Leichenfund in Sirnau, Attacke an der Katharinenschule, Schießereien: Im Kreis Esslingen flackert derzeit oft das Blaulicht. Die Häufung der jüngsten Vorfälle mit Schusswaffen überrascht auch den Chef der Kriminalpolizei.
Die jüngsten Schießereien in Plochingen und im Esslinger Stadtteil Mettingen haben viele Bürger aufgeschreckt. Wie gefährlich lebt es sich im Landkreis Esslingen? Ralf Keller, der Leiter der Kriminalpolizeidirektion Esslingen, und Lutz Jaksche, der Leiter der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit der Polizei, sprechen im Interview über die Schusswechsel, Drogenprobleme und politischen Extremismus.
Herr Keller, ist die große Zahl an Schießereien im Landkreis ein Zeichen für mafiöse Strukturen oder zunehmende organisierte Bandenkriminalität?
Ralf Keller: Das sind laufende Verfahren, zu denen wir aus ermittlungstaktischen Gründen keine Angaben machen können. Die Untersuchungen laufen zudem beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg und fallen daher nicht in unseren Zuständigkeitsbereich. Die zeitliche und lokale Massierung der Schussabgaben im Großraum Stuttgart und auch im Nachbarkreis Göppingen aber ist auffällig. Doch inwieweit diese Vorkommen zusammenhängen, müssen die weiteren Ermittlungen des LKA klären. Allerdings kann ich sagen, dass es in Esslingen außerhalb der Schießereien derzeit kein Problem mit Jugendbanden gibt.
Wie kam es denn zu dieser Häufung von Schusswechseln?
Keller: Die Häufung der Ereignisse wundert uns auch. Es ist uns kein Initialereignis bekannt, das den Schießereien vorausgegangen ist oder sie ausgelöst haben könnte.
Ist es einfach für Täter, an scharfe Waffen zu kommen?
Keller: In einigen Deliktsbereichen stellen wir eine zunehmende Bewaffnung fest. Wenn ich weiß, wie ich mich im Internet bewegen muss, ist es relativ einfach, an Waffen zu kommen. Und die Klientel, die von Schusswaffen Gebrauch macht, kennt natürlich auch die entsprechenden Mittel und Wege.
Herr Jaksche, was tut die Polizei, was kann sie tun, um das individuelle Sicherheitsbedürfnis der Bürger auch angesichts der Schießereien zu beruhigen?
Lutz Jaksche: Seit sich die Schießereien häufen, haben wir umfangreiche Kontroll- und Präsenzmaßnahmen eingeleitet. Wo diese Maßnahmen durchgeführt werden, können wir natürlich nicht verraten. Die Polizeipräsidien arbeiten bei der Aufklärung auch noch enger zusammen und tauschen Informationen und Daten aus. Schon zuvor sind wir natürlich aber auch Hinweisen und Verdachtsmomenten nachgegangen.
Laut Kriminalitätsbericht ist die Drogenkriminalität zurückgegangen. Hat der Landkreis Esslingen kein Problem mehr mit illegalen Suchtmitteln?
Keller: Die Statistik ist das eine, die Realität das andere. Die Zahlen sind zurückgegangen. Das heißt aber nicht, dass es kein Drogenproblem mehr gibt oder die Polizei nichts mehr tut. Die Ermittlungsverfahren, die sich gegen Drogenhändler richten, sind personal- und zeitintensiver geworden. Bei dem Handel mit illegalen Betäubungsmitteln wird von den Tätern zum Beispiel zunehmend verschlüsselte Kommunikation eingesetzt. Diese Daten müssen wir entschlüsseln und auswerten, was eine aufwendige und langwierige Ermittlungsarbeit ist.
Wird die Legalisierung von Cannabis eine Arbeitserleichterung für die Polizei darstellen?
Keller: Die Arbeit wird sicher nicht weniger werden. Gut, wir müssen nicht mehr jeder Kleinmenge an Cannabis hinterherrennen. Aber die Straffreiheit soll sich ja nur auf Erwachsene beschränken. Bei Kindern und Jugendlichen sind Besitz, Konsum und Handel weiterhin verboten. Zudem macht Cannabis nur einen Teil der Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz aus – es gibt ja auch noch Heroin, Kokain, Crystal Meth oder Ecstasy. Die Auswirkungen auf unsere Arbeit werden wir abwarten müssen.
Könnte eine messerfreie Zone, wie sie für die Stuttgarter Innenstadt ausgerufen wurde, auch im Landkreis Esslingen eine sinnvolle Maßnahme sein?
