Er war kein typischer Berufspolitiker: Der ehemalige Außenminister Klaus Kinkel ist im Alter von 82 Jahren gestorben.
Berlin - Er hat mit so vielen Bewertungen leben müssen. „Unauffällig und effizient“ sei er als Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND) gewesen. „Bedächtig“ und manchmal „naiv“ als Außenminister. Bemüht mit der Parteipolitik, aber „fremdelnd“ als FDP-Vorsitzender. Seltsam, bezeichnend auch, dass die Eigenschaften, die den Menschen hinter all den Funktionen kennzeichneten, in solchen Aufzählungen nie vorkamen: Klaus Kinkel war ein grundneugieriger, offener und zugewandter Mensch. Wer ihn interviewte, musste mit Gegenfragen rechnen. Kinkel wollte wissen, mit wem er es zu tun hatte. Herkunft, Ansichten, Vorlieben – das interessierte ihn an seinen Gesprächspartnern. Er war ein exzellenter Zuhörer. Politik ist nicht unbedingt das Wirkungsfeld für einen, der sich so für die Welt und nicht allein auf sein Ego konzentriert. Vizekanzler war er fünf Jahre lang. Und dennoch blieb er in seiner gesamten Zeit als Politiker das Gegenmodell zum Typus desjenigen, der testosteronprall am Tor des Kanzlerlamtes rüttelt.
Eigentlich wollte Kinkel Arzt werden
Tatsächlich wollte Kinkel zunächst Arzt werden, wie sein Vater. Das war nicht seine Berufung. Er wechselte rasch zur Rechtswissenschaft. Nach einigen Umwegen, die auch über das Landratsamt in Balingen führten, kam er ins Bundesinnenministerium. Hans-Dietrich Genscher, damals noch Innenminister, machte ihn zu seinem persönlichen Referenten – eine Schlüsselbegegnung. Genscher nahm ihn mit ins Außenamt, machte ihn zum Chef des Leitungsstabes. Er sorgte mit für seine Berufung zum Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (1979 bis 1982), und es war logisch, wenn auch in der FDP nicht unumstritten, dass Kinkel vom Justizministerium, dem er ab Januar 1991 vorstand, im Folgejahr Genschers Nachfolger als Außenminister wurde. Er blieb es bis 1998. Sie haben sich nie geduzt, aber es war Klaus Kinkel, nicht Guido Westerwelle, nicht Jürgen Möllemann, der der eigentliche politische Ziehsohn des liberalen Übervaters Genscher gewesen zu sein.
Kinkel konnte nie überspielen, wenn etwas an ihm nagte. In Hintergrundgesprächen konnte dann sehr schwäbisch aus ihm herauspoltern, was ihn bewegte. „Der Politiker muss sich gelegentlich abschirmen und sich an die Umstände anpassen – auf eine Weise, die nicht natürlich ist“, sagte Kinkel einmal dem Autor dieser Zeilen.
Zwei Jahre lang war er FDP-Chef
Seine Zeit als Außenminister fiel in die vergleichsweise windstille Phase zwischen der Auflösung der Ost-West-Gegensätze und dem Anschlag auf das World Trade Center in New York. Kinkel sah seine Aufgabe darin, in einer Welt, die unübersichtlicher wurde, unermüdlich Gesprächsfäden zu knüpfen. Die alte Genscher-Schule. Kinkel war in der Auswahl der Gesprächspartner nicht zimperlich. Selbst der Serbe Slobodan Milosevic gehörte dazu, als es darum ging, auf dem Balkan eine neue Friedensordnung zu schaffen. Gegen heftige innenpolitische Kritik baute er auch Kontakte zum iranischen Mullah-Regime auf. Ohne die von Kinkel geöffneten Türen wäre das spätere Atom-Abkommen mit Teheran kaum denkbar gewesen.
Von 1993 bis 1995 war er FDP-Chef. Keine guten Jahre für die von Wahlniederlagen geschüttelte Partei. Es stimmt wohl auch, dass der parteipolitische Kleinkrieg nicht die Welt war, die er liebte. Nach einer Periode im Amt trat er nicht mehr an. Dass er das Leben nach der Politik auch als Befreiung empfand, daraus machte er keinen Hehl. Als Vorsitzender der Telekom-Stiftung widmete er sich der Bildungsförderung. Und endlich blieb auch mehr Zeit für den Fußball und für den Karlsruher SC, dessen Ehrenmitglied er war. Ein tragischer Schicksalsschlag, der Tod seiner damals 20-jährigen Tochter durch einen Fahrradunfall, machte aus Kinkel zudem einen engagierten Befürworter der Organspende. Sein soziales Engagement war breit gestreut. Das Interesse an der Politik hat ihn nie losgelassen. Angesichts der globalen Entwicklungen mischte sich zuletzt ein skeptischer Zug in seine Äußerungen. Der Mann, der in seiner Zeit als Außenminister stets die Notwendigkeit des internationalen Dialogs betonte, fühlte sich zutiefst irritiert, ja abgestoßen vom Stil des US-Präsidenten Donald Trump. „Die Weltpolitik ist stellenweise scheinbar zu einem dümmlichen Zirkus geworden“, sagte er in einem seiner letzten Interviews.
Das Zitat vom Politiker, „der sich gelegentlich abschirmen und sich an Umstände anpassen“ muss, ging eigentlich noch weiter. „Ich habe versucht, mich nicht zu verbiegen“, hatte Klaus Kinkel damals noch hinzugefügt. Das ist ihm gelungen. Nun ist er nach schwerer Krankheit im Alter von 82 Jahren gestorben.