Wolfgang Kress (rechts) war Historiker aus ganzem Herzen. Foto: LG/Oliver Willikonsky

Der Historiker und Journalist Wolfgang Kress erforschte über Jahrzehnte Stuttgarter Geschichte. Die Schmankerl, die er dabei fand, bereitete er für die Leser des Süd-Blättle und des West-Blättle auf. Vergangene Woche ist Kress gestorben. Die Blättle wird es ohne ihn wohl nicht mehr geben.

S-Süd - Die Leser haben sich gefreut über seine überraschenden, gelehrigen Geschichten aus der Geschichte dieser Stadt. Wenn Wolfgang Kress, Historiker und Journalist aus Leidenschaft, zurückkehrte von seinen Tauchgängen in die Archive und Bibliotheken, machte er sich daran, seinen Beutefang am Schreibtisch zu analysieren und filetieren. An der Tastatur dann bereitete er sie knusprig und anregend für die Leserschaft des Süd- und des West-Blättles zu. „Docere, delectare, movere“, war sein Rezept: belehren, erfreuen, bewegen. Im Dezember werden seine Leser die letzte druckfrische Geschichte von Wolfgang Kress in Händen halten. In der vergangenen Woche ist der Autor überraschend in seiner Wohnung im Stuttgarter Westen verstorben.

Es gibt keinen Ersatz

„Er war ein genialer Formulierer“, sagt sein Herausgeber, Hans Rigotti, der seit 1982 das Heslacher Blättle (später Süd-Blättle) und seit 1984 das West-Blättle herausgibt. Für beide hatte Kress von Anfang an die Texte geliefert – für jeweils zehn Ausgaben im Jahr, zuverlässig wie ein Uhrwerk. Ohne seinen Autor kann Rigotti wohl dicht machen. „Ich suche niemand Neues“, sagt Rigotti traurig.

Es dürfte sich auch kaum ein Zweiter finden lassen, der über derart profundes lokalhistorisches Detailwissen verfügt und dann noch in der Lage ist, es leserlich aufzuschreiben. In den Sitzungen der Bezirksbeiräte in Süd und West war Kress über Jahrzehnte ein Dauergast. Und obwohl er dort in journalistischer Funktion erschien, nahm er meist ganz bescheiden hinten bei den Zuhörern Platz, nicht am Pressetisch. Wolfgang Kress, Jahrgang 1956, aufgewachsen in Stuttgarter-West, wohnhaft ebenda, studiert in Stuttgart, machte nie groß Aufhebens um sich. Der einstige Kommilitone und lokalpolitischer Wegbegleiter Roland Petri, CDU-Bezirksbeirat im Süden, mochte Kress’ zurückhaltende Art, eine schwäbische Variante der „force tranquille“, wie Petri sagt. Zugleich schätzt er dessen Arbeit. „Seine Aufsätze im Blättle waren so fundiert, sie hätten genauso gut in wissenschaftlichen Zeitschriften stehen können.“ Vielleicht war Kress wichtiger als wissenschaftliche Reputation, schreiben zu können, was und wie er wollte. Ausführlich konnte Kress in Büchern werden, die er auch noch schrieb – etwa über die Bäder der Stadt oder die Geschichte des Verschönerungsvereins.

Geschichte trifft Gegenwart

Regelrecht aufgeblüht ist der Autor, wenn er Geschichte und Gegenwart verknüpfen konnte. Bezirksvorsteher Raiko Grieb berichtet von einem Treffen mit den Stadtlücken 2016. Man stand mit seinen Ideen zur Paulinenbrücke und zum Österreichischen Platz (eigentlich: Platz der Republik Österreich) noch am Anfang und plötzlich ploppte die Frage auf: Wieso heißt der Platz eigentlich so? Kress fand es heraus. Die Benennung war seinerzeit als zarte Geste der Wiedergutmachung gedacht – wegen der Einverleibung Österreichs unter der NS-Herrschaft. Kress konnte immer Auskunft geben, sagt Grieb, und konnte er das nicht, so ging er in den Annalen suchen. „Es war ein feiner Mensch. Der Süden hat ihm sehr viel zu verdanken.“ Auch der langjährige ehemalige Bezirksvorsteher im Westen, Reinhard Möhrle, ist dem Historiker und „stillen Beobachter“ dankbar. „Wolfgang Kress wird dem Westen sehr fehlen.“