Der Künstler Christo (1935-2020) ist in New York gestorben. Foto: dpa

Er hat Deutschland den verpackten Reichstag geschenkt – und damit einen Hauptstadt-Sommer wie im Traum. Er hat Dinge gemacht, die völlig verrückt waren – und die trotzdem jeder schön fand. Nun ist Christo mit 84 Jahren gestorben. Ein Nachruf auf einen ganz Großen.

New York - Sommer 1995, ein Berliner Sommer wie im Traum: Es war mehr als eine Kunstaktion, es war ein Stück Geschichte zum Miterleben – und es war eine Geisteraustreibung. Eines der umstrittensten Gebäude der deutschen Hauptstadt wirkte plötzlich zurückversetzt in den Zustand der Unschuld, befreit von all den historischen Dämonen, die wilhelminischer Obrigkeitsstaat, Weimarer Republik und Nazi-Diktatur in seinen Gängen zurückgelassen hatten. Mit seiner spektakulären Verhüllung des Berliner Reichstages 1995 schenkte Christo dem damals noch gar nicht so lange wiedervereinigten Deutschland eine Nationalikone auf Zeit. Indem der wuchtige Neorenaissance-Klotz für rund zwei Wochen hinter 100 000 Quadratmeter silbrig schimmerndem Tuch verschwand, zeigte sich die Republik der Welt als Land, das Neues zuließ. Als Land, das es geschafft hatte, sich vom Geist seiner schwierigen Vergangenheit zu lösen. Zugleich beförderte Christo damit den Aufstieg Berlins zur Kunstmetropole. Nicht nur, aber vor allem deswegen haben die Deutschen dem Künstler Christo viel zu verdanken. Jetzt ist der Wahlamerikaner, der das flotte Medien-Etikett „Verpackungskünstler“ nie mochte, kurz vor seinem 85. Geburtstag in New York gestorben.