Ein Kessel, in dem sich die junge Frau bei dem Fastnachtsumzug in Eppingen mit heißem Wasser an den Beinen verbrüht hat. Foto: dpa

Vor drei Wochen ist eine junge Frau beim Nachtumzug in Eppingen in einen heißen Kessel verbrüht worden. Die Polizei sucht die Schuldigen. Im Zentrum steht ein Dorf im Kraichgau.

Eppingen - Zwischen all den gräuslichen Gestalten mit ihren riesigen Zinken im Gesicht, den schiefen Zähnen im Mund und den grässlichen Warzen am Kinn wirken die Mitglieder der Bohbrigga Hexabroda eigentlich ziemlich harmlos. Manche tragen nicht mal Masken. Andere sehen aus, als hätten sie ihre Larve geschwind beim Müllermarkt gekauft. Einfach „de Oma ihren Kittelschortz un d’Schdola geglaut un los geht’s“, lautet das unkomplizierte Motto.

Doch inzwischen gilt die Narrengruppe des Männergesangsvereins im kleinen Bahnbrücken, einem Ortsteil von Kraichtal im Kreis Karlsruhe, bei manchen als die größte Halunken-Bande des örtlichen Faschings. Eine junge Frau, gerade 18 Jahre alt, liegt mit verbrühten Beinen in einem Spezialkrankenhaus – „immer noch“, bestätigt Jens Brockstedt, der Leiter des Polizeireviers in Eppingen. Und immer noch will niemand die Verantwortung übernehmen.

Exakt drei Wochen ist es her, dass die junge Besucherin beim Eppinger Nachtumzug von Hexen geschnappt und über einen brodelnden Kessel gehalten wurde. Was als Jux begann, hatte für das Opfer dramatische Folgen. Jemand hob den Deckel, das Mädchen rutschte hinein. Plötzlich stand es bis zu den Kniekehlen im heißen Wasser. Das Opfer habe mittelschwere Verbrühungen erlitten, stand später im Polizeibericht. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung eingeleitet. Nach dem Vorfall war das schreiende Mädchen einfach am Straßenrand abgelegt worden. Die Hexen zogen weiter.

Massive Schmähungen im Internet

Eppingen ist keine alte Narrenhochburg. Doch der Vorfall hat die Stadt und ihren Umzug bundesweit in die Schlagzeilen gebracht. Je weiter weg die berichtende Redaktion ihren Sitz hatte, desto sensationeller lautete die Überschrift. „18-Jährige bei Fasnachtsumzug in Hexenkessel geworfen und verbrüht“, titelte beispielsweise eine Zeitung in der Bundeshauptstadt.

„So war es natürlich nicht“, sagt Brockstedt. „Wir gehen davon aus, dass es sich um ein Unglück handelt.“ Trotzdem berichteten auch internationale Blätter so, als ob ein Terroranschlag verübt worden sei. Die Vorstellung von einer jungen Frau in einem brodelnden Kessel und herumtanzenden Hexen schien weltweit die Fantasie anzuregen. Wer in den örtlichen Firmen über internationale Kontakte verfüge, habe sich gewundert, bis in welche Winkel der Welt die Nachricht vorgedrungen sei, sagt Hartmut Kächele, der SPD-Fraktionschef im Gemeinderat. „Russland, China, Amerika, Portugal, Großbritannien, Estland, Frankreich – das war ein richtiger Medienhype.“

Hinzu kamen massive Schmähungen im Internet. Es habe eine wahre Hexenjagd eingesetzt, klagen Vertreter der teilnehmenden Zünfte. Gerade in der närrischen Diaspora schien der Fall vielen ein Ventil zu sein, angestaute Aggressionen und Unverständnis gegenüber den Narren heraus zu lassen. Vielleicht erklärt dies, warum inzwischen kaum noch jemand etwas sagen mag. Es gebe nichts Neues, erklärt der Vorsitzende der Eppinger Hexenzunft, die den Umzug organisiert hat, und legt auf. Unzählige Hassmails musste die Zunft nach dem Unglück über sich ergehen lassen, auf Google erhielt sie nur noch schlechte Bewertungen. Allerdings ließ auch ihr Krisenmanagement zu wünschen übrig.

