In Konstanz ist ein Kind ertrunken, zwei Lehrer wurden verurteilt. Die Verunsicherung ist bei Pädagogen nun groß. In Marbach (Kreis Ludwigsburg) hat man darauf reagiert.
Den Schmerz der Eltern über den Verlust ihres Sohnes mag man sich kaum vorstellen. Doch auch für die beiden Lehrerinnen muss es ein Alptraum gewesen sein, als der Siebenjährige in Konstanz in ihrem Schwimmunterricht ertrunken ist. Wegen fahrlässiger Tötung wurden die Pädagoginnen im Februar zu Bewährungsstrafen und der Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Lehrerinnen und die Staatsanwaltschaft haben laut Kultusministerium Berufung eingelegt.
Doch bereits das vorläufige Urteil hat viele Sportlehrer aufgeschreckt, die sich zum Beispiel fragen: Könnte mir das auch blühen? Und soll ich das Risiko weiter eingehen, wenn ich vielleicht nicht alles immer im Auge behalten kann, aber dafür womöglich den Kopf hinhalten muss? Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) waren in der Folge entsprechend „viele verunsicherte Zuschriften von Lehrkräften und Schulleitungen“ eingegangen, wie die GEW auf ihrer Homepage kundtut.
Birgit Gartner kann die Stimmungslage der besorgten Kollegen gut nachvollziehen. „Bei uns im Kollegium ist das auch ein Thema“, sagt die Leiterin der Quellen-Grundschule im Marbacher Teilort Rielingshausen. Sie selbst vermittele Mädchen und Jungen seit Jahrzehnten das ABC von Kraul, Brust und Co. Aber sie sagt auch klipp und klar: „Früher haben wir im Hermann-Zanker-Bad in Marbach Schwimmunterricht gegeben. Das würde ich heute nicht mehr machen“, betont sie.
In der mittlerweile stillgelegten Sportstätte sei das Becken in einen Schwimmer- und einen Nichtschwimmerbereich unterteilt gewesen. „Ich hatte auch mal einen Fall, da ist eine Viertklässlerin untergegangen und hat geschrien wie verrückt. Sie war zuvor in den eigentlich per Band abgesperrten tieferen Bereich gegangen. Ein Kollege ist sofort hineingesprungen und hat sie herausgezogen. Das war wirklich schlimm“, sagt Gartner. „Man kann einfach keine absolute Sicherheit gewährleisten. Ich möchte auch nicht in der Haut der Kolleginnen aus Konstanz stecken“, erklärt die Rektorin. Die anderen Lehrkräfte an ihrer Schule sähen das ähnlich.
Gartner gibt zu bedenken, dass die Ausgangssituation im Vergleich zu früher ohnehin schon verschärft sei. Immer weniger Kinder könnten schwimmen, manche hätten sogar überhaupt keine Erfahrung im Wasser, kämen damit teils erst in der Schule in Kontakt. Trotz all dieser Begleitumstände werde an der Quellen-Grundschule Schwimmunterricht angeboten. Aktuell seien die Dritt- und Viertklässler an der Reihe, mit denen man ins benachbarte Aspach pendele. „Dort ist das Becken nur 1,20 Meter tief“, sagt Gartner. Außerdem würden die Klassen halbiert. „Dann geht es“, resümiert sie.
Man habe zudem als Reaktion auf den tragischen Vorfall in Konstanz von der Stadt Schwimmwesten zur Verfügung gestellt bekommen. Diese Hilfsmittel seien zwar bislang noch nicht benötigt worden. „Ich würde die Westen aber Kindern anziehen, die über keinerlei Wassererfahrung verfügen, und wenn der Unterricht in einem tieferen Becken stattfinden würde“, erklärt sie.
Das Geld für die Westen stamme von der Geske-Krembs-Stiftung, erklärte der Marbacher Bürgermeister Jan Trost unlängst im Verwaltungsausschuss des Gemeinderats. Ziel sei gewesen, etwas zur Beruhigung der Situation beizutragen „und Kindern, Eltern und Lehrern eine gewisse Sicherheit zu geben, dass so etwas bei uns nicht passieren kann“. Man könne schließlich nicht immer alle Mädchen und Jungs im Blick behalten. Die Westen seien deshalb den Grundschulen zur Verfügung gestellt worden.
„Massive Fortbildungen“ vom Kultusministerium
Birgit Gartner weist zudem darauf hin, dass vom Kultusministerium als Reaktion auf den schlimmen Vorfall „massive Fortbildungen“ anberaumt worden seien. „Da wurde erklärt, auf was man alles achten muss und welche Konsequenzen bei einer Nichtbeachtung drohen und dass man belangt werden kann, wenn man sich grob fahrlässig verhält“, sagt die Rektorin.
Simone Höhn, Pressereferentin des Ministeriums, erklärt, dass an den Online-Briefings mehr als 4000 Personen teilgenommen hätten. „Zusätzlich entwickeln wir derzeit ein ,Virtuelles Schwimmbad’, um Lehrkräfte zu sensibilisieren und bei der notwendigen Gefährdungsbeurteilung zu unterstützen. Hier wird dann auch eine mehrseitige Checkliste für den Schwimmunterricht hinterlegt sein“, kündigt Höhn an. Wobei auch die geltenden Bestimmungen zum Schulschwimmen eine „gute Grundlage“ darstellten, um sicheren Unterricht erteilen zu können.
Die Pressereferentin betont ferner, dass man „ein besonderes Augenmerk“ auf gut ausgebildete Lehrkräfte lege und das Ministerium hinter den Pädagogen stehe, die dem Schwimmunterricht „grundsätzlich mit großer Verantwortung und Umsicht nachgehen“. Allerdings nimmt die Behörde auch die Eltern in die Pflicht. „Kinder sollten mit dem Eintritt in die Grundschule bereits Erfahrungen mit dem Element Wasser gesammelt haben und zumindest an Wasser gewöhnt sein“, erklärt Höhn.
Pflicht zum Schwimmunterricht
Bildungsplan
Können Lehrerinnen den Schwimmunterricht aus Angst vor möglichen Konsequenzen bei einem Unfall verweigern? Wohl schon. Das Kultusministerium betont zwar, dass „Bewegen im Wasser“ Bestandteil des Bildungsplans sei und verbindlich unterrichtet werden müsse. Es liege jedoch „in der Natur der Sache, dass Lehrkräfte aus den jeweiligen Situationen heraus eigenverantwortliche Entscheidungen treffen müssen, die kein Vorgabenkatalog und kein Regelwerk vorherbestimmen kann“.
Berufung
Bei dem furchtbaren Vorfall in Konstanz war 2023 ein Junge im Schwimmunterricht ertrunken. Die beiden Lehrerinnen wurden im Februar 2025 wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, der Beschluss aber angefochten. Die Berufungsverhandlung soll im ersten Halbjahr 2026 stattfinden.