Gut zwei Millionen Abstriche wurden zuletzt pro Woche mittels PCR-Test analysiert – das passiere zu ungezielt, kritisiert der Labormediziner Michael Müller (Symbolbild). Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Gratis-Schnelltests und zweieinhalb Millionen PCR-Tests pro Woche sind der falsche Weg – sagt der Chef des Laborverbands ALM, Michael Müller. Im Interview erklärt er, wie Deutschland besser durch die Pandemie kommt.

Tests sind in der Coronapandemie zentral. Mit ihnen werden Infektionen bestätigt, Zugangsregeln durchgesetzt und gefährdete Menschen geschützt. Aber trotz 2,5 Millionen PCR-Tests pro Woche (mehr als die Hälfte davon positiv) kann nicht mehr jeder getestet werden. Was bedeutet das für die Pandemielage – und wie soll es im Herbst weitergehen? Der Vorsitzende des Laborverbands ALM, Michael Müller, macht im Interview Vorschläge.

 

Herr Müller, seit Wochen treten Sie als Mahner gegenüber einer kurzsichtigen Coronapolitik auf. Was treibt Sie um?

Das Gesundheitssystem ist trotz der Höchstzahl an Infektionen derzeit nicht überlastet. Darauf wird derzeit der Fokus gelegt. Aber es ist zu kurz gesprungen, nur auf die Situation in den Krankenhäusern zu schauen. Und man muss das noch einmal aussprechen: Wir als Gesellschaft akzeptieren, dass derzeit jede Woche deutlich mehr als 1000 Menschen an und mit Covid-19 sterben.

Was kann man dagegen tun?

Es gibt besonders gefährdete Gruppen: Alte, Behinderte und Vorerkrankte. Sie muss man schützen, wenn es absehbar kaum mehr coronabedingte Einschränkungen gibt.

Ihr Verband positioniert sich gegen die Bürgertests. Weil die Labore damit kein Geld verdienen?

Derzeit nutzen viele solche präventiven Tests nach dem Motto: Wir testen uns, bevor wir sonntags Oma und Opa besuchen. Das ist aber wenig sinnvoll, wenn man freitags zum Feiern im Club war, wo man sich leicht infiziert und dann sonntags vielleicht schon ansteckend ist. Schnelltests verhindern Infektionen nur im Zusammenhang mit vorsichtigem Verhalten. Wir müssen die Balance wiederfinden, auch bei PCR-Tests. Mehr als zwei Millionen Corona-PCRs pro Woche sind ein Vielfaches dessen, was wir für Hunderte anderer Erreger insgesamt machen.

Was wäre aus Sicht der Labore besser?

Wir wollen nicht so viele Tests wie möglich, sondern das medizinisch Notwendige zur richtigen Zeit. Tests sollen einerseits vulnerable Gruppen schützen, dafür wären beispielsweise PCR-Pooltests in Alten- und Pflegeheimen sinnvoll. Außerdem müssen Kranke getestet werden. Nur mit einer korrekten Diagnose können die richtigen Medikamente verschrieben oder ein Kranker rechtzeitig ins Krankenhaus eingewiesen werden. Ansonsten sollten wir Corona wie andere Infektionskrankheiten behandeln. Impfen, Abstandhalten und Maske sind gute und leicht verständliche Schutzmaßnahmen. Deshalb und angesichts von 300 000 Neuinfektionen am Tag (bisheriger Höchstwert Ende vergangener Woche, Anm.) sollten wir die Quarantäneregeln der sich ändernden Situation anpassen und auch lockern. Bei der Grippe gibt es auch keine Quarantäne – wiewohl der Vergleich etwas hinkt, weil das Coronavirus neu für uns Menschen ist. Jetzt, wo bereits mehr als 20 Millionen Menschen infiziert waren und 75 Prozent geimpft sind, wäre es aus meiner Sicht gerechtfertigt, Anpassungen der Absonderungsregeln vorzunehmen, die die Bevölkerung auch gut nachvollziehen kann und dann besser einhält.

Was bedeutet das aus Sicht der Labore für den Herbst?

Wegen der absehbar vielen Kranken brauchen wir eine hohe Verfügbarkeit von Tests. Und es kann sein, dass eine gefährliche neue Coronavariante auftritt. Dafür sollte die Surveillanceverordnung verlängert werden, die ausreichend Sequenzierungen garantiert. Auf bestimmte Varianten sensible PCR-Tests sind seit Mitte Februar ausgesetzt, um Testkapazitäten freizumachen. Genau solche Tests wären aber sinnvoll, um auf neue Varianten schneller reagieren zu können.

Ihr Verband ist auch dank seiner Datensammlung eine wichtige Stimme im Coronadiskurs. Wie lange erheben Sie noch so umfassend Daten?

Wir stimmen uns mit dem Robert-Koch-Institut ab, denn die Labore nehmen freiwillig teil. Wir machen das aus eigenem Interesse und leisten so einen Beitrag zur besseren Übersicht über das Testgeschehen, auch wenn die händische Auswertung sehr aufwendig und teuer ist. Damit man sich das sparen kann, haben wir mehrfach eine nichtnamentliche Meldepflicht aller Coronatestungen, die es schon einmal im Infektionsschutzgesetz gab, vorgeschlagen – bislang leider erfolglos.

Als Laborvertreter klagen Sie, die Politik sende keine Signale, wie viel im Herbst und Winter getestet werden soll. Wie gehen Sie in Ihrem eigenen Labor vor?

Wir haben eigenverantwortlich sehr große PCR-Testkapazitäten aufgebaut und versuchen, sie aufrechtzuerhalten, um sie bei Bedarf dann verfügbar zu haben. Bei großen PCR-Systemen kann man nicht einfach den Stecker ziehen. Das ist zu riskant für die Geräte. Hier wäre eine Planungssicherheit sinnvoll, die durch klare politische Botschaften erreicht werden könnte. Auch eine finanzielle Beteiligung an den doch erheblichen Vorhaltekosten durch die öffentliche Hand wäre womöglich sinnvoll, wenn die PCR-Testzahlen im Sommer deutlich zurückgehen und die Auslastung der Labore wie im letzten Jahr sehr niedrig ist.