Wer die Frau über den Topf gehalten hat, ist weiter unklar

Zwei Tage vergingen, ehe sie auf ihrer Internetseite eine Stellungnahme ankündigte, um dann wenige dürre Sätze des Mitgefühls mit dem Opfer zu veröffentlichen. Mehr als 200 Fotos vom Nachtumzug waren dagegen schon am Morgen nach dem Ereignis hochgeladen worden. War es mediale Unerfahrenheit oder mangelndes Einfühlungsvermögen? Man habe von dem Vorfall erst viel später erfahren, hieß es.

Auch der parteilose Eppinger Oberbürgermeister Klaus Holaschke, der kurz nach dem Vorfall die Zukunft des Nachtumzugs in Frage gestellt und den wenige Tage später geplanten Leiergassenumzug abgeblasen hatte, will sich nicht mehr äußern. „Bis zum Abschluss des offiziellen Ermittlungsverfahrens gibt die Stadt keine Auskunft mehr“, sagt der Rathaussprecher Sönke Brenner. Dabei wird bisher gegen städtische Dienststellen nicht ermittelt. Zunächst hatte es geheißen, es werde auch untersucht, ob bei der Umzugsgenehmigung und der Fahrzeugabnahme alles mit rechten Dingen zugegangen ist. „Wir konzentrieren uns auf die Ermittlung der Täter“, sagte ein Sprecher der Heilbronner Staatsanwaltschaft.

Das scheint schwierig genug zu sein. Fest steht bisher nur, dass der mit einem offenen Feuer beheizte Hexenkessel von den Narren aus Bahnbrücken mitgeführt wurde. Der dampfende Bottich auf einem kleinen Handwagen ist seit vielen Jahren ein kleiner Gag der Gruppe. Inzwischen steht der Wagen bei der Polizei. Doch wer die junge Frau über den Topf gehalten hat, ist weiter unklar. Das Opfer selbst konnte hierzu keine Angaben machen, und die Bahnbrücker Hexen mauern. Einer nach dem anderen werde vorgeladen, sagt Revierleiter Brockstedt. Allerdings seien alle 20 Mitglieder von der Staatsanwaltschaft vorsorglich als Beschuldigte eingruppiert worden. Die meisten hätten sich deshalb einen Anwalt genommen. Nun müssten Termine vereinbart werden. „Das kann sich noch ein paar Wochen hinziehen.“

Die Hoffnungen sind gering

Allzu viel erhofft sich Brockstedt nach den bisherigen Erfahrungen allerdings nicht. Wer bisher ausgesagt hat, erklärte, er habe nichts gesehen und auch nichts gemacht. Die Polizei trifft auf eine Mauer des Schweigens. Auch auf Presseanfragen reagiert der Vorstand nicht. „Ich finde das schade. Wenn etwas passiert, sollte man zu seiner Verantwortung stehen“, sagt Peter Schmidt, Vizepräsident des Verbandes Schwäbisch-Alemannischen Narrenzünfte. Selbst Kraichtals Bürgermeister Ulrich Hintermayer (CDU) ist enttäuscht. „Ich wäre in die Offensive gegangen.“

„Das sind alles rechtschaffene Leute“, sagt der SPD-Stadtrat Kächele. Als Kaminfeger kennt er die Leute in Bahnbrücken. Doch es ist auch ein kleiner Ort: 700 Einwohner, eine Gastwirtschaft, ein Bäcker. Die Umgehungsstraße garantiert ein ruhiges Dorfleben. „Jeder kennt jeden“, sagt der Bürgermeister. Will deshalb niemand mit der Wahrheit rausrücken? Oder waren fremde Hexen am Werk, wie manche vermuten. „Bei so einem Umzug vermischen sich die Gruppen.“ Es gebe Nachzügler, sagt Brockstedt. Doch bisher sei das nur eine Hypothese. Gegenwärtig würden Videos und Fotos analysiert. „Dann wissen wir mehr.“

Dass die Polizei die Schuldigen ermittelt, ist für das Opfer wichtig, gerade, wenn es tatsächlich ein Unglücksfall gewesen sein sollte. Bei einer Straftat hilft im Notfall die Landesstiftung Opferschutz. Bei einem Unfall kann nur beim Verursacher ein Schmerzensgeld eingeklagt werden. Sofern man ihn kennt.