes und einer Lungenentzündung, im weiteren Sinne an den Folgen seiner Parkinson-Erkrankung.

Die Liebe zum OB-Amt war bei Rommel nach dem Ja-Wort gekommen. Zunächst hatte der CDU-Landesvorsitzende und Ministerpräsident Hans Filbinger seinen langjährigen Chefdenker und Finanzstaatssekretär unter Druck setzen müssen. Sonst hätte er nach dem plötzlichen Tod des parteilosen Amtsinhabers Arnulf Klett 1974 nicht ernsthaft nach dem OB-Sessel gestrebt. Als die SPD aber auch noch dem bei den Bürgern populären Ersten Bürgermeister Jürgen Hahn die Nominierung zum Kandidaten versagte, gab Rommel der CDU seine Zusage. Sie war, auch wenn sich gegen Ende seiner Ägide kritische Stimmen erheben sollten, der Beginn einer wunderbaren Beziehung zwischen Rommel und Stuttgart.

Ein OB, der als Schwabe schlechthin galt

Doch zuerst lernte die CDU das Zittern. Der linkische Kandidat sparte mit Kampfgehabe. Er knauserte mit Zusagen. Er schien als Volkstribun nicht zu taugen. Die Parteistrategen dachten im Wahlkampf sogar an Ablösung. Aber es kam ganz anders. Waren es gerade die kleinen sympathischen Fehler? War es der große Name? War es der kluge Verzicht auf Blenderei? Im zweiten Wahlgang jedenfalls obsiegte Rommel klar.

Stuttgart bekam einen OB, der als Schwabe schlechthin galt. Einen Mann des Wortes und der politischen Moral, der nicht moralisierte. Ein Stadtoberhaupt, das, wie Ministerpräsident Erwin Teufel sagte, populär war, aber nicht populistisch. Eine Persönlichkeit, durch deren Haltung Stuttgart zur offenen Stadt werden konnte, obwohl es noch einige Zeit von Pietismus und Provinzialität gezeichnet blieb.

Der leichtfüßigere Vorgänger Arnulf Klett hatte in der großteils zerstörten Stadt vieles wieder aufbauen müssen. Von Rommel forderten die veränderten Realitäten mehr die Balance zwischen Wunsch und Möglichkeit, die Konsolidierung der Finanzen. Der „Mann mit dem Taschenrechner“, wie man ihn in der Landesverwaltung nannte, und „Erfinder der mittelfristigen Finanzplanung“ nahm die Rolle an.

Seine Reden würzte er stets mit Witzen, Bibelzitaten oder schwarzem Humor

Kaum ein Thema, über das er nicht sinnierte; am Schreibtisch im Rathaus, gern auch daheim an der Schreibmaschine, später am Computer. Das Ergebnis waren Denkschriften gegen die Verteufelung von Technik, gegen die Überbewertung von Schadstoffen im Nanogrammbereich und gegen die Finanzpolitik des Bundes. Aber auch für die Gewährung der doppelten Staatsbürgerschaft und für die Aussöhnung mit den einstigen Kriegsgegnern.

Seine Reden schrieb er selbst – wie früher Manuskripte für Hans Filbinger oder Teile der Regierungserklärung des frisch gekürten Bundeskanzlers Kurt-Georg Kiesinger. Er würzte sie mit Witzen, Bibelzitaten, Aphorismen, schwarzem Humor. Die Volksfesteröffnung war ihm eine willkommene Gelegenheit, jedes Jahr seine Wirkung als Redner zu testen, ehe er mit kultivierter Tolpatschigkeit beim Fassanstich Bier vergoss.

Einer der nachdenklichsten Männer Deutschlands, lobte die „Washington Post“

Mit seinen Büchern wurde er der erfolgreichste Schriftsteller der Stadt. Er sei einer der nachdenklichsten Männer Deutschlands, lobte die „Washington Post“. Rommel war damit endgültig zum wichtigsten Aushängeschild der Landeshauptstadt geworden. Er stand für Toleranz, Liberalität und unbeirrbares Eintreten für die Demokratie – und für die Freiheit, auch die eigene Partei des Unrechts zu zeihen. So verhinderte er die von CDU-Politikern geforderte Entlassung des Schauspieldirektors Claus Peymann, der an einem Schwarzen Brett um Spenden für die Zahnbehandlung der Terroristin Meinhof gebeten hatte.

