Steht nach dem überraschenden WM-Aus der deutschen Mannschaft in der Kritik: Bundestrainerin Silvia Neid. Foto: dapd

Sie will nichts übereilen, aber Bundestrainerin Silvia Neid schließt einen Rücktritt nicht mehr aus.

Wolfsburg - In der Debatte um die Ursachen für den bitteren WM-Abschied will Fußball-Bundestrainerin Silvia Neid keine übereilte Entscheidung treffen, schließt einen Rücktritt aber nicht mehr aus.

Neid war ins Zentrum der Kritik gerückt

"Ich brauche jetzt erst mal Abstand", sagte die 47-Jährige zwei Tage nach dem Viertelfinal-Aus gegen Japan der "Bild"-Zeitung. Erst in ein paar Wochen werde sie sich fragen: "Was will ich eigentlich? Kann ich mich für eine EM in zwei Jahren nochmal motivieren?" Ob sie selber Fehler gemacht habe, wie ihr eine zunehmende Zahl an Kritikern vorwirft, wisse sie nicht. "Ich muss jetzt alles in Ruhe analysieren", meinte Neid.

Bereits zuvor hatte die Fehlersuche für das schlechteste WM-Abschneiden rasant an Fahrt gewonnen und Neid in das Zentrum der Kritik gerückt. Mahnende Stimmen kamen erstmals auch aus den eigenen DFB-Reihen. "Letztlich muss sich auch Silvia Neid bestimmte Fragen gefallen lassen", sagte Rolf Hocke, Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes. Auch ihr sei klar, dass eine Schuldige gesucht werde, sagte die Bundestrainerin. Das sei "in erster Linie immer die Trainerin". Aber auch für sie sei ein Traum geplatzt.

Prinz-Vater gibt Neid die Schuld - Prinz selbst widerspricht

Am Montag sah sich die zuletzt von Neid nicht mehr berücksichtigte Birgit Prinz veranlasst, ihrem eigenen Vater zu widersprechen, der Neid die alleinige Schuld am WM-Scheitern zugeschrieben hatte. "Es ist nicht richtig, jetzt einer Person die Schuld zu geben", sagte die Rekordnationalspielerin in einer über den DFB verbreiteten Erklärung. Ihr Vater Stefan Prinz warf Neid im Hörfunksender "HR1" vor, diese habe "von Anfang an versucht, junge und ältere Spielerinnen gegeneinander auszuspielen und hat dadurch die Spielerinnen sehr verunsichert".

Seite 2: Kritik auch aus der Fußballszene

Neid bezeichnete diese Anschuldigungen als "absurd". "Vor der WM wurde das Thema von außen in die Mannschaft getragen", sagte sie. Doch aus der Fußballszene selbst mehren sich die kritischen Stimmen. "Sie muss sich auch langfristig fragen, wie sie das Boot wieder ins Fahrwasser bekommt", sagte Siegfried Dietrich, Manager des Bundesligisten 1. FFC Frankfurt. Dass der zweimalige Weltmeister nun auch bei Olympia 2012 in London fehlt, hält nicht nur der Potsdamer Meistertrainer Bernd Schröder für "ganz schlimm, weil es nicht unserer Stellung im Frauenfußball entspricht".

Theo Zwanziger steht weiter hinter Neid

Vom Verband sei durch die terminliche Verschiebung der Bundesliga "alles nur Mögliche für ein erfolgreiches Abschneiden getan" worden, bemerkte DFB-Vize Hocke. "Dass da am Ende nichts Zählbares rausgekommen ist, ist eine Enttäuschung - das ist sogar beängstigend", betonte der Leiter des Frankfurter WM-Büros in der "Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen".

Sorgen um ihre eigene Zukunft müsste sich Neid allerdings trotz erstmals verpasster Olympiaqualifikation wohl kaum machen, wenn sie sich zum Weitermachen entschließt. Unterstützung erhält sie von höchster Stelle. "Wenn sie will, kann sie noch bis 2020 bleiben", sagte DFB-Präsident Theo Zwanziger und versuchte damit eine mögliche Trainerinnen-Debatte im Keim zu ersticken. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel stärkte der Bundestrainerin nach dem WM-Aus mit einem Telefonat den Rücken.

Dass Zwanziger vor der WM stolz den neuen Kontrakt mit der 47-Jährigen bis 2016 verkündet hatte, wird allerdings mit Argwohn betrachtet. "Es wäre zu einfach, Neid die ganze Schuld am Scheitern zu geben", meinte Schröder. "Doch es war vom DFB auch nicht nötig, ihren Vertrag vor der WM ohne Not zu verlängern."

Seite 3: Neid gibt hohem Erwartungsdruck die Schuld

Als entscheidenden Faktor für das sensationelle Scheitern wertete Neid erneut den großen Erwartungsdruck. "Jede Spielerin wollte das Beste bringen. Aber wenn man immer das Gefühl hat: Ich muss, ich muss, ich muss - dann verliert man seine Leichtigkeit", sagte sie. Zwar habe man seit 2009 mit einem Psychologen gearbeitet. "Aber dann sind 70 000 Fans im Stadion, die Spielerinnen lesen, dass 16 Millionen Menschen vor dem Fernseher saßen, die Menschen jubeln uns auf dem Weg ins Stadion zu - wie will man darauf vorbereitet sein?"

Neid direkt nach dem WM-Aus: "Mache mir eigentlich keinen Vorwurf"

Neid selbst hatte direkt nach dem Spiel betont, dass sie sich "eigentlich gar keinen Vorwurf" mache und verwies auch am Montag darauf, dass sie sich mit ihrem Team "monatelang auf jedes Detail vorbereitet" habe. Noch vor einem halben Jahr sei sie zur Welttrainerin gewählt worden. "Ich kann ja nicht alles verlernt haben." Es gebe einige Anfragen, auch aus Bereichen außerhalb des Fußballs.

Zu einer umfassenden Korrektur ihres Kurses und zu einem größeren Umbruch im Team sieht die 47-Jährige im Falle der Weiterführung ihrer Arbeit keinen Notwendigkeit. "Wir müssen keinen großen Neuaufbau machen. Unsere Mannschaft ist relativ jung, hat ein Durchschnittsalter von 26", erklärte Neid.

Bislang ist nur sicher, das Prinz (33 Jahre) und Ariane Hingst (31) ihre internationalen Karrieren beendeten. Inka Grings (32) mochte in der ersten Enttäuschung noch keinen Gedanken an ihre Zukunft daran verschwenden. Die gleich alte Torhüterin Nadine Angerer hat sich dagegen schon festgelegt, will so auf keinen Fall abtreten: "Ich denke nicht ans Aufhören, jetzt erst recht nicht."