Die deutsche Politik zeigt sich erleichtert, und der Bundesaußenminister Sigmar Gabriel streicht seinen Anteil an der Freilassung heraus.
Berlin - Nach über einem Jahr ohne Anklage kommt der Journalist Deniz Yücel aus türkischer Haft frei. Am Freitag ordnete ein türkisches Gericht die Freilassung an. Eine Ausreisesperre liegt gegen ihn nicht vor. Somit steht einer raschen Rückkehr Yücels, der die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft besitzt, nach Deutschland nichts im Weg. Gleichzeitig wurde am Freitag bekannt, dass die Instanbuler Staatsanwaltschaft nun eine Anklageschrift vorgelegt hat, die vom Gericht angenommen wurde. Darin wird Yücel „Volksverhetzung“ und „Terrorpropaganda“ vorgeworfen. Dabei ist ein Strafrahmen zwischen vier und 18 Jahren möglich.
Dass gleichzeitig die Freilassung angeordnet wurde, ist in der Türkei kein unübliches Verfahren. Im vergangenen Oktober war der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner am ersten Tag seines Prozesses aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Er konnte daraufhin das Land verlassen, obwohl der Prozess in Istanbul weiterläuft. So wird es im Fall Yücel offenbar auch sein.
Merkels Dank an die Zivilgesellschaft
In Deutschland wurde die Freilassung Yücels mit großer Erleichterung aufgenommen. Bundespräsdient Frank-Walter Steinmeier sprach von einer „guten Nachricht“. Bundeskanzlerin Angela Merkel dankte nicht nur ausdrücklich Bundesaußenminister Sigmar Gabriel für seine Bemühungen. Sie bedankte sich auch bei der deutschen Zivilgesellschaft, „für ihr beständiges Eintreten für das Nicht-Vergessen“, mit dem sie einen wichtigen Beitrag geleistet habe. Sigmar Gabriel (SPD) dankte der türkischen Regierung „für ihre Unterstützung bei der Verfahrensbeschleunigung“. Gabriel versäumte es nicht, seinen Beitrag an der Freilassung herauszustellen. Er habe viele direkte Gespräche mit türkischen Regierungsvertretern geführt, sagte der Außenminister: „in zwei Fällen auch mit dem Präsident Erdogan.“ Gabriel bedankte sich zudem bei Bundeskanzlerin Angela Merkel „für ihr Vertrauen in die Arbeit des Auswärtigen Amtes in diesem schwierigen Fall.“ In einer Pressekonferenz in Berlin teilte der Außenminister noch ein Detail mit. Er habe Altkanzler Gerhard Schröder gebeten, „in Istanbul Türen aufzumachen“. Daraufhin sei Schröder zweimal in istanbul gewesen.
Anhalte Sorge um Menschenrechtslage
Erleichterung, aber auch anhaltende Sorge über die Menschenrechtslage in der Türkei kam auch in vielen Reaktionen der politischen Parteien zum Ausdruck. In einer gemeinsame Stellungnahme sagten die grünen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, Yücels „klare Haltung, nicht teil eines schmutzigen Deals zwischen der türkischen Regierung und der Bundesregierung werden zu wollen“, verdiene großen Respekt. Tatsächlich ist die Türkei an einer Aufrüstung ihrer deutschen Leopard-2-Panzer mit zusätzlichem Minenschutz durch den deutschen Hersteller Krauss-Maffei interessiert. Außenminister Gabriel versicherte am Freitag, es habe „keinen Deal in irgendeiner Form“ gegeben. Der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Brandt, sagte, bei aller Erleichterung dürfe die Bundesregierung Erdogan „nicht auf dem Leim gehen, denn im Grundsatz hat sich nichts geändert“. Die Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei sei „ein Märchen“ und der Rechtsstaat werde „jeden Tag mit Füßen getreten“. Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff nannte Yücels Freilassung „ein positives Signal“. Sie sei aber nur ein „wohlkalkulierter Schritt“ der Türkei, um die internationale Isolation des Landes zu durchbrechen.
Türkei will raus aus der Isolation
Tatsächlich steht die Freilassung Yücels offenbar in Zusammenhang mit einer größer angelegten diplomatischen Initiative Ankaras. So gab es am Freitag auch Tendenzen zur Entspannung der schwierig gewordenen Beziehungen zu den USA. „Wir haben uns darauf verständigt, unsere Beziehungen zu normalisieren“, sagte der türkische Außenminister Cavusoglu auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit US-Amtskollegen Rex Tillerson.
Auch bei dem Gespräch des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim, am Donnerstag mit Bundeskanzlerin Merkel, ging es beiden Seiten um Wege, die festgefahrenen Beziehungen wieder in Gang zu bringen. Merkel hatte nach der Unterredung ausdrücklich von „gemeinsamen Interessen“ gesprochen. Sie hatte aber auch gleichzeitig betont, dass der Fall Yücel von „besonderer Dringlichkeit“ sei. Man kann die Freilassung Yücel auch als Reaktion auf diese Gespräche sehen.
Die Türkische Gemeinde in Deutschland zeigte sich am Freitag erleichtert. „Wir freuen uns riesig, dass er freigekommen ist“, sagte der Bundesvorsitzende Gökay Sofuoglu. Yücel sei ein freiheitsliebender Mensch, ein Journalist und kein Terrorist. „Es ist gut, dass das jetzt auch die Türkei kapiert hat“, sagte Sofuoglu.
Über 100 Journalisten weiter in Haft
Weiterhin sind in der Türkei über hundert türkische Journalisten in Haft. Auch sechs weitere Deutsche bleiben nach wie vor inhaftiert. Am Tage der Yücel-Freilassung sind i der Türkei drei renommierte Journalisten wegen angeblicher Beteiligung am Putschversuch von Juli 2016 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. In dem international kritisierten Verfahren wurden die Brüder Ahmet und Mehmet Altan sowie Nazli Ilicak des „Versuchs zum Umsturz der Verfassungsordnung“ schuldig befunden. Sie hatten die Vorwürfe als „absurd“ zurückgewiesen.