Jerry Lewis im Mai 2013 auf dem Filmfestival in Cannes Foto: dpa

Er war ein Meister der tröstlichen Albernheit. Jerry Lewis spielte putzmuntere Versager, linkische Typen, die mehr Kind als Mann waren. Nun ist der amerikanische Filmkomiker im Alter von 91 Jahren gestorben.

Stuttgart - Gestern zähmte er die Wildnis als Pionier, heute bestand er als Vorstadtvater die Prestige- und Karrierekämpfe des Mittelstandes: Der amerikanische Mann war im 20. Jahrhundert ein Halbgott im Wandel. Kaum war er aus den Schützenlöchern in Europa und auf den Pazifikinseln gekrochen, erwarteten ihn Werbebilder, die ihm zeigten, wer er nun zu sein hatte: ein lächelnder Kerl in Klamotten der Saison, bestens rasiert und frisiert, der vom Steuer der jeweils neuesten Straßenkreuzergeneration aus lächelnd der Welt zuwinkte. Der anstrengungslos kompetente Zugriff auf die größten Aufgaben wurde erwartet. Die Welt lag jetzt in amerikanischen Händen, und jede kleine Geste im Alltag sollte zeigen, dass sie da in guten Händen lag, die das Glück per Knopfdruck Wirklichkeit werden ließen. Und dann kam Jerry Lewis und ruinierte alles.

Der am 16. März 1926 als Kind russisch-jüdischer Einwanderer Geborene war eine komische Urgewalt der Peinlichkeiten, einer, der nicht nur Dinge kaputt machte und ratlos vor kleinen Aufgaben stand. Lewis Figuren, die von Filmtiteln wie „Der Bürotrottel“, „Der Tölpel vom Dienst“, „Aschenblödel“ und „Der verrückte Professor“ angekündigt werden, scheitern schon am eigenen Körper, bevor sie noch die Welt anrempeln. Ihre Bewegungen sind wild und schlenkerig, ihre Gliedmaßen dabei aber zugleich verdreht und gewunden, als sei da ein System innerer Gummiaufzugsmotoren völlig durcheinander geraten und liege heillos im Clinch mit sich selbst.

Gefühle in der Waschmaschine

Die Gesichtsmuskeln der Lewis-Figuren entgleisen unablässig ins bizarr Freundliche und sabbernd Unbedarfte, die wilde Folge der Grimassen drückt Gefühle und Gedanken nicht aus, sie wirbelt sie herum. Lewis’ Gesicht schien das Waschmaschinentürenfenster zum inneren Schleudergang aller Befindlichkeiten zu sein. Natürlich gehorchte diesen Figuren auch ihre Stimme nicht. Die kiekste und quäkte, klang halb nach Hafenkneipenpapagei und halb nach Lauflernställchen. Jerry Lewis, der am 20. August im Alter von 91 Jahre zuhause in Las Vegasgestorben ist, schien meist in intensivem Kontakt zu seinem inneren Sechsjährigen zu stehen.

Dieser Gegenentwurf zum Kompetenzideal wurde ab 1946 als der konkrete Widerpart eines smarten Mannes bekannt. Lewis’ Karriere begann als irre Wahnsinnströte an der Seite des geschmeidigen Sängers, Schauspielers und Herzensbrechers Dean Martin. Diese Partnerschaft war pures Showbiz-Dynamit: der eine die lässige Verkörperung selbstzweifelsfreien Frauen- und Welteroberertums, der andere ein orientierungsloser Knallfrosch, der selbst Mutterinstinkte strapazieren konnte. Vielleicht hat das Publikum der Nachtklub-Nummern und der frühen gemeinsamen Filme ja geahnt, dass im wirklichen Leben die Rollen anders verteilt waren. Der Casanova Martin, dem alles zuflog, war ein sorgloser Säufer, der dem Gott des Zufalls vertraute; Lewis war ein Planer und Tüftler, der das Totalversagen seiner Figur in minutiöser Kontrolle zur Meisterschaft trieb.

Die Franzosen haben ihn gepriesen

Als Lewis entweder mit Komödienspezialisten wie Frank Tashlin oder mit sich selbst als Regisseur grandiose Gaudis wie „Aschenblödel“ oder „Hallo Page“ lieferte, als er ein Nachkriegsamerika der Sorglosigkeit zu feiern schien, dabei aber die Brüchigkeit des Glücks und die Instabilität der bürgerlichen Welt vorführte, lachten seine Landsleute herzlich. Und mochten von der Erleichterung angerührt werden, dass da einer zum Ausdruck brachte, wie sie sich hinter der Fassade der Allround-Könnerschaft eigentlich fühlten. Aber als Künstler gepriesen haben Lewis zuerst die Franzosen. Die erkannten, dass der Quatschmacher ein Philosoph, die Ulknudel ein Schmerzensmann war.

In ein paar späteren Filmen, in Martin Scorseses „King of Comedy“ (1982), Emir Kusturicas „Arizona Dream“ (1993) oder Peter Chelsoms „Funny Bones“ (1995) konnte Lewis seine ernstere Seite zeigen, ohne dass noch viele Leute hinschauten. Lewis haderte da schon lange mit etwas, das er als zentralen Fehlschlag seines Schaffens sah, mit der Holocaust-Komödie „The Day the Clown cried“ (1972). Er hatte das Unmögliche gewagt, das Ergebnis verworfen und nie in die Kinos gebracht. Die Zeit wird darüber hinweggehen, wie über das Lob für Donald Trump im US-Wahlkampf. Wer die Filme von Jerry Lewis sieht, bekommt belebende Stromschläge der Albernheit versetzt und sieht sich mit einer großen Filmbotschaft konfrontiert: Die Welt ist so einschüchternd, dass etwas in uns gar nicht erwachsen werden will.