Dass Rommel den durch Suizid geendeten Terroristen Baader, Ensslin und Raspe 1977 ein Grab auf dem Dornhaldenfriedhof nicht verweigerte, trug ihm große Anfeindungen ein. Aber auch Auf- und Ansehen in der Welt. Rommels Überzeugung lautete: „Im Tod muss alle Feindschaft enden.“

Rommel machte das OB-Amt zu seiner Lebensaufgabe und zu seiner Bühne. Nach außen war er sympathische Identifikationsfigur, im Rathaus konnte er delegieren, aber auch durchgreifen. Übermäßige Theorie war ihm verdächtig. Rommel war und blieb Pragmatiker, verstand die Politik als die Kunst des Möglichen. Von den Politikern forderte er, den Bürgern reinen Wein einzuschenken statt die wahre Lage zu vernebeln.

Rommel brachte OB Schuster in Stellung

 Als Sprungbrett, so hatte er beteuert, betrachte er sein OB-Amt nicht. Als sein Förderer Filbinger als Ministerpräsident zurücktreten musste, strebte Rommel 1978 aber doch das wichtigste politische Amt im Land an. In der Landtagsfraktion unterlag er Lothar Späth deutlicher als von ihm selbst erwartet. Freilich hatte der Nachdenkliche die letzte Entschlossenheit und die nötigen Tricksereien vermissen lassen. Dass Rommel zeitweilig als Regierender Bürgermeister in Berlin, dort sogar als Bundespräsident gehandelt wurde, unterstrich später nur weiter seine politische Klasse. Er war nicht nur Stadtoberhaupt. Er war Stuttgarts Staatsmann ohne Staatsamt.

Die Liste der Erfolge ist lang. Aber nicht alles hat Rommel erreicht. Beispielsweise blieb ihm die Bildung eines Regionalkreises versagt. Gegen Ende seiner Amtszeit meinten manche, die Impulse des durch ein Magengeschwür, Rückenprobleme und Parkinson-Krankheit geschwächten Mannes seien zu schwach. Besonders Hans Peter Stihl, Chef der Industrie- und Handelskammer, tat sich dabei hervor. Rommels Nachfolger Wolfgang Schuster half der Klage über zu wenig Ideen und Impulse später gründlich ab. Aber selbst daran hatte Rommel Anteil: Er hatte Schuster in Stellung gebracht.

Der Mensch und das politische Profil Manfred Rommels wären undenkbar ohne die Versuchung der Nazizeit und das, was Kohl „die Tragödie seines Lebens“ nannte: den von Hitler erzwungenen Selbstmord des Generalfeldmarschalls und Kriegshelden Erwin Rommel. Mit dem historischen Bild des Vaters hat sich Rommel zeitlebens beschäftigt. Besonders zum Zeitpunkt der OB-Wahl 1974, aber auch noch später war er für viele „dem Wüstenfuchs sein Kloiner“.

Rommel litt unter dem Schatten seines Vaters

Rommel, sagen Weggefährten, habe unter dem Schatten des Vaters gelitten. Die Erinnerung an ihn begleitete ihn auf Schritt und Tritt. Besonders im Ausland. Als der Stuttgarter OB 1995 auf einem Luftwaffenstützpunkt im US-Bundesstaat Alabama weilte, strömten fast 1000 Offiziere zusammen, um den Sohn des Wüstenfuchses zu hören. Er nutzte auch diese Chance, um zu sagen, dass ein unterlegenes Deutschland ohne Hitler immer noch besser war als es ein siegreiches Deutschland mit dem Tyrannen gewesen wäre. Eine Formel, mit der Manfred Rommel die deutsche Tragödie auf den Nenner brachte – und unterschwellig auch die familiäre. Der Vater war Berufssoldat, der Sohn wurde nach schmerzlichen Erfahrungen zum Zivilisten durch und durch. Er unterzog sich erfolgreich dem schwierigen Balance-Akt, den umstrittenen Vater zu verehren, aber Distanz zu mythischer Verehrung des Kriegsgenerals zu wahren.

Mit seiner Lebensleistung hat er den Schatten, den der Vater auf ihn warf, schließlich gebannt. Ob der schwäbische Politiker und Zivilist Manfred Rommel den weltberühmten Kriegshelden Erwin Rommel in der Geschichte nun überragt oder nicht, haben sich manche immer wieder gefragt. Viel spricht dafür. Eine Popularität wie die von Manfred Rommel und so viel Vertrauen haben im Nachkriegsdeutschland jedenfalls nicht viele Politiker genossen. Manchmal irrte auch er. Ganz sicher 1996, als Rommel sagte: „In einem Jahr werden mich die Leute bereits vergessen haben.“