Keller: Wir haben uns anhand des statistischen Datenmaterials und der Erfahrungen aus der alltäglichen Polizeiarbeit Gedanken darüber gemacht, ob eine Waffenverbotszone in unserem Einsatzbereich sinnvoll wäre. Doch für eine solche Maßnahme haben wir keine Veranlassung. Im Landkreis Esslingen gibt es anders als in Stuttgart keine neuralgischen Punkte und keine derartigen Auffälligkeiten, die eine solche Waffenverbotszone rechtfertigen könnten. Die Tatorte verteilen sich auf verschiedene Regionen innerhalb des Kreises, aber es gibt keine klar identifizierbaren Schwerpunkte. Für die tatsächliche Einrichtung einer Waffenverbotszone wären zudem die Kommunen zuständig.
Kriminalhauptkommissar Daniel Lorch und seinem Team ist ein spektakulärer Schlag gegen Cyberkriminalität gelungen. Wie sieht diese Abteilung innerhalb der Kriminalpolizei Esslingen aus?
Keller: Die Kriminalinspektion Cybercrime besteht aus etwa 25 Beamtinnen und Beamten, die sich in drei Aufgabenbereiche aufteilen. Ein Teil befasst sich mit den eigentlichen Ermittlungen zur Cyberkriminalität wie Identitätsdiebstahl, Computersabotage oder digitale Erpressung. Dann kümmern sich Kolleginnen und Kollegen um die digitale Spurensuche etwa auf Handys oder Laptops, aber auch im Internet. Und ein Team beschäftigt sich mit der Analyse der gesammelten Daten. Diese Kolleginnen und Kollegen haben teils verschiedene Polizeilaufbahnen absolviert und sich dann auf die Aufklärung von Internetverbrechen spezialisiert. Auf die zunehmende Anzahl an Fällen von Cyberkriminalität hat die Polizei Baden-Württemberg auch mit der Einführung von Sonderlaufbahnen des gehobenen und höheren Polizeivollzugsdienstes für Cyberkriminalistinnen und Cyberkriminalisten reagiert.
Automatensprengungen bei Banken häufen sich. Gibt es den klassischen Bankraub eigentlich noch?
Jaksche: In Reutlingen ist es im Februar letzten Jahres zu einem Raubüberfall auf eine Bank gekommen, bei dem eine Angestellte mit einer Pistole bedroht wurde. Doch das ist die absolute Ausnahme. Die Banken haben ihre Sicherheitsmaßnahmen massiv aufgerüstet. So sitzen die Kassierer jetzt meist hinter Sicherheitsglas, und die Bargeldbestände sind entsprechend gesichert. Jedoch haben Automatensprengungen zugenommen, auch durch kriminelle Banden aus den Niederlanden. Allerdings gab es im Kreis Esslingen wenige Vorfälle. Abgesehen von der Automatensprengung in Neuhausen im November letzten Jahres ist der Kreis Esslingen bisher kein Schwerpunkt solcher Straftaten. Der letzte Fall war am 31. Januar in Kirchheim-Nabern.
Ist politischer Extremismus ein Thema?
Jaksche: Innerhalb von Baden-Württemberg haben die politisch motivierten Straftaten zugenommen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg 2022 die Zahl von 4965 auf 6205 Fälle. Im Einzugsbereich des Polizeipräsidiums Reutlingen mit den Landkreisen Esslingen, Reutlingen, Zollernalb und Tübingen mit seinen etwa 1,2 Millionen Einwohnern ist aktuell die „Reichsbürger“-Szene ein Thema. Die Sympathisantenszene aber ist schwer zu fassen. Mit Blick auf Aktivitäten im Bereich Rechtsextremismus ist die Kleinpartei Der Dritte Weg zuletzt im Bereich Reutlingen aufgefallen. Im Landkreis Esslingen spielt die Anzahl rechter Straftaten derzeit kaum eine Rolle.
Zur Person
Leiter
Der Leitende Kriminaldirektor Ralf Keller ist seit November 2021 Leiter der Kriminalpolizeidirektion Esslingen. Der 51-jährige Vater zweier Kinder trat 1989 in den Polizeivollzugsdienst ein und absolvierte verschiedene berufliche Stationen. So war er auch im IT- und Technikbereich für das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und das Stuttgarter Innenministerium tätig.
Pressearbeit
Polizeirat Lutz Jaksche ist seit Oktober 2022 Leiter der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit im auch für den Landkreis Esslingen zuständigen Polizeipräsidium Reutlingen. Der 33-Jährige trat im Juli 2010 in den gehobenen Polizeivollzugsdienst ein und stieg 2022 in den höheren Polizeivollzugsdienst auf.