Via Internet lassen sich Falschmeldungen leicht verbreiten Foto: imago/Christian Ohde, privat

Die Nachrichtenkompetenz unter deutschen Schülern ist nicht besonders gut. Viele Jugendliche können Fakten nicht von Falschmeldungen unterscheiden, sagt der Kommunikationswissenschaftler Alexander Sängerlaub.

Stuttgart - Demokratie funktioniert nur mit gut informierten Bürgern. Aber viele Schüler haben Probleme, Nachrichten richtig einzuordnen, sagt Alexander Sängerlaub. Er hat das Problem untersucht – und fordert mehr Medienkunde in der Schule.

Herr Sängerlaub, wie sieht die Nachrichtenkompetenz von Schülern in Deutschland aus?

Um die Fähigkeit, im Netz glaubwürdige Nachrichten zu erkennen und Falschinformationen zu identifizieren, ist es nicht gut bestellt. So fällt es vielen Menschen schwer zu unterscheiden, was Meinung ist und was ein tatsachenorientierter Beitrag. Oder das Erkennen seriöser Quellen gelingt nicht.

Bildungsgefälle

Welche Unterschiede stellen Sie fest?

Gut gebildete junge Menschen mit gymnasialem Abschluss schneiden in unserer Untersuchung vergleichsweise gut ab. Gleichaltrige mit niedrigerem Schulabschluss schneiden besonders schlecht ab. Schaut man auf die Gesamtbevölkerung, nimmt allerdings die Nachrichtenkompetenz mit zunehmendem Alter ab.

Welche Folgen hat eine geringe Nachrichten- und Medienkompetenz?

Demokratie ist davon abhängig, dass wir in der Lage sind, uns gut zu informieren, damit wir gute demokratische Entscheidungen treffen können. Davon sind alle Lebens-bereiche berührt, in denen Informationen eine Rolle spielen. Als abschreckendes Beispiel dienen die USA. Dort gab es mit Donald Trump einen Präsidenten, der unzählige Fake News verbreitet hat. Gerade in Pandemiezeiten ist das richtige Einordnen von Nachrichten wichtig. Da hilft es nicht, wenn der US-Präsident empfiehlt, Desinfektionsmittel gegen das Coronavirus zu trinken.

Riesengroße Aufgabe

Was sind die größten Schwachpunkte, die Sie gefunden haben?

Wir haben die Nachrichtenkompetenz in sechs Felder aufgeteilt: Erstens, die digitale Navigation. Hier geht es darum, Informationsschnipsel, die uns im Netz erreichen, schnell einzuordnen. Viele scheitern daran, festzustellen, ob es sich um Information, Werbung oder eine Falschinformation auf Facebook oder Twitter handelt. Selbst wenn die Information etwa durch Faktenchecker markiert wurde. Bei der journalistischen Kompetenz geht es unter anderem darum, anhand der W-Fragen festzustellen, ob die Informationen vollständig sind. Drittens gibt es den Faktencheck, um dubiose Informationen herauszufiltern. Bei der kommunikationswissenschaftlichen Kompetenz geht es viertens darum, zu unterscheiden, was der Unterschied zwischen Qualitätsmedien und dem Boulevard ist, aber auch etwas über Algorithmen zu wissen, die entscheiden, warum man bestimmte Dinge gezeigt bekommt und andere nicht. Fünftens muss ich als Debatteur entscheiden: Leite ich eine Information weiter? Wie bringe ich mich in den Diskurs ein? Und sechstens geht es – abgekoppelt – als Citoyen, also Staatsbürger, um die Grundeinstellung, ob man Demokratie und freie Medien gut findet. Wer Medien nicht vertraut, dem fällt es schwer, vertrauenswürdige Information zu finden.

Wie werden Kenntnisse über Journalismus in den Schulen vermittelt?

Es ist sinnvoll, Journalisten und Schulen wie im Projekt „Zeitung in der Schule“ zusammenzubringen. Aber das reicht nicht. Es ist eine riesengroße Aufgabe, mehr Wissen über unser Mediensystem zu vermitteln. In einer Zeitung wählt eine Redaktion aufwendig die Themen aus, prüft die Zuverlässigkeit der Quellen, versucht vollständig und ausgewogen zu berichten. Man bekommt also einen großen, gut bestückten Blumenstrauß. Im Vergleich dazu stehe ich im Internet selbst auf der Wiese, muss die Blumen pflücken und mich fragen, welche davon sind vielleicht giftig. Das erfordert bei allen Nutzern viel mehr Eigenverantwortung.

Klassische Medien im Vorteil

Und wie sieht der Umgang der Schüler mit klassischen Journalismus aus?

Nur noch wenige lesen Zeitung. Auch öffentlich-rechtliche Medien spielen kaum mehr eine Rolle. Dagegen sind soziale Medien wie Tiktok, Snapchat und Instagram wichtig. Das ist eine ganz andere Medienwelt. Aber Wissen über die klassischen Medien kann helfen. Da versteht man, warum eine Zeitung oder die „Tagesthemen“ im Vorteil sind, wenn es um verlässliche Informationen geht. Da stehen große Redaktionen dahinter, die ganz andere Möglichkeiten haben, zu recherchieren als ein einzelner Influencer auf Youtube.

Was können Schüler selbst unternehmen, um kompetenter zu werden?

Drei Fragen helfen, wenn man auf Information stößt, bei der man nicht sicher ist, ob sie glaubwürdig ist: Erstens: Wer ist die Quelle? Weiß ich, ob diese vertrauenswürdig ist. Zweitens: Gibt es Belege für das, was mitgeteilt wird? Kann ich das überprüfen? Und drittens: Was sagen andere Quellen dazu?

Alexander Sängerlaub

Experte
 Alexander Sängerlaub, 35, ist Journalist und Kommunikationswissenschaftler. Und er ist Direktor der Denkfabrik futur eins in Berlin.

Studie
 Mit Anna-Katharina Meßmer erarbeitete er bei der Stiftung Neue Verantwortung die Studie „Quelle: Internet“? – Digitale Nachrichten- und Informationskompetenzen der deutschen Bevölkerung im Test“. Dazu gibt es auch einen „News-Test“.

Die Studie findet sich unter: www.stiftung-nv.de/quelle-internet, der Newstest unter: www.der-newstest.de