Selbst die Statuen in Nizza tragen Trauer. Foto: EPA

Die Todesfahrt von Nizza hat Frankreich erschüttert. Die Seele der Nation aber sehen Experten nicht gefährdet. Sie mahnen zum Zusammenhalt.

Nizza - Nizza ist Sonne, Leben, Sommerfrische. Seit einigen Tagen ist Nizza aber auch Schatten, Tod und Angst. Die Amokfahrt mit 84 Toten am Nationalfeiertag vergangenen Donnerstag hat Frankreich wieder einmal im Mark erschüttert. Experten glauben, dass das Vertrauen der Franzosen in ihren Staat dadurch Schaden nehmen könnte, aber insgesamt der Zusammenhalt und die Widerstandskraft eher wachsen.

„Die Tatsache, dass dieser Anschlag geschah, während strenge Sicherheitsmaßnahmen gelten sollten, unterscheidet ihn von früheren“, sagt Neil Greenberg, Professor für psychische Gesundheit am Londoner King’s College. „Das untergräbt das Vertrauen der Leute in die Regierung, solche Ereignisse zu verhindern. Und es ist extrem schwer, dieses Vertrauen wieder aufzubauen, wenn es erst einmal verloren ist.“

Attacke wirkte zufällig

Anders als bei den Terroranschlägen vom November, bei denen in Paris 130 Menschen getötet wurden, und vor allem im Gegensatz zu dem tödlichen Überfall auf die Redaktionsräume des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 habe der Angriff auf ein Sommerfest in Nizza viel zufälliger ausgewählt gewirkt. Die Attacken von Paris seien gezielter erschienen, sagt Greenberg. Damit hätten die Menschen auch eher die Wahrnehmung gehabt, gefährdete Einrichtungen und Plätze meiden zu können.

Die Geschehnisse von Nizza könnten einige Franzosen jetzt aus Angst stärker an ihre Wohnungen fesseln, meint er. „Nizza ist bekannt als ein Ort, wo man an den Strand geht“, erklärt er. „Der Anschlag dort könnte größere Auswirkungen haben als die Attacken von Paris, weil die Menschen jetzt sogar überlegen könnten: ‚Wo kann ich mich sicher erholen?’“

Kurzfristige Angstzustände

Spürbare Folgen für die psychische Gesundheit der Franzosen fürchtet Greenberg indes nicht. Beträchtliche Probleme würden nach solchen Schock-Ereignissen in der Regel nur Menschen entwickeln, die bereits an psychischen Erkrankungen litten. Zwar gebe es kurzfristig Angst- und Stresszustände, aber eine Zunahme psychischer Probleme in der Bevölkerung sei unwahrscheinlich.

Wichtig sei nun, dass die Franzosen zusammenstehen, mahnen die Experten. „Es gibt Befürchtungen, dass die muslimische Gemeinschaft als Sündenbock herhalten muss“, sagt Andrew Silke, Leiter für Terrorismusstudien an der University of East London. Damit würde eine Spaltung gefördert, die wiederum radikalen Strömungen Zulauf bescheren würde. Der Todesfahrer von Nizza, der mit seinem Lkw kilometerweit über die Uferpromenade mitten in die Menschenmenge fuhr, stammte ursprünglich aus Tunesien. Als Islamist war er nicht aufgefallen.

Angriff kann Zusammenhalt stärken

Länder mit wiederholten Anschlägen wie Nordirland oder Israel hätten aber auch Zusammenhalt und erstaunliche Widerstandskraft gezeigt, erklärt Silke. „Man beobachtet, dass die Menschen sich zusammenschließen und Gemeinschaften enger werden im Widerstand gegen Attacken.“ Je leidgeprüfter eine Gesellschaft sei, desto geringere Folgen seien für die nationale Psyche zu erwarten.

„Frankreich stand im Zentrum zweier Weltkriege, und sie haben es gut geschafft, weiterzumachen“, sagt Frank Farley, Expräsident des US-Psychologieverbands APA. „Die Franzosen lassen sich nicht so leicht unterkriegen.“

Auch Urlaubsgäste in Nizza stellen sich gegen die Angst: Sie ließen sich nicht einschüchtern und ihrer Freiheiten berauben, betonen Touristen in der Stadt am Mittelmeer. Zu ihnen zählt die Rentnerin Piera Badino. „Ich habe gar nicht überlegt, nicht zu kommen“, sagt die Italienerin. „Wir können nicht eingesperrt zuhause bleiben. Was wären wir denn dann noch, so halbtot? Wir können nicht kuschen.“