Die Sexskandale haben in den USA eine Debatte über Liebe am Arbeitsplatz losgetreten. Foto: Freundorfer

Die Sexskandale um Harvey Weinstein und weitere Hollywood-Größen haben in den USA eine Debatte über Liebe am Arbeitsplatz losgetreten. Immer mehr Unternehmen geben sich strenge Richtlinien. Doch aus Sicht von Psychologen könnte das auch nach hinten losgehen.

New York - Liebe am Arbeitsplatz ist von jeher ein Minenfeld, sowohl für Mitarbeiter als auch für Arbeitgeber. Die Welle von Sex-Vorwürfen in den USA facht die Debatte nun neu an und macht das heikle Thema um einige Facetten komplexer. Büro-Beziehungen, die normalerweise unter dem Radar geblieben wären, werden jetzt aus einer anderen Perspektive gesehen, vor allem solche zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Und auch wer sich mit einer Kollegin verabreden möchte, denkt darüber womöglich zwei Mal nach.

„Die Leute sollten es sich gut überlegen, bevor sie eine Liebesbeziehung mit einem Kollegen eingehen“, rät Pennell Locey, Personalexpertin bei der Beratungsfirma Keystone. Sie kennt das Problem aus eigener Erfahrung: Sie heiratete einen Kollegen.

Büro als wichtigste Partnerbörse

„Es ist eine positive Konsequenz aus dieser Sache, dass die Leute etwas über Grenzen erfahren, derer man sich bewusst sein sollte“, erklärt Locey mit Blick auf die zahlreichen Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung in Politik, Medien und Unterhaltungsbranche in den USA. „Der Autopilot wird ausgeschaltet.“

Das Büro gehört zu den wichtigsten Partnerbörsen. In einer Umfrage gab einer von vier Amerikanern an, schon einmal ein Liebesverhältnis mit einem Kollegen gehabt zu haben. Immer häufiger sichern die Arbeitgeber für solche Fälle mit schriftlichen oder mündlichen Vereinbarungen ab. Während es im Jahr 2005 lediglich in 25 Prozent der Unternehmen solche Richtlinien gab, waren es 2013 schon 42 Prozent. Meist sind Beziehungen zwischen Chefs und Untergebenen verboten oder es werden „Liebesverträge“ gefordert, wonach Kollegen-Paare ihr Verhältnis offenlegen müssen.

Doch immer wieder werden solche Regeln ignoriert, wie die Personalexpertin Joanne Lee erklärt. „Man kann ein Handbuch und Richtlinien haben, und trotzdem werden sie das alles ignorieren, vom Geschäftsführer abwärts“, sagt die Vizepräsidentin des Getränkekonzerns N.K.S. Distributors in New Castle im US-Staat Delaware. „Manchmal denken sie: „Oh, das betrifft mich nicht.“ Und ich denke, deshalb sind alle in Schwierigkeiten geraten.“

Liebe im Job in Filmen und Serien

In der Popkultur spielt die Liebe im Job schon lange eine Rolle, ob in Filmen wie „Nachrichtenfieber“, „Die Waffen der Frauen“, „Anchorman“ und „Tatsächlich ... Liebe“ oder in Fernsehserien wie „Mad Men“, „Cheers“, „The Office“ und „Das Model und der Schnüffler“. Einer der Weihnachtssongs des Jahres, „Ugly Christmas Sweater“ von Garth Brooks, enthält eine Zeile über „dieses hübsche kleine Mädchen aus der Buchhaltung“.

Im wahren Leben gehen Büro-Affären mal gut und mal weniger gut aus. Ex-Microsoft-Chef Bill Gates lernte seine Frau Melinda in der Firma kennen. Der frühere Bürgermeister von Detroit, Kwame Kilpatrick, landete im Gefängnis, weil er unter Eid über eine außereheliche Beziehung zu einer Mitarbeiterin gelogen hatte.

Verhältnisse stehen in der Diskussion

Die Schicklichkeit einvernehmlicher Verhältnisse unter Kollegen steht seit einigen Tagen verstärkt in der Diskussion, nachdem der Fernsehsender PBS die Suspendierung des Moderators Tavis Smiley bekanntgegeben hat. Unabhängige Ermittlungen einer Kanzlei hätten „mehrere glaubwürdige Vorwürfe über ein Verhalten zu Tage gefördert, das mit den Werten und Standards von PBS unvereinbar ist“, hieß es.

Smiley erklärte auf Facebook, der Sender habe überreagiert und voreilig gehandelt. „Wenn eine einvernehmliche Beziehung zu einer Kollegin vor etlichen Jahren zu dieser öffentlichen Demütigung und persönlichen Vernichtung führt, dann Gnade uns Gott“, schrieb der Moderator. „Das geht viel zu weit. Und ich für meinen Teil habe vor, mich zu wehren.“

Büro-Romanzen lassen sich schwer verbieten

Reflexartige Versuche, nun alle Büro-Romanzen zu verbieten, könnten nach Ansicht der Psychologin Amy Nicole Baker nach hinten losgehen. Die Beteiligten würden dann womöglich krampfhaft versuchen, ihr Verhältnis geheim zu halten, sagt die Psychologie-Professorin der University of New Haven im US-Staat Connecticut, die über das Thema forscht. „Wenn sie versuchen, einvernehmliche Anziehung am Arbeitsplatz auszurotten, drängen sie diese lediglich in den Untergrund“, sagt sie und verweist auf eigene Studien und die von Kollegen.

Büro-Affären waren schon immer nervenaufreibend und riskant. Seit der Aufdeckung von Sexskandalen in Unternehmen landesweit sind sie nach Angaben der Expertinnen noch qualvoller geworden. Die Comedy-Show „Saturday Night Live“ nahm das Thema kürzlich mit einem satirischen Sketch auf die Schippe, in dem ein Personalmanager die Belegschaft an die geltenden Regeln erinnert.

Joshua Lybolt versteht, warum Unternehmen aggressiv auf die neuen Vorwürfe reagieren. Doch er sieht die Angelegenheit auch aus der Sicht eines Betroffenen: Er gründete im Jahr seiner Heirat zusammen mit seiner Ehefrau Magdalena eine gemeinsame Firma, das Immobilienunternehmen Lifstyl in Crown Point in Indiana.

Konflikte entschärfen

„Aus Arbeitgebersicht denke ich, dass sie es wohl übertreiben“, sagt Lybolt. „Aber mit Blick auf das Risikomanagement verstehe ich, dass sie Konflikte so weit wie möglich entschärfen wollen.“ Es sei eine gute Richtlinie, Privat- und Berufsleben zu trennen. In seiner Firma, in der ein weiteres verheiratetes Paar beschäftigt ist, sei es bislang nicht zu Problemen gekommen. „Aber wir wissen alle, wie Beziehungen sich ändern können“, erklärt der Unternehmer. Lybolt und seine Frau arbeiten inzwischen sicherheitshalber in verschiedenen Büros.