Fair gehandelte Produkte sollen Schule machen – nach West, Ost und Mitte zukünftig auch im Süden und im Norden der Stuttgarter Innenstadt. Foto: factum/Granville

Stuttgart will beim Thema „Fairer Handel“ ganz vorne sein. Nur der Norden und der Süden haben bislang die geforderten Kriterien für die Auszeichnung „Fairtrade-Bezirk“ nicht erfüllt. Am morgigen Samstag, 19. September, erhält Stuttgart-Mitte den Titel.

Innenstadt - Seit knapp zwei Jahren darf sich die Landeshauptstadt mit dem Titel „Fairtrade-Stadt“ schmücken. Vergeben wird dieser Titel von dem Verein zur Förderung des Fairen Handels „Transfair“ mit Sitz in Köln. Seit mehreren Jahren zeichnet der Verein Städte mit dem Titel aus, wenn sie fünf Kriterien erfüllen. Dazu gehört beispielsweise, dass die Stadt mit gutem Beispiel vorangeht und bei allen öffentlichen Sitzungen fairen Kaffee ausschenkt. Die Stadt Stuttgart als Ganzes hat den Titel verliehen bekommen, weil zwei Drittel der 23 Stadtbezirke die fünf Kriterien erfüllten.

Am kommenden Samstag, 19. September, erhält nun der Stadtbezirk Mitte als 20. von insgesamt 23 Bezirken die Auszeichnung. Das auch die letzten, fehlenden Stadtbezirke diese erhalten, war vor allem ein besonderes Anliegen von Bürgermeister Werner Wölfle.

Drei von fünf Innenstadtbezirken hinken in dieser Sache hinterher. Während der Westen 2012 als einer der ersten Bezirke in Stuttgart die Kriterien erfüllte, der Osten 2013 recht bald folgte, ließ man sich in Mitte, Süd und Nord Zeit. Dies hat auch seine Gründe. „Bei uns hatten oft tagesaktuellere Projekte und Probleme Vorrang“, sagt Veronika Kienzle, die Bezirksvorsteherin in Mitte. In den Außenbezirken habe man kein Stuttgart 21, keine zwei riesigen Shoppingcenter und kein Parkraummanagement. Man hab es jedoch nie in Frage gestellt, die Auszeichnung anzustreben. „Fairtrade ist in aller Munde und das ist auch eine gute Sache“, sagt die Grünen-Politikerin. Dennoch ist aus ihrer Sicht die Auszeichnung nicht das Wichtigste. Von Bedeutung seien vielmehr all die Aktionen, die nun entstanden sind. Die Arbeitsprozesse ebenso wie das Bewusstsein für fairen Handel hält Kienzle für wesentlich wertvoller.

Mitte hätte die Kriterien schon vor zwei Jahren erfüllt

Die geforderten Kriterien hätte der Stadtbezirk Mitte übrigens schon vor knapp zwei Jahren erfüllt. Läden und Gastronomien mit nachhaltigem Angebot sind in Mitte fast schon in Überzahl vorhanden. Zumal jeder Betrieb nur zwei solche Produkte im Angebot haben muss. Schulen und Vereine, die über fairen Handel informieren und unterstützende Projekte sind ebenfalls vorhanden. So ist vor allem das St. Agnes-Mädchengymnasium mit gutem Beispiel voran gegangen.

Im Süden scheiterte es stets an der Gastronomie

Anders sieht es dagegen im Stuttgarter Süden aus. Bereits im Dezember 2013 wollte man den Antrag abgeben. Die Steuerungsgruppe war schon vorher im Einsatz und hatte einige Projekte auf den Weg gebracht. So verteilte der Nikolaus auf dem Adventszauber am Marienplatz faire Päckchen, auf dem Wochenmarkt gab es einen Infostand und das Mörike-Gymnasium hat bereits mehrmals das Nairobi Hope Theatre eingeladen und in gemeinsamen Theaterstücken globale Handelsbedingungen thematisiert. Am Einzelhandel – neun Geschäfte wären nötig – lag es ebenfalls nicht, sondern bis heute einzig an der Gastronomie. Die fünf geforderten Betriebe ließen sich nicht finden.

Laut dem Bezirksvorsteher Raiko Grieb (SPD) wäre man nun soweit, will allerdings die Kriterien nicht nur auf den Punkt erfüllen, sondern auch einen Puffer haben. Denn die Auszeichnung wird nur auf Zeit verliehen. Zunächst für zwei Jahre, für die Gesamtstadt ist der Titel soeben um vier Jahre verlängert worden. Grieb geht aber davon aus, dass die Bewerbung für den Süden bald eingereicht werden kann.

Der Norden will nun beim fairen Handel aufholen

Sabine Mezger, die Bezirksvorsteherin im Stuttgarter Norden, bedauert, dass es bisher nicht gelungen ist, die Auszeichnung für den eigenen Bezirk zu bekommen. „Vor ein paar Jahren hat es einen Anlauf gegeben“, berichtet die CDU-Politikerin. „Allerdings haben sich damals nicht genügend Leute gefunden, die mitmachen.“ Benötigt werden sechs Läden und drei Gastronomiebetriebe, die jeweils mindestens zwei Fairtrade-Produkte anbieten, darüber hinaus braucht es jeweils eine Schule, einen Verein und eine Kirchengemeinde, die sich mit Projekten zum Thema beteiligen. Wie viele genau ist abhängig von der Einwohnerzahl des Bezirks.

Mezger hofft, dass das jetzt anders aussieht: „Wir haben jetzt ja die Killesberghöhe mit Läden und Gastronomien.“ Es sei ein Projekt, das man in nächster Zeit angehen wolle: „Wir werden eine Koordinierungsgruppe bilden und dann Leute ansprechen“, so Mezger. „Die Chancen sind gut, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft ebenfalls Fairtrade-Stadtbezirk sind.“

Lasche Kriterien der Auszeichnung

Der Titel klingt natürlich auch gut. Kritiker bemängeln allerdings oft die allzu laschen Kriterien der Auszeichnung. „Sie sind schon recht niederschwellig“, sagt Helge Gumpert, Mitarbeiter im Weltladen am Charlottenplatz, „aber eben besser als nichts.“ Immerhin habe Stuttgart mit Wölfle einen Bürgermeister, der sich sehr für die Thematik einsetze und selbst stets mit gutem Beispiel vorangehe.

Aus Elena Muguruzas Sicht ist die Auszeichnung auf jeden Fall nicht wertlos. „Es hat sich gezeigt, dass es eine gute Möglichkeit zur ersten Vernetzung in den Kommunen ist“, sagt Muguruza, die sich als zertifizierte Fairhandels-Beraterin beim Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg engagiert. „Auf dieser Grundlage kann man aufbauen“, findet sie.