Ein 13-Jähriger soll einen Mitschüler gegen eine Stadtbahn geschubst haben. Nun fordert Ministerin Marion Gentges erneut, das Strafmündigkeitsalter zu überdenken. Der tragische Stuttgarter Vorfall ist womöglich das falsche Beispiel.
War der tragische Tod eines Zwölfjährigen die Folge eines Unfalls mit unglücklichen Umständen oder eine Straftat mit gezielter Tötungsabsicht? Die Ermittlungen sind noch im Gange, da verursacht Justizministerin Marion Gentges (CDU) am Dienstag mit einem „neuen Appell“ Aufsehen und Verwirrung: Sie fordert laut Agenturmeldung, das Strafmündigkeitsalter von derzeit 14 Jahren zu überprüfen – und letztlich zu senken. Dies vor dem Hintergrund, dass ein 13-Jähriger den Mitschüler an einer Haltestelle im Stadtteil Hofen gegen die einfahrende Stadtbahn geschubst haben soll. Allerdings hat sie damit wohl den falschen Fall ausgesucht.
Denn unabhängig davon, dass der 13-Jährige als Minderjähriger für den Vorfall strafrechtlich nicht belangt werden kann: Polizei und Staatsanwaltschaft haben zum aktuellen Ermittlungsstand mitgeteilt, dass es sich bei dem tödlichen Ausgang eines Streits unter zwei Schülern um kein vorsätzliches Tötungsdelikt gehandelt haben dürfte, sondern eher um unglückliche Umstände.
Die Erkenntnisse der Ermittler
Nach bisherigen Erkenntnissen sollen die beiden Schüler der Jörg-Ratgeb-Schule in Neugereut am vergangenen Freitag um 12.30 Uhr auf dem Bahnsteig in „eher belanglose und nicht ernst gemeinte Streitigkeiten“ geraten sein, als eine Stadtbahn der Linie U 12 in die Haltestelle Max-Eyth-See einfuhr. In diesem Augenblick soll der 13-Jährige den jüngeren Klassenkameraden geschubst haben, worauf dieser seitlich gegen die Bahn prallte und tödliche Verletzungen erlitt. „Anhaltspunkte dafür, dass der 13-Jährige den Jungen mit der Absicht schubste, dass dieser von der Stadtbahn erfasst wird, haben die Ermittlungen bislang nicht ergeben“, sagt Polizeisprecherin Kara Starke.
Hat Justizministerin Gentges also vorschnell den Tod eines Schülers in Hofen als Musterbeispiel zugelassen – und dadurch politisch instrumentalisiert? Seit Tagen kochen teils heftige Reaktionen auf den sozialen Plattformen hoch. In einschlägigen Kommentaren wird der Vorfall als „vorsätzlicher Mord“ gedeutet und eine härtere Bestrafung von Kindern gefordert. Und das zu einer Zeit, da die Ermittlungen der Kriminalpolizei gerade erst angelaufen waren. Am Dienstag veröffentlichte die Nachrichtenagentur dpa den Vorstoß der CDU-Ministerin.
Justizministerium rudert im Stuttgarter Fall zurück
Auf Nachfrage unserer Zeitung rückt das Justizministerium inzwischen allerdings wieder ab von einer Verknüpfung des Themas Strafmündigkeitsalter mit dem schlimmen Ereignis an der Stadtbahn-Haltestelle Max-Eyth-See am vergangenen Freitag. „Eine Bewertung des tragischen Vorfalls wird auf Grundlage von gesicherten Erkenntnissen erfolgen müssen“, schiebt die Ministerin nach. Den Stuttgarter Vorfall will sie nun nachträglich nicht als Aufhänger für ihren Vorstoß verstanden wissen.
Sicher ist für Marion Gentges jedenfalls eines: „Die Frage, ob die bestehende Altersgrenze für die Strafmündigkeit noch zeitgemäß ist, stellt sich unabhängig von einzelnen Fällen.“ Sie habe sich im vergangenen Jahr für eine wissenschaftliche Untersuchung eingesetzt, ob die sei 1923 festgelegte Altersgrenze von 14 Jahren „noch angemessen ist“. Die Gesellschaft habe sich in den letzten 100 Jahren erheblich verändert. Darüber müsse man grundsätzlich diskutieren.
CDU und FDP streiten schon über Deutungshoheit
Gleichwohl hat die CDU-Ministerin den Tod des Zwölfjährigen in Stuttgart-Hofen nun in den Wahlkampf eingeführt. Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat sich in Berlin für eine Absenkung der Strafmündigkeitsgrenze auf zwölf Jahre ausgesprochen. „Wenn jede Woche oder jeden Monat was passiert im Bereich der 13-Jährigen, dann müssen wir doch reagieren“, sagte Linnemann mit Blick auf Stuttgart.
In Baden-Württemberg stimmte der stellvertretende FDP-Landtagsfraktionschef Nico Weinmann dem Appell von Marion Gentges für eine wissenschaftliche Untersuchung der Altersgrenze zu – nicht aber ohne die Spitze, dass Gentges ihren Worten nun Taten folgen lassen müsse. Worauf Landesinnenminister Thomas Strobl seiner CDU-Ministerkollegin beisprang und der FDP per Pressemitteilung vorwarf, dass es doch der damalige FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann gewesen sei, der diese wissenschaftliche Studie seinerzeit abgelehnt habe. Warum die FDP nun Taten einfordere, sei vor diesem Hintergrund ein Rätsel.